In Pauls Schatten hat sich Florentin Pogba zu einem begehrten Innenverteidiger entwickelt. In der Europa League treffen beide heute aufeinander: Ein Traum wird wahr – zumindest teilweise.
Wenn Manchester United heute Abend im Sechzehntelfinale der Europa League die AS Saint-Etienne empfängt, wird die ganze Familie Pogba im Old Trafford sein. Nicht nur auf den Rängen, auch auf dem Platz: United gegen ASSE, das bedeutet auch Paul gegen Florentin Pogba. Die „wunderschöne Geschichte“ dieser Begegnung, wie Saint-Etiennes Sportdirektor Dominique Rocheteau es nennt.
Vor der Auslosung, die dem Fünften der Ligue 1 das Sahnelos aus Manchester bescherte, stand der Name Pogba international für Paul. In Guinea sieht man das vermutlich etwas anders.
Dort, genauer gesagt in der Hauptstadt Conakry, wird Florentin im August 1990 geboren, gemeinsam mit dem dritten Pogba-Bruder, Florentins Zwilling Mathias. Als die Geschwister acht Monate alt sind, flieht die Familie nach Frankreich. Paul ist da noch nicht auf der Welt.
Noch nie offiziell mit Paul auf dem Platz
In Frankreich lässt sich die Familie Pogba in Roissy-en-Brie nieder, etwas mehr als ein Jahr später wird der zukünftige Star der Familie, Paul geboren. In Roissy verbringen die Brüder wie alle Kinder hier jede freie Minute kickend auf dem Hartplatz der Residence la Renardiere, der Wohnanlage im Pariser Speckgürtel, die für sie zur Heimat geworden ist.
Wer organisiert im Verein Fußball spielen will, für den gibt es in Roissy-en-Brie nur eine Anlaufstelle: die US Roissy, deren Stade Paul Bessuard von der Residence keinen Kilometer entfernt liegt. Hier trennen sich die Wege der Brüder das erste Mal: In Frankreichs Jugendfußball dürfen Jüngere nicht in höheren Altersklassen mitspielen, egal wie talentiert oder groß gewachsen sie sind – so wie Paul. Auch deshalb haben weder Mathias noch Florentin jemals in einem offiziellen Spiel mit oder gegen ihren „kleinen“ Bruder gespielt.
Als sie 16 sind, wird Celta Vigo auf die Zwillinge aufmerksam, Florentin und Mathias gehen nach Spanien. Auch Paul verabschiedet sich von zu Hause, als Vierzehnjähriger wechselt er nach Le Havre. Weil Florentin sich in Vigo nicht durchsetzen kann, kommt er zwei Jahre später zurück nach Frankreich zum Zweitligisten CS Sedan. Für Mathias beginnt eine fußballerische Odyssee durch Frankreich, England und Schottland. Mittlerweile spielt er in den Niederlanden für Sparta Rotterdam. Und die Wege der drei Brüder gehen noch weiter auseinander: Im gleichen Sommer zieht es den kleinen Paul mit 16 erstmals auf die Insel, erstmals zu United nach Manchester.
Nach zwei Jahren in Sedan verpflichtet AS Saint-Etienne Florentin – für 500.000 Euro, weniger als 0,5 Prozent von der Ablösesumme, für die Manchester United seinen kleinen Bruder Paul vor der aktuellen Saison aus Turin zurückholen wird. Der Überflieger der Familie feiert 2012 auch noch vor seinem großen Bruder sein Erstligadebüt, Florentin debütiert erst 2013 in der Ligue 1 für Saint-Etienne, weil er nach der Verpflichtung zurück nach Sedan verliehen wird.
Während Paul erst zum Star in Italien und dann in der französischen Nationalmannschaft emporsteigt, erkämpft sich Florentin einen Stammplatz in Saint-Etiennes Innenverteidigung. Nach drei Auftritten für die französische U20-Nationalmannschaft entscheidet er sich wie Mathias für eine Karriere in Guineas Nationalelf – noch ein Grund, weshalb beide noch nie mit Paul gemeinsam auf dem Rasen standen. Und auch dafür, weshalb man in Guinea nicht nur Paul mit dem Namen Pogba verbindet.
„Der größte Traum“
Gegenüber dem Guardian beschrieb Florentin das so: „Der größte Traum? Dass eines Tages alle drei von uns im gleichen Profi-Spiel auflaufen.“ Heute Abend dürfte der Traum zumindest zu zwei Dritteln wahr werden. Die unterschiedlichen Wege der optisch so ähnlichen Brüder, die sogar den blonden Streifen in den kurzgeschorenen Haaren teilen, führen sie schließlich doch wieder zusammen.
In Zukunft könnte das noch öfter vorkommen. Schon im vergangenen Sommer gab es Anfragen aus England, unter anderem Sunderland soll interessiert gewesen sein. Aber: Alles „nichts Konkretes“, wie Florentin sagt. Anfang dieses Monats gab es Gerüchte, der FC Watford (Uniteds letzter Gegner bei einem 2:0‑Sieg am Wochenende) sei am bulligen Verteidiger dran.
Dass der mediale Fokus nach dem Sechzehntelfinale wieder mehr auf Paul liegen wird, stört Florentin indes nicht: „Natürlich bin ich manchmal nur ›der Bruder von‹. Aber warum sollte mich das ärgern?“, sagte er dem Guardian. „Ich bin stolz auf meine Familie. Und wenn ich sowas höre, denke ich daran, dass fast alle anderen Spieler auf dem Platz auch der Bruder von jemandem sind.“ Von denen steht heute Abend allerdings niemand auf dem selben Rasen.