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Dieser Text erschien erst­mals im 11FREUNDE-Spe­zial Ruhr­ge­biet“.

Cas­trop-Rauxel, Zechen­sied­lung. Das allein kratzt man­chem schon im Hals.

Eine ganze Straße mit den glei­chen Vor­gärten, den glei­chen Fas­saden, den glei­chen Türen, Spitz­dach an Spitz­dach. Die Berg­ar­beiter aus der Gegend bekamen früher diese Häuser hier zuge­teilt, sie alle hatten den glei­chen Job, bekamen den glei­chen Lohn, wohnten neben­ein­ander. Fast ein Abbild einer ega­li­tären Gesell­schaft. Am Wochen­ende wuschen die Männer hier die Autos, auf­ge­reiht die ganze Straße ent­lang, im Radio lief Tore, Punkte, Meis­ter­schaften“. Danach große Runde am Gar­ten­zaun bei Pils, Korn und Ernte 23. Jeden Sommer, manchmal schon im März, liegen die Rauch­schwaden über den Dächern, nun­mehr nicht von den Zechen, son­dern von den Myriaden an Holz­koh­le­grills. Die Sied­lung ist ein ein­ziges Bar­becue.
Schmelz­tiegel Garten.

Wenn die Klin­gel­schilder ver­bli­chen sind, unter­scheiden sich die Haus­ein­gänge eigent­lich nur noch anhand der Fahne am Fenster. Blau-weiß oder schwarz-gelb. Die Sym­bole der Glau­bens­ge­mein­schaften, die fried­lich neben­ein­ander exis­tieren. Wobei: Was heißt eigent­lich fried­lich?

Der Geist der Püttro­logen

Olaf Bock öffnet die Tür, viel­leicht 1,70 Meter groß, graue Jog­ging­hose, Schalke-Käppi, Schalke-Trikot, eigent­lich ist der ganze Mensch Schalke. Hun­telaar“ steht hinten auf dem Leib­chen. Große Augen, Schnäuzer, unter­setzte Figur. Er schreit laut auf, lacht, bittet herein, lacht sich schlapp und redet dann los, auch laut. Es geht direkt um den lokalen Fuß­ball. Hömma, weiße, kennse. Dem sein Bengel pöhlt da auch. Wenn Olaf Bock spricht, dann mit dem ganzen Körper. Das eine Bein auf dem Hocker, das andere wippt auf den Fliesen. Ich guck, Hände auf die Augen, richtig töfte, der Mund küsst Zei­ge­finger und Daumen, geht nur um hier …, reibt drei Finger an den Daumen, Tatter, Kohle, Knete, dann Arme in die Höhe.

Es ist, als wäre der Geist eines Napo­li­ta­ners mit­samt seiner aus­ufernden Gestik und Mimik in diesen 55 Jahre alten Berg­mann aus dem Ruhr­pott gefahren. Dabei hat er nur neun Finger, einer ging bei einem Unfall auf einer Bau­stelle über den Jordan. Bock war jahr­zehn­te­lang auf dem Pütt, also unter Tage. Er ist Püttro­loge, so sagt man hier, wie alle in dieser Straße.

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David Klammer

Jagd auf die Lohn­tüten

Heinz Küff­hausen öffnet die Tür, zusam­men­ge­knif­fene Augen, ver­schmitztes Lächeln. Er führt den Besu­cher in das Ess­zimmer, erst mal eine rau­chen. Er erzählt langsam, schaut sein Gegen­über lange an, dann stößt er die Pointe aus, lacht kehlig und zieht genüss­lich an der Ziga­rette. Erst nach einiger Zeit steht er auf, um seine BVB-Devo­tio­na­lien von oben zu holen, die Fahne, das Hemd, den Auto­gramm­ball aus den Neun­zi­gern, Teddy de Beer hat auch unter­schrieben. Erstes Spiel mit Dort­mund, boah, drein­sech­zich – da ging noch die Lutzie ab, hömma“. Der Vater war auf dem Pütt, da hat Küff­hausen keine Wahl gehabt, du gehs aum Pütt, zack, Ende, so war das. Er hat noch auf Zeche gelernt, mit 14 Jahren direkt nach der Schule ange­fangen. Heute ist er 66 Jahre alt. Sechs Pütts hab ich mit zuge­macht“, sagt er und nickt sich selbst zu. Sechs.“

