Mats Hummels tippte seine Botschaft am Abend beim Kurznachrichtendienst Twitter ein. Im Gegensatz zu vielen anderen Spielern betreut er seinen Account selbst. Seine Nachricht wurde vielfach geteilt. Hummels schrieb: „Wie geil ist das denn“ Er garnierte den Satz mit einem Smiley und drei Pokalen.
Das war am 2. Juli 2017, Hummels freute sich über den deutschen Sieg im Confed Cup, den er am Bildschirm verfolgt hatte. Er konnte da noch nicht ahnen, welche Folgen der Triumph seiner neuen Kollegen auch für ihn haben würde.
Nun, am 13. Oktober 2018, sorgte Hummels’ Rundumschlag und sein abendlicher Post auf Twitter wieder für Aufsehen. Vorangegangen war eine glatte 0:3‑Niederlage in Holland und die allgegenwärtige Diskussion um die Frage: Muss die Generation um Hummels abgelöst werden? Und bei der Beantwortung landet man unweigerlich beim 2. Juli 2017 und den Siegern des Confed Cups.
Während Hummels und all die anderen arrivierten Weltmeister damals pausieren durften, begeisterte eine zunächst als B‑Elf verspottete Mannschaft die deutsche Öffentlichkeit. Im Tor stand Marc-André Ter Stegen, in der Dreierkette reüssierte Matthias Ginter, im Mittelfeld Joshua Kimmich und als Kapitän Julian Draxler. Hier harmonierte und entwickelte sich ein Nationalteam in Abwesenheit der Etablierten.
Drei verschiedene Nationalteams
Und ganz nebenbei wurde die deutsche U21-Nationalelf noch Europameister. Die „Süddeutsche Zeitung“ fasste die Euphorie des Sommers 2017 stimmig zusammen und verglich die Masse an Fußball-Talenten mit jener bei den deutschen Rodlern und Bobfahrern. „Bob Deutschland I“ (Weltmeister), „Bob Deutschland II“ (Confed Cup) und „Bob Deutschland III“ (U21) – so wie Hummels drückten es viele deutsche Fans aus: Wie geil ist das denn?
Doch mehr als ein Jahr später steht fest: Die Nationalmannschaft oder vielmehr der Bundestrainer haben es nicht geschafft, aus den drei Staffeln ein herausragendes Team zu filtern. Eher rutschen die Bobteams in unterschiedliche Richtungen. Schon bei der WM in Russland rechneten sich die Confed Cup-Sieger mehr Einsatzzeit aus als die Newcomer vergangener Turniere.
Bei der WM 2014 war Deutschland mit einer weitgehend klaren ersten Elf angereist. Der Rest des Kaders hatte sich seinerzeit einfach gefreut, dabei zu sein und tatkräftig von der Bank aus zu unterstützen. Das neue Konkurrenzdenken bei der WM 2018 führte zwar nicht zu den kolportierten Grabenkämpfen und offenen Konflikten – doch es drückte unterschwellig aufs Betriebsklima.
Draxler und Kimmich in neuer Rolle
Julian Draxler sieht sich spätestens seit der Kapitänsrolle beim Confed Cup als potenzieller Führungsspieler. Joshua Kimmich emanzipierte sich zu einer Art „Klassensprecher“ der Jungen, die bei der großen Aussprache nach der WM-Auftaktpleite gegen Mexiko für eine Umkehr zur Dreierkette plädierte. Eben jenem bewährten System aus dem Confed Cup. Die Riege der Weltmeister sah das anders – auch wenn bei der großen, einstündigen Aussprache größtenteils sachlich diskutiert wurde.
Doch die Meinungsverschiedenheiten haben nach der WM 2018 anscheinend eher zu- als abgenommen. Wie weit die Einschätzungen der Spieler mittlerweile auseinander liegen, zeigten die Reaktionen nach dem 0:3 gegen die Niederlande.
Mats Hummels sagte nach der Partie: „Ich glaube nicht, dass man uns viel vorwerfen kann. Das große Ganze, die Spielanlage, die Einstellung, ist nicht schlecht im Moment.“ Julian Draxler fand derweil sehr wohl einige Vorwürfe: „Wir sind zu harmlos, haben wenig Überraschungsmomente. Es fehlen die Ideen, mal was Besonderes zu machen, die Risikobereitschaft.“ Joshua Kimmich ergänzte: „Immer Pech ist kein Zufall. Wir haben im Moment ein schwerwiegendes Problem.“
Nun können Spieler bei den Analysen durchaus auseinander liegen. Mats Hummels ist wahrlich kein „Schönredner“, wie er nun von einigen Medien bezeichnet wird. Gerade während der WM hatte er nach den Spielen gegen Mexiko und Südkorea relativ schonungslos die Auftritte kritisiert. Und: Niemand kann ihm vorwerfen, sich nach einer Niederlage nicht der Öffentlichkeit zu stellen.
Viel schwerwiegender wog allerdings das, was Hummels nicht unmittelbar nach der Pleite, sondern über eine Stunde später in Richtung von Fans und Medien sagte: „Im Moment wird auf alles draufgedroschen, das ist respektlos. Wir werden behandelt wie die Vollamateure.“ Diese Sätze zeugen von Dünnhäutigkeit, sie klangen nach Besitzstandswahrung.
Nicht nur das Personal, sondern auch die Mentalität muss sich ändern
Dabei ist die Kritik an den Weltmeistern von 2014 derzeit alles andere als respektlos. Ihre Berechtigung für die Nationalmannschaft wird nicht infrage gestellt, wohl aber jene für die erste Elf. Das Thema ist hausgemacht: Der DFB selbst postulierte nach dem WM-Vorrundenaus „tiefgreifende Veränderungen“. Joachim Löw zog sich zwei Monate zur Analyse zurück, um dann auf das weitgehend gleiche Personal zu setzen. Die vom Trainer verteidigte Achse um Torwart Manuel Neuer, Jerome Boateng, Hummels und Thomas Müller läuft aber ihrer Form und Fitness hinterher.
Gleichzeitig mangelt es nicht an Alternativen: Ter Stegen ist Stammtorwart beim FC Barcelona, Matthias Ginter zeigt bisher eine starke Saison in der Innenverteidigung bei Borussia Mönchengladbach. Hinzu kommen Spieler von der Bank wie Leroy Sané, Niklas Süle oder Julian Brandt. Beim Spiel in Frankreich wird Löw trotz aller Loyalitäten nur schwer an einem Personalwechsel vorbeikommen.
Überdies bedarf es eines Mentalitätswechsels. Was bei Hummels’ Abrechnung durchschimmerte, war die bekannte Überheblichkeit und die fehlende Demut der deutschen Nationalmannschaft. Es war eine Blaupause der „Wat wollense? Wir sind Weltmeister!“-Attitüde während der WM in Russland. „Ich versuche, ein Wort zu vermeiden, das man mir um die Ohren haut“, sagte Hummels zunächst. Um es dann so zu formulieren: „Wir sind mit die Besten in dem, was wir machen.“
Nach einem Aus gegen Südkorea und Mexiko, nach drei Spielen ohne Torerfolg und einem 0:3 gegen nicht für die WM qualifizierte Holländer gehört Deutschland momentan einfach nicht zu den Besten. Der Bundestrainer mag höchstens auf dem Papier über drei herausragende Mannschaften verfügen, auf dem Rasen hat er nicht einmal eine daraus gebildet. Der Sommer 2017 ist lange vorbei.