Mal wird in seiner Wohnung geschossen, mal sitzt er einen Monat im Knast, mal beißt er eine Polizistin: Wenn man seine Eskapaden liest, glaubt man, Nicki Bille sei eine Kunstfigur – eine übertriebene Persiflage auf Landsmann Nicklas Bendtner. Doch Nicki ist echt. Echt unfassbar.
Beim dänischen Viertligisten Ishöj IF ist man richtig sauer auf Nicki Bille, 31. Der Star-Neuzugang des zurückliegenden Sommers, immerhin 17-maliger U21-Nationalspieler (8 Tore) und dreimaliger A‑Nationalspieler (1 Tor), will einfach nicht beim Training erscheinen. Schon lange nicht mehr. „Wenn ich ehrlich sein soll, läuft es gar nicht gut mit ihm“, klagt Ishöjs Sportdirektor Murat Kutuk gegenüber der Zeitung „Ekstrabladet“: „Seit drei Wochen habe ich nicht mal mehr Nickis Schatten gesehen. Anfangs kam er er wenigstens noch zum Training, da konnte man sehen, was für ein guter Fußballer er ist. Aber das nützt nichts, wenn die Fitness total am Boden ist.“ Er selbst sei bereits 43 Jahre alt, verrät Kutuk, „aber ich bin weitaus besser in Schuss als Nicki“.
Wen das bis hierhin Erzählte an einen gewissen „Lord“ Bendtner erinnert, dem sei gesagt: Ja, es gibt durchaus gewisse Parallelen zwischen Nicki und Nicklas, wie Bille schon 2010 in einem Zeitungsinterview hervorhob: „Nicklas und ich ähneln uns in vielem. Wir verstanden uns schon als Jugendspieler sehr gut, auf und außerhalb des Platzes. Wir können uns beide sehr gut selbst unter Druck setzen und wir machen kein Hehl aus unseren Ambitionen. Wir sagen beide unsere Meinung. Und uns wird viel Aufmerksamkeit zuteil. Von den meisten werden wir entweder gehasst oder geliebt.“
So weit, so richtig. In einem Punkt aber irrte Nicki Bille damals, als er über sich und Bendtner fabulierte: „Wir wissen beide, wo die Grenzen sind und gehen unsere Karrieren sehr professionell an.“ Heute, im Jahr 2019, weiß man es besser. Wobei Nicki Bille die roten Linien immer noch eine Spur weiter überschritt als sein Bruder im Geiste. Fast so, als wolle Bille eines beweisen: Dass er der wahre „Lord“ ist.
Ein Monat Knast in Monte Carlo
Bendtner lässt sich auf eine Prügelei mit einem Taxifahrer ein? Schön, Bille gerät gleich mal in eine waschechte Schießerei – der Vorfall geschieht im Dezember 2018, als der Chaos-Kicker nach eigener Aussage zu Hause überfallen wird und sich eine Ladung Schrot im rechten Arm fängt.
Bendtner wird wegen einer Attacke auf einen Taxifahrer zu einem mehrwöchigen Hausarrest in seinem Kopenhagener Appartement verurteilt? Ha, Bille wird zu einem Monat im Knast in Monaco verknackt, wegen Körperverletzung und Erregung öffentlichen Ärgernisses – so passiert im Sommer 2018, als er wegen eines Übergriffs gegen eine Frau verhaftet wird und die Polizei auf seinem Handy obendrein ein selbst gefilmtes Video findet, auf dem er sich einen Blowjob verabreichen lässt. Auf offener Straße. In Monte Carlo.
Nicki Bille galt einst als das größte Versprechen des dänischen Fußballs. Heute blickt er auf eine bestenfalls abenteuerliche Laufbahn zurück: Ishöj IF ist bereits sein 18. Verein. Zu Billes Profistationen zählen u.a. Reggina Calcio, der FC Villarreal, Rayo Vallecano und (auch das eine Parallele zu Bendtner) Rosenborg Trondheim.
Die einzige Konstante während all der Jahre: Trouble, immer noch heftiger als beim „Lord“. Bendtner beleidigt einen Wachmann? Bille so: Hold my beer! Und beißt eine dänische Polizistin in den Arm, die ihn zur Rede stellen will, weil er einen Parkautomaten mit Fußtritten traktiert hat – das steht so in den Ermittlungsakten von 2014. Bendtner kommt mit vier Kilo Übergewicht aus der Sommerpause zurück? Bille: acht Kilo. Oder zehn.
Die Liste der Eskapaden des Nicki Bille ist noch länger – viel zu lang, um sie an dieser Stelle komplett aufzuführen. Dass solch ein Lebenswandel nicht gut ist für die Karriere wurde jedoch zuletzt immer deutlicher: Nach Zwischenstopps bei Lech Posen und Panionios Athen landete der damals 30-Jährige im Juli 2018 beim dänischen Erstligisten Lyngby BK. Dort wurde Bille nach nur drei Monaten gefeuert, weil er vor einem Kopenhagener Club mit einer beträchtlichen Menge Kokain gepackt worden war, nachdem er zuvor einem Mann mit einer Luftpistole gedroht hatte. Nun also 4. Liga.
Auch dort, bei Ishöj IF, wird man augenscheinlich nicht glücklich mit dem Torjäger, der sich so gern selbst ins Knie schießt. „Wir haben ihm hier so viele gute Menschen an die Seite gestellt“, sagt Sportdirektor Murat Kutuk, „deshalb ist es einfach nicht okay, dass er sich so verhält. Wenn man in so einer Situation war wie Nicki, muss man sich mit vernünftigen Leuten umgeben. Es ärgert mich, dass er dieses Angebot nicht annimmt.“
„Ich habe auf Instagram gesehen, dass er ab und zu ein bisschen laufen geht“
So langsam dämmert es auch Kutuk, dass die spektakuläre Neuverpflichtung, nun ja, zumindest noch etwas Zeit braucht: „Dieses Jahr wird Nicki wohl nicht mehr in einem Pflichtspiel für uns auflaufen“, räumt Ishöjs Sportdirektor ein. „Ich habe ihm immer wieder Nachrichten geschrieben, und er schrieb mir jedes Mal zurück: ‚Ich komme, ich komme.‘ Aber er kommt nicht. Ich habe auf Instagram gesehen, dass er ab und zu ein bisschen laufen geht. Aber sonst weiß ich nichts.“
Eines der letzten Lebenszeichen von Nicki Bille rührt vom Dienstag dieser Woche. Da lud der Kicker ein etwas wirres Video hoch, in dem er eine Packung „Antabus“ vor die Kameralinse hält. Die kleinen Pillen helfen Alkoholikern, abstinent zu bleiben, allerdings mit heftigen Nebenwirkungen. Dazu schrieb Nicki: „Schluss mit dem Trinken! Nach einem unglaublich harten Jahr hatte ich leider die Tendenz, von Zeit zu Zeit meine Sorgen weg zu trinken. Glücklicherweise bin ich (…) nach harter mentaler Arbeit auf dem Weg zurück in bessere Zeiten.“
Zumindest Letzteres wäre mal eine gute Nachricht. Für Nicki Bille, für seinen Klub Ishöj IF und für alle, die in dem einstigen Megatalent immer noch mehr sehen als Nicklas Bendtner hoch zehn. Murat Kutuk jedenfalls hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben: „Wir sind uns hier einig, dass wir Nicki zum Winter hin noch eine Chance geben wollen. Aber das setzt zunächst mal voraus, dass er zum Training kommt. Wie es bis jetzt gelaufen ist, macht mich jedenfalls fix und fertig.“