Küff­hausen senkt die Faust auf den runden Küchen­tisch und zählt mit den Fin­gern ab, wäh­rend er seine Sta­tionen auf­sagt. Victor 1/2, Victor 3/4, Zeche Erin, Zeche Wal­trop, Monopol in Berg­kamen, Auguste Vic­toria in Marl. Lebens­etappen im Revier. Zu jeder ein­zelnen fällt ihm eine Anek­dote ein. Wie die Frauen kurz vor Hei­lig­abend neben dem Pförtner mit Fahr­rad­luft­pumpen drohten und den Män­nern die Lohn­tüten abjagten. Nur damit die nicht das Weih­nachts­geld in der Kan­tine ver­saufen konnten. Wie der Weih­bi­schof zu Besuch auf Zeche war und seinem Kumpel den Schnupf­tabak weg­sniefte. Küff­hausen musste den Kol­legen zurück­halten, doch der schrie: Ihr vonne Kirche seid doch alle Ver­bre­cher, ich hab noch ne volle Schicht, wie soll datt gezz gehn?!“ Geschichte um Geschichte.

Nur bei einem Thema ver­fins­tert sich die Miene von Heinz Küff­hausen: bei Olaf Bock.

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David Klammer

Es gibt die Hol­ly­wood­filme mit Walther Matthau und Jack Lemmon, in denen sich die beiden zeit ihres Lebens bekriegen und sich selbst im hohen Alter noch an den Kragen wollen. Immer noch ein selt­sames Paar“, so der Titel ihres letzten gemein­samen Films, hätte auch eins zu eins von Küff­hausen und Bock han­deln können. Jahr­zehn­te­lang gingen die beiden zusammen auf Zeche, sie waren direkte Nach­barn, wech­selten zusammen den Pütt. Als auch die letzten Zechen dicht­machten, musste eine andere Tätig­keit her. Die Berg­leute defi­nieren sich über ihre Arbeit, zu Hause zu sitzen oder krank­zu­feiern, das gilt als ein Zei­chen von Schwäche. So arbei­teten sie zusammen bei einem Indus­trie­ser­vice, putzten die Böden, Kessel und Treppen in Fabriken. Der eine schimpfte auf den anderen, sie tauften sich gegen­seitig Bow­ling­kugel“ und Sab­bel­kopp“. Heute betreut Küff­hausen gehan­di­capte Kinder bei Bus­fahrten, Bock ist Haus­meister in einem Senio­ren­heim. Die Bio­gra­fien mögen sich glei­chen, 30 Jahre Nach­barn, 30 Jahre Arbeits­kol­legen.

Doch das Leben der beiden unter­scheidet sich an einem, dem wich­tigsten Punkt: Der eine ist Schalker, der andere Dort­munder.

Das Derby ist wich­tiger als der Geburtstag

Zwei unter­schied­liche Lieb­lings­ver­eine, das mag woan­ders viel­leicht eine Peti­tesse sein, doch nicht in dieser Ecke der Welt. Hier, wo die Frage Wie geht es dir?“ mit dem Ergebnis vom Wochen­ende beant­wortet wird. Eine Ecke, in der manche Eltern eben nicht stolz der Ver­wandt­schaft vor­führen, wie ihr Spröss­ling schon vor der Ein­schu­lung die Prim­zah­len­reihe auf­sagen kann, son­dern wie er lückenlos die Auf­stel­lung von Schalke oder Dort­mund beherrscht. Und eine Ecke, in der sie dafür nicht Gering­schät­zung, son­dern auf­rich­tige Aner­ken­nung ernten. Hier hängt der Spiel­plan direkt neben dem Kalender an der Küchen­wand. Der Termin des Revier­derbys ist dicker rot mar­kiert als der eigene Geburtstag. Olaf Bock und Heinz Küff­hausen trafen sich in all den Jahren auch nach der Arbeit auf eine Fla­sche Bier am Gar­ten­zaun. Die Leute hier lernen ja kli­schee­gemäß bereits im Brut­kasten, wenn nicht sogar prä­natal, zwei Grund­tu­genden: eben nicht nur datt Malo­chen, son­dern auch datt Klönen, also das Erzählen.

