Die nationalen Ligen veröden, in der Champions League gewinnen stets die gleichen Klubs. Der moderne Fußball richtete sich schon vor der Corona-Krise selbst zugrunde. Aber was kommt danach?
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Außerdem präsentieren wir euch an dieser Stelle in den kommenden Wochen weitere spektakuläre Reportagen, Interviews und Bilderserien. Heute: Der Untergang des Fußballs.
Der Artikel erschien erstmals im Jahr 2016.
Eines Tages werden wir uns zu erinnern versuchen, wann es losging. War es, als wir nicht mehr wussten, wie die Gruppengegner von Bayern und Dortmund in der Champions League heißen? War es, als wir nicht mehr genau wussten, ob heute die Bundesliga spielt? Oder als der FC Bayern in diesem Herbst zum Spiel gegen Ingolstadt erstmals noch Karten an der Tageskasse verkaufte? Als in Mainz die Ränge löchrig besetzt waren, obwohl St. Etienne in der Europa League doch kein unattraktiver Gast war? Oder als beim Länderspiel gegen Finnland in Mönchengladbach viele tausend Plätze leer blieben? Waren das die Momente, in denen wir ahnten, dass die Ära des Fußballs, wie wir ihn kannten, vorbei war?
Der kanadische Autor Malcolm Gladwell hat im Bestseller „Tipping Point“ das Phänomen von Trends und sprunghaften Veränderungen untersucht. Er beschreibt darin den rasanten Rückgang der Kriminalität im New York der neunziger Jahre oder wie Bücher zuvor völlig unbekannter Autoren in Windeseile zu riesigen Bestsellern werden. Solche Erscheinungen haben laut Gladwell einen Tipping Point. Einen Moment des Umkippens, von dem aus sich die Dinge plötzlich und rasant verändern. Gladwell vergleicht das mit Epidemien: „Ideen und Produkte und Botschaften und Verhaltensweisen verbreiten sich genauso wie ein Virus.“
Ist der Fußball also von einem Virus befallen, das zu seinem Untergang führen könnte? Auf den ersten Blick ist das eine abwegige Vorstellung. Die Bundesligastadien sind voll, und die TV-Quoten haben sich nicht erwähnenswert verschlechtert. Die Fernsehrechte an der Bundesliga sind gerade sogar erstmals für mehr als eine Milliarde Euro pro Saison verkauft worden, und die Sponsoren rennen den großen Klubs die Bude ein.
Der Fußball ändert sich
Doch wer Fans, aber auch Manager, Trainer oder Spieler fragt, ob sich gerade grundsätzlich was ändert, der sieht sie alle nach kurzem Nachdenken nicken. Aus der Fußballbranche will das niemand laut bestätigen, wer will schon sein Geschäft schlecht reden. Aber alle finden, dass etwas vom Zauber des Fußballs verfliegt. Das hat mit dem bizarren Zustand der großen Fußballverbände Fifa und Uefa zu tun, der Korruption oder den absurden Plänen zu einer Weltmeisterschaft mit 40 oder 48 Teilnehmern. Doch das wesentliche Thema ist ein anderes: Der sportliche Wettbewerb funktioniert nicht mehr!
„Die Leute gehen zum Fußball, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht“, war einer der goldenen Sätze Sepp Herbergers. Doch er gilt heute viel zu oft nicht mehr. Immer öfter haben wir das Gefühl, im Prinzip schon zu wissen, wie es ausgeht. Wir kennen natürlich nicht das genaue Ergebnis, aber mächtig schiebt sich eine andere Wahrheit in den Vordergrund: „Geld schießt Tore.“
Einen direkten Zusammenhang zwischen finanziellem Einsatz und sportlichem Ertrag gibt es überall, wo professionell Fußball gespielt wird. Legt man die Tabelle einer Liga und die Rangliste der Personalkosten der Klubs nebeneinander, sind sie im Schnitt von zehn Jahren deckungsgleich. Das ist nicht nur so behauptet, der Wirtschaftswissenschaftler Stefan Szymanski hat es 2009 am Beispiel England nachgewiesen. Dort müssen die Klubs in den Geschäftsberichten nämlich diese Kosten offenlegen. Laut Szymanski zeigt sich: „Je mehr Gehälter man bezahlen kann, desto weiter oben in der Tabelle wird man landen.“ Nicht in jedem Moment und jedem Jahr, aber auf Dauer.
