Sporting Lissabon verpflichtet einen 17-jährigen Nachwuchsspieler für die U19: Keine Nachricht von großer Bedeutung. Der Hintergrund des Transfers erscheint jedoch wie aus dem Märchen.
Dezember 2004. Der indonesischen Tsunamikatastrophe fallen allein in der Provinz Aceh zehntausende Menschen zum Opfer. Bereits damals geht die bewegende Story des siebenjährigen Martunis um die Welt: In den Fluten verliert der Junge Mutter und Schwester, im sumpfigen Mangrovenwäldern findet er jedoch Schutz vor der Katastrophe. 21 Tage lang ist Martunis auf sich allein gestellt, ernährt sich von angeschwemmten Lebensmitteln und wird unglaubliche 21 Tage später gefunden. Britische Journalisten berichten von dem kleinen Überlebenskünstler, die Geschichte geht um die Welt.
Vor die Kameras gestellt, sagt Martunis: „Ich hatte keine Angst, denn ich wollte überleben, um meine Familie wiederzusehen und Fußballprofi zu werden.“ Das für die folgende Entwicklung wichtige Detail dabei: „The Miracle Boy“ (Der Wunderjunge), wie er in den Medien genannt wird, trägt das Raubkopie-Trikot der portugiesischen Nationalmannschaft, das er während seines Kampfes anhatte.
So werden die Vertreter der Seleção auf ihn aufmerksam, besonders der damals erst am Beginn seines Weltruhms stehende Cristiano Ronaldo zeigt sich bewegt. Martunis wird mit seinem Vater zu einem Länderspiel nach Portugal eingeladen und trifft die Starauswahl um Luis Figo und Ronaldo sowie die Legende Eusebio.
Ronaldo als Mangroven-Botschafter
Eine Spendensammlung, initiiert vom damaligen portugiesischen Nationaltrainer Luiz Felipe Scolari, bringt 40.000 Euro zusammen, genug, um das im Tsunami zerstörte Haus der Familie von Martunis wieder aufzubauen. Ein Jahr später stattet Ronaldo dem jungen Indonesier einen Besuch ab. Der als arrogant verschriene Schönling zeigt nicht nur persönliches Interesse, sondern auch gesellschaftliches – bekleidet ab sofort das eher kurios anmutende Amt des indonesischen Botschafters für Mangrovenwälder.
Doch im Fokus der Medien steht natürlich der Weltstar, der Martunis unter seine Fittiche nimmt. Wenn dieser fleißig lernt und trainiert, ist es nicht unmöglich, dass auch er einmal ein Weltstar werde, soll Ronaldo gesagt haben – sogar seine persönliche Handynummer habe er ihm gegeben. In der Folge wird Martunis durch die Medien gereicht: Sepp Blatter lässt sich mit ihm ablichten, Madonna und Celine Dion laden ihn ein, warum auch immer.
Doch für seinen Traum, Fußballprofi zu werden, tut Martunis wirklich einiges. So besucht er die Fußballakademie von Real Madrid in Indonesien, spielt für den einheimischen Erstligisten PSAP Sigli. Sogar bei einem Probetraining der indonesischen Nationalmannschaft darf er teilnehmen, wird jedoch in der zweiten Runde aussortiert. „Mir wurde gesagt, ich sei physisch zu schwach. Ich werde zu schnell müde“, wird er in den japanischen Medien zitiert.
Doch nun scheint sich der Traum erfüllt zu haben. Sporting Lissabon verpflichtet den inzwischen 17-Jährigen für die U19-Auswahl. Gerade der Verein bei dem 2002 Cristiano Ronaldos Profikarriere begann und bei dem auch er selbst die Jugendteams durchlaufen hat. Hat sich der portugiesische Klub hier ein – bisher vielleicht verkanntes – Talent geangelt? Den neuen Ronaldo? Schwingt sich das Märchen in noch höhere Sphären auf? Unwahrscheinlich. Bereits erste Twitter-Posts, die die Geschichte der Neuverpflichtung aus der bekannten Perspektive erzählen, lassen vermuten, dass die involvierten Personen und der Verein auch ein ordentliches PR-Interesse haben.
„Der Verein ermöglicht mir meinen Traum“
Bei der Präsentation Martunis’ wurde von Vereinspräsident Bruno de Carvalho jedoch auch auf andere Dimensionen der Verpflichtung verwiesen: „Martunis wird an der Akademie arbeiten. Auch in seiner Entwicklung als Mensch und als Mann werden wir ihn unterstützen.“ An der Sporting-Fußballschule bekommt er die Möglichkeit auf hohem Niveau zu trainieren, aber auch eine schulische Ausbildung. Eine Perspektive, die ein Junge, der bei der Naturkatastrophe, die seine Heimat verwüstete, Familienangehörige und sein Zuhause verlor, sich nicht unbedingt erhoffen konnte.
„Es ist toll hier zu sein, dieser Verein ermöglicht mir meinen Traum“, sagte Martunis bei seiner Präsentation in Lissabon. „Ich freue mich unglaublich über diese Gelegenheit. Viva Sporting!“ Das Trikot von damals, das für diese märchenhafte Geschichte verantwortlich ist, ist noch in seinem Besitz. Vielleicht nicht nur als Erinnerung an die Vergangenheit, sondern auch an seinen Kindheitstraum, einmal für die portugiesische Seleção zu spielen. Möglich ist es: A‑Länderspiele für Indonesien hat Martinus noch keine aufzuweisen.