Was den Römern der Ver­samm­lungsort Forum war, ist den Püttro­logen die Trink­halle oder der Gar­ten­zaun. Mein Haus ist dein Haus“ heißt hier Komma ruhich bei mich in Gatten“. Hier ver­quatscht man schon einmal den Nach­mittag, und meis­tens geht es natür­lich um den Fuß­ball, das Grillen oder beides. Der Garten oder die dort befind­liche Laube erfahren Pflege und Ach­tung, als stünden sie nicht im Herzen von Cas­trop-Rauxel, son­dern in der Peri­pherie von Sans­souci. Das hier ist die Schule für Schlag­fer­tig­keit und Poin­ten­si­cher­heit – und so wäre es ver­schenkt, würde man die Anek­doten in indi­rekter Rede oder gar in Hoch­deutsch nach­er­zählen.

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Olaf Bock über die ver­passte Meis­ter­schaft 2001:
Ich denk, wir sind Meister. Schön raus ausse Kneipe, und ab nach Hause. Ich denk auf eima: Sauba, ich hab noch ne eis­kalte Kiste Bier zu Hause, ast­rein. Ich komm da rein, da fällt mir alles ausm Gesicht. Bayern an Jubeln, alles scheiße, ich an Heulen wien Schloss­hund. Und der Bayern-Fan, der Nachbar von paar Häuser weiter, iss da drüben an Tanzen. Ich denk, watte ab, du Schwei­ne­sack. Gezz hatte ich noch schön n paar Knall­frö­sche von Sil­vester in Keller, zack, rüber. Und n Kübel Kraut­salat, alles rüber­ge­schmissen. Der iss gesprungen, aber da war Ruhe. Hier iss schon watt abge­gangen teil­weise.

Heinz Küff­hausen über Ottmar Hitz­feld:
Ich hab den Hitz­feld ma rich­tich watt kommen lassen. Hitz­feld war noch Spieler, datt war Stutt­gart gegen Dort­mund. Da hat­tern dickes Foul gemacht, ich hatte son Rochus auf den. Auffem Gang zur Kabine bin ich rüber und hab ihm n paar Takte gesacht. Da wurd er ösig und frech, hat er n Gelben hoch­ge­holt und mir inne Fresse gerotzt. Ich über die Bar­riere und hab ihm voll eine geta­felt. Er sachte: Ich zeig dich an. Ich sach: Hier iss mein Name, Heinz Küff­hausen, kanns mich anzeigen. 30 Jahre später steht mein Ottmar im West­fa­len­sta­dion nach der Meis­ter­schaft und die Spieler und er am Zapfen für die ganzen Fans. Ich mich durch­ge­drän­gelt mitte Elle­bogen nach vorn und ich sach: Na, Ottmar?! “ Er guckt. Nee, ne?! Ker, Heinz, wie geht’s dir denn? Wie viel willse?“ Da hatter gezapft wien Welt­meister. Da sindse alle ausse Socken gesprungen.

Eigent­lich müsste man die beiden Sonntag für Sonntag als Experten in den Dop­pel­pass“ auf Sport1 ein­laden, um die Quote der Sen­dung in die Höhe schnellen zu lassen. Doch Bock und Küff­hausen setzen sich nicht mehr an einen Tisch. Sie haben sich zer­stritten. Nicht eine ein­fache Mei­nungs­ver­schie­den­heit, son­dern eine hef­tige Aus­ein­an­der­set­zung bis vor Gericht hat die beiden end­gültig aus­ein­an­der­di­vi­diert.

Es ging um Ruhe­stö­rung, Lärm­be­läs­ti­gung. Stein des Anstoßes war Olaf Bocks Gar­ten­laube, die er sich zur Welt­meis­ter­schaft 2006 selbst zusam­men­ge­zim­mert hat. Er sagt noch heute die Best­marken aus jenem mär­chen­haften Sommer auf wie Eltern das Gewicht und die Größe ihres Kindes bei der Geburt: 460 Liter Bier, 40 Kilo Kote­lettes betrug die Grund­ver­sor­gung über die vier Wochen hinweg. Der Geträn­ke­fritze “, so sagt er, sei gar nicht mehr mit der Lie­fe­rung nach­ge­kommen. Bock und seine Freunde hätten quasi in der Laube gelebt.