Unterschiede in der Liga sind wettbewerbsverzerrend
In Deutschland sind die Personalkosten der Profimannschaften ein gut gehütetes Geheimnis. Um an aussagekräftige Zahlen zu kommen, haben wir daher mit zahlreichen Bundesligamanagern, Spielerberatern und etlichen anderen Insidern gesprochen. Durch diesen Schwarm von Experten entstehen verlässliche Schätzungen, was die Klubs für die Profis und das Trainerteam ihres Bundesligakaders in der laufenden Saison ausgeben. Erfolgsprämien sind dabei so wenig eingerechnet wie Ausgaben für Nachwuchsleistungszentren, die zweiten Mannschaften oder das nicht-sportliche Personal.
Überraschend bei den Zahlen ist, mit welch bescheidenen Mitteln der FC Ingolstadt und der FC Augsburg nach wie vor arbeiten müssen und wie wenig von der früheren wirtschaftlichen Kraft bei Werder Bremen übriggeblieben ist. Erstaunlich zudem, wie groß die sportlichen Unterschiede zwischen Borussia Mönchengladbach und dem Hamburger SV sind, obwohl die Klubs bei den Personalkosten nah beieinanderliegen. Die wichtigste Erkenntnis jedoch: Die Unterschiede in der Liga sind wettbewerbsverzerrend. Hertha BSC hat das Doppelte von Darmstadt zur Verfügung, Schalke 04 das Doppelte von Hertha und der FC Bayern wiederum das Doppelte von Schalke. Wäre die Bundesliga ein Autorennen, würden nagelneue Ferraris und Porsches gegen angejahrte Golfs und Kadetts fahren. Hintendran tuckert das Prekariat von Freiburg bis Augsburg im Kleinwagen, dann kommt die Mittelklasse, und die Spitzengruppe der Enteilten rast vorneweg. Sie macht die europäischen Plätze unter sich aus – einsam angeführt vom FC Bayern München.
Dass die Tabelle der Personaletats mit der durchschnittlichen Platzierung der letzten fünf Jahre weitgehend übereinstimmt, ist kein Wunder. Geld schießt vielleicht keine Tore, die am besten bezahlten Fußballer aber tun es. Zahlreiche deprimierende Zahlen sind der Beleg dafür. So watschen die Bayern das Fußvolk der Liga immer torreicher ab. Siegten sie zwischen 2000 und 2011 insgesamt elf Mal mit fünf oder mehr Toren Unterschied, gab es in den letzten fünf Spielzeiten schon 18 dieser deklassierenden Münchner Siege. Ähnlich geht es in der Champions League zu, wo die Bayern in den letzten fünf Spielzeiten stolze zehn Siege mit vier und mehr Toren Unterschied feierten, bei den fünf vorangegangenen Teilnahmen waren es nur halb so viele.
Und immer weiter mit den erschreckenden Zahlen: In der Bundesliga lassen der Rekordmeister und Borussia Dortmund die Siege und Rekorde purzeln. 2011/12 holte ein deutscher Meister, damals der BVB, zum ersten Mal in der Bundesligageschichte mehr als 80 Punkte in einer Saison. Schon ein Jahr später fiel die 90-Punkte-Grenze durch die Bayern. Die Münchner haben in der Bundesliga außerdem das Verlieren verlernt: In den drei Jahren der Ära Guardiola verloren sie nur vier Bundesligaspiele zu einem Zeitpunkt der Saison, an dem sie nicht schon als Meister feststanden. So dominant waren nicht einmal Beckenbauer, Müller, Breitner und Hoeneß zu Beginn der siebziger Jahre.
