Romelu Lukaku steht mit Belgien schon vor dem letzten Gruppenspiel im Achtelfinale der EM. Seit seinem Wechsel 2019 zu Inter Mailand ist der Stürmer in der absoluten Weltspitze angekommen. Dabei verliefen weder sein Leben noch seine Profikarriere immer auf geraden Wegen.
Es lief gerade die zehnte Minute im Spiel Belgien gegen Russland, als Romelu Lukaku unerwartet im gegnerischen Strafraum an den Ball kam. Unmittelbar zuvor hatte der russische Innenverteidiger Andrei Semenov eine missglückte Hereingabe von Dries Mertens verstolpert und den Ball so für den Belgier serviert. Und obwohl auf dem Stürmer eine große Erwartungshaltung lastet, die belgische Mannschaft mit seinen Toren vom Status des ewigen Geheimfavoriten zu erlösen, blieb Lukaku in dieser Szene ganz ruhig. Unaufgeregt schob er den Ball genau neben dem rechten Pfosten zur 1:0‑Führung der Belgier ein. Doch offenbar hatte sich Lukaku an diesem Abend auch noch andere Dinge vorgenommen, als sportliche Erwartungen zu erfüllen: Im Anschluss feierte er sein Tor nicht überschwänglich, sondern rannte zur nächstgelegenen Kamera und sendete seinem mailändischen Teamkollegen Christian Eriksen, der wenige Stunden zuvor einen Herzstillstand auf dem Platz erlitten hatte, eine Grußbotschaft ins Krankenhaus: „Chris, Chris, …stay strong, I love you!“. Es sind Szenen wie diese, die Romelu Lukaku gut beschreiben.
Mit Christian Eriksen verbindet Lukaku sehr viel. Beruflich, weil sie beide für Inter Mailand spielen, und privat, weil sie auch abseits des Platzes enge Freunde sind: „Ich verbringe mehr Zeit mit ihm als mit meiner eigenen Familie“, sagte er nach dem 3:0‑Sieg gegen Russland. Auch vor dem Spiel sei es ihm deshalb nicht leicht gefallen, sich auf seine Aufgaben in den kommenden 90 Minuten zu konzentrieren. Und trotzdem gelang es dem 1,91 Meter großen Sturmriesen an diesem Abend, zwei Treffer zu erzielen und so für einen perfekten Turnierstart der roten Teufel zu sorgen. Nicht erst dieser Auftritt machte klar, dass Romelu Lukaku mittlerweile unzweifelhaft zu den besten Stürmern der Welt zählt. Seit seinem Wechsel zu Inter Mailand im Jahr 2019 ist sein Spiel konstanter geworden: aus dem Wunderknaben aus Anderlecht ist endgültig ein anerkannter Weltklassestürmer geworden, der sich in der vergangen Saison mit Inter zudem die italienische Meisterschaft sichern konnte. Um bis zu diesem Punkt in seiner Karriere zu gelangen, waren jedoch nicht nur sportliche Fähigkeiten nötig. Das wird besonders deutlich, wenn man Lukakus Lebensweg betrachtet.
„Ich habe noch den Gesichtsausdruck meiner Mutter vor Augen, als sie am Kühlschrank steht.“
Der Ausweg aus diesen schwierigen Verhältnissen bot ihm in den Folgejahren der Fußball. Und ganz egal, wo und wann er in seiner Jugend gegen den Ball trat, Romelu Lukaku ließ stets sein Herz auf dem Platz: „Jedes Spiel, das ich jemals spielte, war ein Finale. Wenn ich im Park spielte, war es ein Finale. Wenn ich während der Pause im Kindergarten spielte, war es ein Finale. Ich bin todernst. Ich habe versucht bei jedem Schuss die Hülle vom Ball zu reißen. Volle Power.“ Es ist dieser unermüdliche Antrieb, diese Gier danach, sich gegen alle Widerstände hinwegsetzen zu wollen, die sich wie ein roter Faden durch sein Leben zieht. Neben der Armut drängte sich aber auch ein ganz anderes Thema immer wieder in sein Leben.
So wie etwa im Alter von elf Jahren, als die Eltern der Gegenspieler ihm aufgrund seiner immensen Körpergröße unterstellten, er sei nicht spielberechtigt und die Herausgabe seines Ausweises forderten. Ganz auf sich allein gestellt, weil sein Vater sich kein Auto leisten konnte, um ihn zu den Auswärtsspielen zu begleiten, erfuhr der Sohn zairischer Eltern damals jene rassistische Geringschätzung, die auch heute in der Gesellschaft und im Fussball noch allgegenwärtig ist. Einschüchtern ließ sich Lukaku trotzdem nicht: Er zeigte seinen Ausweis und schwor sich, besser als die Kinder dieser Eltern zu sein. Durch die Wut, die er sowohl aus den Armutserfahrungen als auch durch den Alltagsrassismus entwickelte, wuchs in Lukaku der unbedingte Wille, es als Fußballer an die Spitze zu schaffen: „Ich wollte der beste Fußballer in Belgien Geschichte werden. Ich spielte wegen einiger Dinge mit so viel Zorn, … weil die Ratten durch unser Apartment liefen, weil ich die Champions League nicht sehen konnte und wegen des Blicks der anderen Eltern.“