Hef­tiger Streit wegen der Gar­ten­laube

Noch heute ist diese Gar­ten­laube mehr als ein Refu­gium, sie ist gerade an einem Bun­des­li­ga­wo­chen­ende ein zweiter Wohn­sitz mit magi­scher Anzie­hungs­kraft. Sky läuft hier von Freitag- bis Sonn­tag­abend durch. Tri­kots von Schalker Legenden wie Raul, Bordon oder Sand, Fotos mit dem DFB-Pokal und Fahnen hängen an der Wand, das ein­zige Poster ohne Fuß­ball­bezug kündet von der Peter-Maffay-Tour 1988. Eine Ecke aller­dings ist in Schwarz-Gelb gehalten, Bocks Frau Bet­tina hält den Dort­mun­dern die Treue. Meine alte Biene Maja, meine liebe Zecke, mein Schatz“, nennt er sie.
Mit Heinz Küff­hausen, seinem schwarz-gelben Nach­barn, geht er weit weniger lie­be­voll um.

Nach unzäh­ligen Partys wurde es Küff­hausen zu bunt, er wollte in Ruhe Fuß­ball schauen, nicht mit lauten Ver­eins­lie­dern und AC/DC im Ohr. Immer wieder gerieten sie anein­ander, bis Küff­hausen sich eine neue Woh­nung suchte. Er sagt: Je mehr Blau-Weiß rein­ge­fallen iss, umso bekloppter wurde der. Der hat Stress mitte ganze Nach­bar­schaft. “ Olaf Bock sagt: Je älter der wird, umso schlimmer. Datt hasse nich mehr aus­ge­halten, sachten die andern Nach­barn auch.“ Jetzt wohnen sie gut 20 Minuten von­ein­ander ent­fernt. Der Umzug war für beide besser, sagen sie.

Hassen sich Schalker und Dort­munder wirk­lich?

In letzter Zeit ist das Revier­derby wieder in Verruf geraten. Die Ver­eine über­legten, nach den jüngsten Aus­schrei­tungen keine Gäs­te­fans mehr zuzu­lassen. Bestimmte Fan­gruppen messen die Bri­sanz und die Bedeu­tung daran, wie viel im Umfeld des Spiels pas­siert. Auf beiden Seiten werden Fahnen und Schals geklaut, Unbe­tei­ligte geraten zwi­schen die Linien, zu oft kommt es zur Gewalt. Das ist leider schon lange so, in den acht­ziger Jahren war es sogar noch hef­tiger. Doch die Frage bleibt, ob sich Schalker und Dort­munder wirk­lich hassen. Sie lieben sich wirk­lich nicht, aber hassen?

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Der ame­ri­ka­ni­sche Schrift­steller Elie Wiesel hat einmal geschrieben, das Gegen­teil von Liebe sei nicht Hass, son­dern Gleich­gül­tig­keit. Schalker schauen nach ihrem Spiel direkt das Resultat der Borussen nach – und umge­kehrt. Sie lesen in der Zei­tung alle Berichte über den Rivalen. Zwei Arbei­ter­ver­eine, die nun zu Schwer­ge­wichten auf dem Fuß­ball­markt auf­ge­stiegen sind und wie nur wenige andere Klubs unter dem Spagat zwi­schen Tra­di­tion und Moderne ächzen. Sie sind sich eigent­lich zu gleich, um ein­ander wirk­lich zu hassen.

Dieses Derby ist nicht so beson­ders, weil die eine Seite der anderen mehr Schals oder Fahnen klaut als sonst wo. Wer so etwas sagt, hat nichts ver­standen. Dieses Derby ist so beson­ders, weil es jeden Tag am Gar­ten­zaun aus­ge­fochten wird, an der Trink­halle, auf der Arbeit, 365 Tage im Jahr. Es gibt keine Pause. Ver­bales Pres­sing und Gegen­pres­sing auf engstem Raum.

Sie können nicht mit­ein­ander. Sie können nicht ohne ein­ander. Doch sie würden eher mit Heft­zwe­cken gur­geln, als das zuzu­geben. Obwohl sie es wissen.

Heinz Küff­hausen und Olaf Bock erkun­digen sich kurz über den anderen. Ob sie sich noch einmal zusammen ..? Nein. Nein, nein. Auf keinen Fall.