Gibt es also zwei Lager, hier die Großkopferten aus München und Dortmund, dort das Lumpenproletariat? Nein, das Problem ist systemisch. Von Chancengleichheit redet in der Bundesliga ohnehin niemand mehr. „Zehn Millionen Euro Gehaltsunterschied kann man mit guter Arbeit wettmachen, aber ein internationaler Startplatz ist für uns nicht planbar“, sagt Kölns Manager Jörg Schmadtke nüchtern. Was auch daran liegt, dass die Möglichkeiten, auf dem Transfermarkt zu agieren, in der Liga himmelweit auseinanderklaffen.
Zahlen interessieren nicht
Der FC Bayern hat im Laufe der letzten fünf Jahre 166 Millionen Euro mehr für Transfers ausgeben können, als er eingenommen hat, Aufsteiger RB Leipzig immerhin über 100 Millionen Euro. Der 1. FC Köln hingegen hat über 17 Millionen Euro mehr eingenommen als ausgegeben, und der SC Freiburg finanziert seinen Betrieb inzwischen sogar zum Teil durch Transfererlöse. Auch dank seiner guten Jugendarbeit hat der Sportclub in den letzten fünf Jahren einen Transferüberschuss von fast 25 Millionen Euro erwirtschaftet.
So eindrücklich die Zahlen sind, im öffentlichen Diskurs spielen sie kaum eine Rolle. Was auch an uns Zuschauern liegt, die wir uns allenfalls mäßig für den ganzen deprimierenden Zahlenkram interessieren. Wir wollen keine Manager, die über Gehaltsunterschiede jammern, sondern Mannschaften, die sich erfolgreich gegen die Ungleichheiten auflehnen. So wie Leicester City, das in der letzten Saison englischer Meister wurde, obwohl nur drei Klubs in der Premier League einen noch niedrigeren Personaletat hatten. Auch in Deutschland wurde solch ein Märchen schon mal wahr: Borussia Dortmund holte 2011 die Meisterschaft mit den damals nur zehnthöchsten Gehaltskosten der Bundesliga. Und landete Darmstadt 98 nicht letzte Saison vor Klubs, die mehr als doppelt so viel Geld zur Verfügung hatten?
Es bleibt bei Ausnahmen
Das stimmt alles, und sicher wird auch diese Saison wieder Ausnahmen produzieren. Vielleicht bricht die Berliner Hertha diesmal nach der Winterpause nicht ein, oder vielleicht übertreffen gerade die Kölner die kühnsten Träume ihres Managers. Fatal ist nur: Es würden Ausnahmen bleiben. Die Unterschiede sind inzwischen längst so gewaltig, dass in der Bundesliga ein anderer Meister als die Bayern nicht mehr ernsthaft vorstellbar ist. In den fünf großen Ligen in Europa gibt es nur einen Klub, der einen noch größeren wirtschaftlichen Vorsprung auf den Zweiten hat. Haben die Münchner gut 80 Prozent fürs Personal mehr zur Verfügung als die Dortmunder, sind es bei Paris Saint-Germain in Frankreich sogar 130 Prozent.
Diese Zahlen bedeuten: Wenn alle Dortmunder Spieler bezahlt sind, können sich die Bayern zusätzlich noch die Gehälter von Lewandowski, Neuer, Müller, Lahm, Ribéry und Robben leisten – und obendrauf noch das von Mats Hummels. Ein ähnliches Spiel gibt es weiter unten in der Nahrungskette: Neuling Leipzig lobt sich für eine selbst auferlegte Gehaltsobergrenze. Kein Spieler von RB verdient mehr als drei Millionen Euro Grundgehalt. Aber es gibt sowieso nur ein halbes Dutzend Erstligisten, die diese Schallmauer durchbrechen. Die Gehaltsgrenze in Ingolstadt etwa liegt bei 600 000 Euro, einem Fünftel davon. Manchmal kann man einen Spieler durch besonderen Teamspirit, einen herausragenden Trainer, gewachsenes Vertrauen oder Lebensqualität zum Bleiben bewegen. Aber die wirtschaftlichen Unterschiede nach oben sind für Klubs wie den SC Freiburg schlicht zu groß, um Profis halten zu können. Schöne Sache, als Kicker im beschaulichen Breisgau eine halbe Million zu verdienen, aber selbst mittelgroße Bundesligisten können eben das Dreifache bieten.
