In unserer neuen Serie „Mein Lieblingsbundesligatrainer“ erinnern sich 11FREUNDE-Mitarbeiter an ihren ganz persönlichen Favoriten. Heute mit Hans Meyer, der seine Bundesligakarriere in einem Alter begann, in dem er eigentlich schon ans Rosen züchten dachte.
Wenn heutzutage der Name Hans Meyer fällt, gibt es kaum einen Fußball interessierten Menschen in Deutschland, der mit diesem Namen nichts anzufangen weiß. Der inzwischen 70-jährige Fußballlehrer ist längst zur Kultfigur geworden. Vor allem seine Sprüche und sein zynistischer Umgang mit der Berichterstattung so mancher Medien haben ihm deutschlandweit zu großer Popularität verholfen.
Am 7. September 1999 war von all dem noch nichts zu erahnen. Am Morgen jenes besagten Tages saß ich mit meinem Vater am Frühstückstisch, es lief der lokale Mönchengladbacher Radiosender. Plötzlich wurde eine Eilmeldung verkündet: „Hans Meyer wird neuer Trainer der Borussia!“ Meinem Vater und mir standen die Fragezeichen auf die Stirn geschrieben. Hans, wer? Der Moderator begann die bisherigen Stationen unseres neuen und uns völlig unbekannten Trainers vorzutragen: Carl Zeiss Jena, Rot-Weiß Erfurt, Chemnitzer FC, Union Berlin und Twente Enschede… Unsere Ahnungslosigkeit schlug um in Entsetzen und Wut. Wir waren wenige Monate zuvor zum ersten Mal in der Vereingeschichte in die Zweite Liga abgestiegen, waren hoch verschuldet und drohten nach drei Niederlagen in drei Spielen in die Regionalliga durchgereicht zu werden. Nun sollte ausgerechnet ein bereits 56-jähriger No-Name-Trainer, der bislang nur im Osten und in Holland tätig war, unsere Borussia retten?
Mehr als nur ein Feuerwehrmann
Dass ich Hans Meyer knapp 14 Jahre später zu meinem Lieblingsbundesligatrainer ernenne, zeigt nicht nur, wie falsch ich damals lag, sondern auch, wie oberflächlich man Erfolg und Misserfolg an der Bekanntheit eines Trainers fest macht. Denn Meyer schaffte in seiner ersten Saison fast noch das Wunder. Er impfte der Mannschaft das typisch niederländische 4 – 3‑3-System ein, was vor allem unserem Sturmtank Arie van Lent zu Gute kam. Wir starteten eine furiose Aufholjagd vom letzten bis auf den fünften Tabellenplatz und hatten zum Schluss sogar noch die Möglichkeit, direkt wieder aufzusteigen. Der Aufstieg musste letztlich zwar um ein Jahr verschoben werden, aber die Leistung unseres Trainers konnte dies keinesfalls schmälern. Meyer hatte dem Mythos Borussia, der zum Zeitpunkt seiner Amtsübernahme zu einer leeren Hülle verkommen war, wieder mit Leben gefüllt.
Gleich in seinem ersten Bundesligaspiel als Trainer stellte er dann unter Beweis, dass er nicht nur als handelsüblicher Retter taugte. Die Bayern gastierten als amtierender deutscher Meister zum Saisonauftakt am Bökelberg und hatten gegen eine perfekt eingestellte Gladbacher Mannschaft nichts zu lachen. Wir gewannen sensationell mit 1:0 und am Ende der Saison stand der souveräne Klassenerhalt. Hans Meyer war auf dem Gipfel seiner Popularität angelangt.
Doch vor allem den Boulevardjournalisten, die vor der „Ära Meyer“ noch maßgeblichen Einfluss auf die Geschehnisse im Vereinsumfeld nehmen konnten, schmeckte diese Entwicklung gar nicht. Denn Hans Meyer war alles andere als ein Trainer zum Anfassen, der täglich eine Schlagzeile produzierte. Vielmehr strafte er vor allem den Boulevard mit Missachtung und Zynismus. Er zögerte auch nicht die Arbeitsweise dieses Genres schonungslos offen zu legen und Journalisten öffentlich vorzuführen.