Geld schießt Tore
Das ist, was hinter dem Satz „Geld schießt Tore“ steht. Es geht ganz banal um bessere Spieler und inzwischen auch um die besseren Mitarbeiter. Gerade entsteht ein Transfermarkt für Trainer, auf dem Ablösesummen gezahlt werden. Schalkes neuer Manager Christian Heidel kaufte dem FC Augsburg Trainer Weinzierl weg, der sich dann bei Darmstadt 98 bediente. Der Wechsel des Kaderplaners Michael Reschke von Leverkusen zu den Bayern vor zwei Jahren ist wichtiger gewesen als mancher Transfer vermeintlicher Superstars. Unter diesen Umständen stellt Freiburgs Manager Jochen Saier fest: „Jedes Jahr, das wir in der Bundesliga spielen, ist ein Wunder.“
Wunder gibt es zwar immer wieder, aber wie ist es dazu gekommen, dass Fleiß und gute Arbeit nicht mehr reichen, um mithalten zu können? Finanzielle Unterschiede zwischen den Klubs in der Bundesliga gab es immer, doch bis 1992 hatten sie nur mit überschaubaren Fakten zu tun: der Größe des Stadions, der Zahl der Fans und der Zahlungswilligkeit der Sponsoren. Der FC Bayern profitierte Anfang der siebziger Jahre vom Bau des Olympiastadion genau wie Schalke oder Dortmund, die etwas später in neue WM-Stätten umzogen. Ansonsten ging es beinahe sozialistisch zu. Alle Einnahmen vom Fernsehen, auch die der Übertragungen von Europapokalspielen, landeten in einem Topf und wurden durch 18 geteilt. Ob Bayern oder Schalke, die Stuttgarter Kickers oder Wattenscheid 09, alle bekamen den gleichen Anteil.
1992 beschloss der DFB erstmals, die Verteilung der Fernsehgelder an den sportlichen Erfolg zu koppeln. Heribert Bruchhagen, damals Manager bei Schalke 04, bat nach der Entscheidung ins Protokoll aufzunehmen, dass so der Wettbewerb in der Bundesliga beschädigt würde. Selten ist eine Vorhersage im Fußball richtiger gewesen. 1992 wurde nämlich ein Mechanismus in Gang gesetzt, der die Unterschiede Jahr für Jahr vergrößerte. Als Sat.1 etwas später Livespiele zu zeigen begann, gab es dafür eine Million D‑Mark extra für die beteiligten Teams, zu denen natürlich öfter als andere der FC Bayern gehörte. Ab Mitte der Neunziger durften die Teilnehmer der internationalen Wettbewerbe, vor allem die der ebenfalls 1992 gegründeten Champions League, die Fernseheinnahmen im Europapokal weitgehend für sich behalten. Borussia Dortmund war damals genau in dem Moment sportlich erfolgreich, als sich das finanziell zu lohnen begann. Reihenweise konnte der BVB so Italienlegionäre wie Sammer, Kohler oder Reuter zurückkaufen und mit ihnen 1997 die Champions League gewinnen.
Die Schere bricht auseinander
1995 setzte das Bosman-Urteil auch noch das Transfersystem außer Kraft, das den kleinen Klubs geholfen hatte, und immer häufiger war von der „Schere“ die Rede, die zwischen den Kleinen und Großen aufging. „Heute ist das längst keine Schere mehr, die Teile sind längst auseinander geflogen“, sagt Andreas Rettig, Manager des FC St. Pauli und zuvor Sportgeschäftsführer bei der DFL. Man kann auch analog zum eingangs zitierten Gladwell sagen, dass das Virus einer ungleichen Verteilung von Ressourcen inzwischen epidemisch ist.
Dazu muss man wissen: Die Fernseheinnahmen der Klubs, abgesehen vom DFB-Pokal, kommen aus drei Töpfen. Die nationalen Fernsehrechte aus den Geldern der öffentlich-rechtlichen Sender und von Sky werden schon seit vielen Jahren nach dem gleichen Schlüssel verteilt: Der Meister der Bundesliga bekommt ungefähr doppelt so viel wie der Letzte, der Rest staffelt sich dazwischen in gleichmäßigen Abständen. Der zweite Topf aus der internationalen Vermarktung der Bundesligarechte in aller Welt war lange Zeit nicht sonderlich üppig gefüllt und fast zu vernachlässigen. Doch in den letzten Jahren sind die Summen beträchtlich gestiegen und werden danach verteilt, wer international erfolgreich war
Bayern bekommt das Zwölffache
Die Deutsche Fußball-Liga publiziert nicht, welchem Klub welche Beträge überwiesen werden. Uns sind die Zahlen aus der Liga zugespielt worden, und sie zeigen, dass Klubs wie etwa der 1. FC Köln oder Eintracht Frankfurt in der vergangenen Saison jeweils 2,5 Millionen Euro aus der Auslandsvermarktung erhalten haben – so viel wie nie zuvor. Der FC Bayern München hat im gleichen Zeitraum seinen Anteil jedoch auf 30,5 Millionen Euro gesteigert, der Branchenprimus bekommt also nicht nur das Doppelte, sondern das mehr als Zwölffache des Liga-Fußvolks.
Dritter und letztlich entscheidender Faktor sind die TV-Gelder aus der Champions League und Europa League, die von der UEFA öffentlich gemacht werden. Sie sind es, die die Top Vier der Liga zementiert haben. Hier hat der FC Bayern in den letzten fünf Jahren mehr als eine Viertelmilliarde Euro erhalten, Dortmund mehr als 150 Millionen, was die Abstände zu den Klubs, die nicht in der Champions League spielen endgültig gigantisch macht.
Eine halbe Milliarde für den VfL
Als wären diese Unterschiede nicht schon groß genug, spielen auch Investoren im Land der 50+1‑Regel eine immer noch unterschätzte Rolle. Nach Recherchen der TU München hat der Volkswagen-Konzern zwischen 2004 und 2014 fast eine halbe Milliarde Euro in den VfL Wolfsburg investiert. Damit musste übrigens kein Stadion gebaut werden, die örtliche Arena öffnete bereits 2002. Die TSG Hoffenheim hätte sich ohne die Viertelmilliarde Euro an Investitionen von Dietmar Hopp kaum in der Bundesliga etablieren können.
Die Zahlen bei RB Leipzig, von den Münchner Finanzwissenschaftlern nicht ermittelt, dürften kaum darunter liegen. Ansonsten steigen Investoren bislang vor allem bei den Spitzenklubs ein, also dort, wo schon die größte Wirtschaftskraft vorhanden ist. Der FC Bayern sammelte 363 Millionen Euro beim Verkauf von Anteilen an Adidas, Allianz oder Audi ein, Borussia Dortmund 163 Millionen Euro von Evonik, Signal Iduna und Puma.
Mit diesen Investitionen hat sich im Fußball nach und nach eine völlig andere Logik breitgemacht. Es besteht kein Interesse mehr an einem offenen Wettbewerb. Schließlich wären diese Investitionen in Gefahr, wenn Bayern, Dortmund oder Wolfsburg für längere Zeit die internationale Bühne verlassen müssten. Auch deshalb ist die Verteilung der Fernsehgelder inzwischen so geregelt, dass die großen Klubs keine nachhaltigen Probleme bekommen, wenn sportlich mal alles aus dem Ruder läuft wie bei Borussia Dortmund im letzten Jahr von Jürgen Klopp.
Kein Wunder also, dass Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge im DFB-Pokal Setzlisten einführen wollte. Schalkes Finanzchef Peter Peters hätte im gleichen Wettbewerb das Halbfinale gerne in Hin- und Rückspielen austragen lassen. Wäre ja noch schöner, an einem schlechten Tag gegen irgendeine Gurkenmannschaft rauszufliegen. Deutlichster Ausdruck dieser Versicherungsmentalität ist aber die neueste Reform der Champions League, die ab 2018 gelten wird: Sechzehn Teams aus den großen vier Ligen sind nun sicher dabei, die unkalkulierbaren Playoffs sind gestrichen.