Den Ausgangspunkt für diese Feindschaft lieferte bereits seine Vorstellung. Ein Journalist fragte damals nach seinen Beweggründen, das Himmelfahrtskommando Borussia zu übernehmen und Meyer antwortete in seiner typischen Ironie, die allerdings zu diesem Zeitpunkt kaum einer verstand: „Kommunisten sind immer arm.“ Der Boulevard kreirte daraus ein sozialistisches Outing. Fortan war das Verhältnis bereits zu diesem frühen Zeitpunkt vergiftet.
Als dann im zweiten Bundesligajahr „endlich“ der Erfolg ausblieb und die Borussia mitten im Abstiegskampf steckte, startete eine unvergleichliche Kampagne gegen den Trainer, die ihren Nährboden in den öffentlichen Aussagen einiger unzufriedener Alt-Stars wie Markus Münch fand. „Im Fußball baut man dir schnell Denkmal, aber genauso schnell pinkelt man es an“, lautet heute deshalb eine der bekanntesten Weißheiten von Meyer. Lange Zeit konnte er sich gegen die Mechanismen des Geschäfts wehren, doch am 23. Spieltag der Saison 2002/2003 entschloss er sich überraschend zu seinem vorzeitigen Rücktritt, der eigentlich erst zum Ende der Saison vorgesehen war. Als Kapitualtion vor dem Boulevardjournalismus wollte er diese Entscheidung allerdings keinesfalls verstanden wissen. Er war auch keiner dieser Trainer, die das sinkende Schiff verließen, um sich später nicht als Absteiger bezeichnen zu müssen. Vielmehr sollte die Mannschaft unbelastet in die entscheidende Phase Abstiegskampfes gehen.
Kein Herz für Einzelgänger
Eigentlich wollte sich Meyer fortan als Rosenzüchter im hauseigenen Garten betätigen, doch es folgten weitere Stationen bei der Hertha (2004) und dem 1.FC Nürnberg (2005−2008). Sein Engagement beim Club wurde 2007 sogar mit dem Pokalsieg gekrönt. Doch Hans hatte immer noch nicht fertig. Als seine Borussia nach dem Aufstieg in der Saison 2008/2009 dem direkten Wiederabstieg entgegen taumelte, sprang er noch einmal in die Bresche und schaffte sensationell den Klassenerhalt mit einer Mannschaft, die zum Zeitpunkt seiner Amtsübernahme ähnlich zerrüttet war, wie bei seinem ersten Engagement am Niederrhein.
Meyer stellte auch dieses Mal das Kollektiv und den Verein über die Befindlichkeiten einzelner und machte selbst vor Fan-Lieblingen wie Marko Marin und Alexander Baumjohann nicht halt. Wenn die Trainingsleistung und die Einstellung nicht stimmten, saß man eben auf der Bank. Die Medien werteten dies als Machtdemonstration und selbst ein Großteil der Fans, mich inbegriffen, reagierten mit Unverständnis. Meyer verstand es dagegen als seine Art Hilfestellung, um junge Spieler auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, die seiner meiner Meinung nach mehr auf die Berater als auf den Trainer hörten. Wer allerdings heute einen Blick auf die Werdegänge dieser Spieler wirft, wird ihm recht geben müssen.
Letztendlich sind es neben den sportlichen Erfolgen und Sprüchen für die Ewigkeit eben auch diese Eigenschaften, die Hans Meyer zu meinem Lieblings-Bundesligatrainer machen. Besonders seine unnachahmliche Art, die Mechanismen im Fußball und insbesondere in der Medienberichterstattung zu karikieren, haben mir stets imponiert. Er hat mir auch als Fan den Spiegel vorgehalten und mir dadurch klar gemacht, wie schnell man selbst dazu neigt, sich oberflächliche Urteile zu erlauben, die mit Fußballsachverstand nicht viel gemeinsam haben.