Die Champions League zerstört sich selbst
So wird die Champions League ihr Zerstörungswerk in noch größerem Tempo fortsetzen. Dabei forderte selbst das wirtschaftsliberale englische Magazin „The Economist“ in diesem Frühjahr kopfschüttelnd: „Die Champions League sollte die Prämien aufgrund dessen verteilen, wie weit eine Mannschaft kommt – und nicht woher sie kommt.“ Es gibt nämlich einen sogenannten Marktpool, aus dem die Klubs je nach Herkunft unterschiedlich prämiert werden. Als der FC Basel in der vorletzten Saison das Achtelfinale erreichte, bekam er dafür 20 Millionen Euro. Auch Paris Saint-Germain kam bis ins Achtelfinale, erhielt aber 52 Millionen Euro. Die schnöde Logik hinter der ungleichen Verteilung von TV-Geldern in der Champions League: Die Sender aus Frankreich bezahlen halt viel mehr Geld als die aus der Schweiz.
Was bedeutet: Ein stolzer Klub wie Ajax Amsterdam aus dem kleinen Holland wird unter diesen Bedingungen genauso wenig jemals wieder die Champions League gewinnen wie der FC Porto aus Portugal – von Roter Stern Belgrad aus Serbien und Steaua Bukarest aus Rumänien ganz zu schweigen. Kein Wunder, dass sie oft genug nur noch Kanonenfutter in der Vorrunde sind. Außerdem werden die jeweiligen nationalen Ligen ihre besten Spieler noch früher verlieren, und das Interesse am nationalen Fußball wird in diesen Ländern noch stärker abnehmen.
Natürlich lässt sich alles immer irgendwie begründen, auch die Tatsache, dass die Bayern in Deutschland das meiste Fernsehgeld erhalten. Schließlich stehen sie selbst in einem harten Wettbewerb, nur eben nicht mehr mit den früheren Konkurrenten aus Hamburg, Frankfurt und Köln, sondern mit Manchester City oder Real Madrid. In ihren Duellen mit den europäischen Giganten treffen die Bayern auf Gegner, die ihrerseits oft dreistellige Millionenbeträge mehr in ihre Teams investieren können. Manchester City etwa gab im Vorjahr 310 Millionen Euro fürs Personal aus, knapp 50 Prozent mehr als die Münchner.
Alles wie bisher
Und trotzdem ist im Laufe der letzten 25 Jahre im Fußball ein komplett dysfunktionales System entstanden, in dem der Wettbewerb an vielen Stellen völlig zerstört ist. Und nun?
Kulturpessimistisch formuliert, geht erst einmal alles so weiter wie bisher. Weil viele Leute inzwischen nicht nur ins Stadion kommen, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht. Sie kommen auch, um große Stars zu sehen und weil Fußball selbst bei vorhersagbarem Ausgang ein schönes Spektakel sein kann. Auch die Unterwettbewerbe in der Bundesliga haben noch einen nachvollziehbaren Reiz. Ob Bremen es schafft, drin zu bleiben – und vielleicht sogar wieder Darmstadt? Oder ob einer in die internationalen Ränge rutscht, der dafür eigentlich nicht vorgesehen ist.
Doch dieser Reiz ist wie ein Methadonprogramm. Insgesamt ist der Fußball erschöpft und mit einem Mehltau überzogen, der alles erschlaffen lässt. Der Fußball, wie wir ihn kennen, es geht gerade zu Ende mit ihm. Eine Bundesliga ohne Meisterschaftskampf und ohne zumindest den Anflug von Chancengleichheit ist keine Liga, die das Interesse lohnt.
Vom Sponsor zum Besitzer
Also noch einmal: Was wird passieren? Ligachef und BVB-Präsident Reinhard Rauball hat kürzlich entschlossen verkündet: „Ich bin ein klarer Befürworter der 50+1‑Regel.“ Das hat er schon häufiger gesagt, aber Rauball könnte mit dieser Haltung bald relativ einsam dastehen. Denn in der Fußballszene wird inzwischen ziemlich ergebnisoffen darüber diskutiert, ob offene Arme für Investoren die Liga nicht wieder spannender machen würden. Dass Unternehmen die Mehrheit an Klubs erwerben dürfen, klingt sogar für viele Fans inzwischen verlockender als jemals zuvor. Investoren, so die Theorie, könnten die gegenwärtigen wirtschaftlichen Unterschiede einebnen. Interessenten aus den USA und dem Mittleren Osten, vor allem aber aus China, klopfen schon seit Monaten bei deutschen Klubs an und sondieren die Möglichkeiten.
Theoretisch durchgespielt würde das bedeuten, dass der Hamburger SV sich nicht mit einem launischen Milliardär und dessen seltsamer Beraterschar herumstreiten müsste, sondern ein chinesischer Staatskonzern in den Klub dreistellige Millionenbeträge investieren würde? Den 1. FC Köln würden katarische Millionen nach vorne bringen, Eintracht Frankfurt würde sich über entschlossene Investoren aus den USA freuen, während bei Schalke 04 Gazprom vom Sponsor zum Besitzer würde. Moral und Fußballkultur einmal beiseitegelassen, würden solche Übernahmen zweifellos zumindest die Vorteile der Konzernklubs aus Leverkusen und Wolfsburg, Hoffenheim und Leipzig egalisieren, die schon heute von Investoren profitieren. Was jedoch oft vergessen wird: Ein Investoreneinstieg ist immer ein Sondereffekt, den Klub kann man nur einmal verkaufen. Und selbst wenn reihenweise Klubs an Investoren verhökert würden, würden immer nur vier von ihnen die tollen Einnahmen in der Champions League kassieren. Nachhaltig würde sich nichts ändern.
Und würde es sich für Investoren überhaupt rechnen, bei Bundesligisten einzusteigen? Das Beispiel England zeigt, dass ein Fußballklub durchaus ein Geschäft sein kann. In der vorletzten Saison machten 14 von 20 Klubs der Premier League Gewinn, sogar Manchester City trotz seiner exorbitanten Ausgaben. Der FC Liverpool kam sogar auf ein Plus von fast 70 Millionen Euro. Zu diesen Gewinnen haben neben enormen Fernsehgeldern auch die exorbitanten Eintrittspreise in englischen Stadien beigetragen. Um doch mal moralisch zu werden: In Deutschland wären Vereine in Privatbesitz ein epochaler Bruch mit allem, wie Fußballklubs bei uns verstanden werden. Selbst wenn Investoren in der Bundesliga den sportlichen Wettkampf doch in Gang setzen würden, wäre die endgültige Entfremdung zwischen Klubs und Publikum wohl die logische Konsequenz.
Wolfgang Holzhäuser war viele Jahre lang Geschäftsführer von Bayer Leverkusen und davor Ligasekretär beim DFB. Inzwischen ist er in Rente, reist gutgelaunt mit seinem ehemaligen Klub durch Europa und meldet sich manchmal zu Wort. Neulich holte er seinen alten Vorschlag aus der Mottenkiste, in der Bundesliga Playoffs um die Meisterschaft einzuführen. Auf Nachfrage hält er das für eine Notlösung, die „immer noch besser ist, als wenn die Bayern schon im Oktober Meister sind.“ Doch eigentlich treibt Holzhäuser etwas anderes um: „Wer ernsthaft die Dominanz einzelner Klubs durchbrechen will, muss im Sport ansetzen.“ Holzhäuser glaubt, dass der europäische Fußball nicht daran vorbei kommt, sich am US-Profisport zu orientieren, also ein Draftsystem und Gehaltsobergrenzen einzuführen. Dann hätten die großen Klubs nicht mehr Geld für die Gehälter ihrer Spieler zur Verfügung.
Auch sein ehemaliger Widerpart in vielen Diskussionen, der Mahner Heribert Bruchhagen, fände es inzwischen richtig, wenn man dafür sorgte, dass die besten Klubs als letzte auf die besten Spieler zugreifen könnten, wie das im US-Sport üblich ist. In den USA trägt Drafting erfolgreich zu einem ausgeglichenen Wettbewerb bei. Ein Blick in die Siegerlisten von Baseball, Football oder NBA belegt das und macht zugleich klar, dass Chancengleichheit wirtschaftlichen Erfolg nicht verhindert. Die Dallas Cowboys, laut Forbes mit vier Milliarden Dollar der wertvollste Sportklub der Welt, haben in den 56 Jahren ihres Bestehens den Super Bowl nur fünf Mal gewonnen.
Draftsystem ist nicht umsetzbar
Doch unendlich kompliziert wäre ein Draftsystem im Fußball, weil es nicht nur um eine Liga in einem Land ginge, sondern um ein System, das viele Länder und Ligen erfassen müsste. Muss das argentinische Supertalent dann zum italienischen Abstiegskandidaten? Würde der tolle deutsche Nachwuchsspieler, der von Ingolstadt gedraftet wird, aber nach München oder Dortmund will, nicht vor jedem Arbeitsgericht gewinnen?
Holzhäuser möchte die Pläne trotzdem gerne mal genauer durchspielen lassen und Rechtsgutachten beauftragen. Außerdem sagt er voraus: „Die Champions League wird irgendwann der richtige Wettbewerb sein.“ Die Bundesliga würde dazu eine Art „Vorqualifikation.“ Aber ist das nicht schon längst so? Sind für die Bayern die nationalen Kicks nicht oft nur noch ein Warm-up für die großen Spiele in der Champions League? Kein Wunder, dass es aktuelle Überlegungen gibt, die Spiele der Champions League am Wochenende auszutragen. Wenn die Zuschauer Zeit haben, sollen sie Bayern gegen Real Madrid gucken dürfen und nicht Bayern gegen Frankfurt schauen müssen.
Das wäre eine weitere Näherung an eine Europaliga, die als Drohkulisse seit 25 Jahren eine gespenstische Schattenexistenz führt. Schon die Gründung der Champions League war eine Reaktion der Uefa auf die Behauptung großer Klubs, sonst eine Europaliga zu gründen. Seit einem Vierteljahrhundert wird sie immer dann wieder hervorgeholt, wenn es um die Verteilung von Geldern geht. Seit auch die Fifa davon träumt, größer ins Geschäft mit dem Vereinsfußball einzusteigen, gibt es sogar die Option einer globalen Champions League oder gar Weltliga. Bayern gegen Boca Juniors, oder Dortmund gegen Kaizer Chiefs klingt schließlich auch nicht schlecht.
Fußball in zwei Versionen
Der gewaltige Druck, der durch die Champions League auf den nationalen Ligen lastet, und der durch internationale Fernsehgelder völlig verzerrte Wettbewerb führten aber zu einer interessanten Wendung der Diskussion. Um sich von dem Mehltau zu befreien, der über dem Fußball liegt, denken einige Manager das Unvorstellbare: Dass es nämlich keine Katastrophe, sondern vielleicht sogar eine Erlösung wäre, wenn sich die großen Klubs – ob der FC Bayern oder vielleicht auch Dortmund und Leverkusen – aus der Bundesliga in irgendwelche Europa- oder Weltligen verabschieden würden. Klar, für die Zurückbleibenden würde es ohne die Zugpferde vom Fernsehen deutlich weniger Geld geben. Aber man könnte es so gerecht verteilen, dass der Sport wieder im Vordergrund stünde und nicht mehr das Geld.
Es wäre natürlich der komplette Umsturz und maximale Bruch, wenn sich der Fußball in zwei Versionen seiner selbst teilen würde. Eine glitzernde, voller Stars, für ein globales Publikum. Und eine zweite, nahbare, für ein lokales oder regionales Publikum. Doch solche Gedankenspiele zeigen nur, wie groß die Verzweiflung längst ist. Der Fußball steht auf jeden Fall vor einen Zeitenwende, offen ist nur, wie radikal sie auf welche Weise ausfallen wird.