Die nationalen Ligen veröden, in der Champions League gewinnen stets die gleichen Klubs. Der moderne Fußball richtete sich schon vor der Corona-Krise selbst zugrunde. Aber was kommt danach?
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Außerdem präsentieren wir euch an dieser Stelle in den kommenden Wochen weitere spektakuläre Reportagen, Interviews und Bilderserien. Heute: Der Untergang des Fußballs.
Der Artikel erschien erstmals im Jahr 2016.
Eines Tages werden wir uns zu erinnern versuchen, wann es losging. War es, als wir nicht mehr wussten, wie die Gruppengegner von Bayern und Dortmund in der Champions League heißen? War es, als wir nicht mehr genau wussten, ob heute die Bundesliga spielt? Oder als der FC Bayern in diesem Herbst zum Spiel gegen Ingolstadt erstmals noch Karten an der Tageskasse verkaufte? Als in Mainz die Ränge löchrig besetzt waren, obwohl St. Etienne in der Europa League doch kein unattraktiver Gast war? Oder als beim Länderspiel gegen Finnland in Mönchengladbach viele tausend Plätze leer blieben? Waren das die Momente, in denen wir ahnten, dass die Ära des Fußballs, wie wir ihn kannten, vorbei war?
Der kanadische Autor Malcolm Gladwell hat im Bestseller „Tipping Point“ das Phänomen von Trends und sprunghaften Veränderungen untersucht. Er beschreibt darin den rasanten Rückgang der Kriminalität im New York der neunziger Jahre oder wie Bücher zuvor völlig unbekannter Autoren in Windeseile zu riesigen Bestsellern werden. Solche Erscheinungen haben laut Gladwell einen Tipping Point. Einen Moment des Umkippens, von dem aus sich die Dinge plötzlich und rasant verändern. Gladwell vergleicht das mit Epidemien: „Ideen und Produkte und Botschaften und Verhaltensweisen verbreiten sich genauso wie ein Virus.“
Ist der Fußball also von einem Virus befallen, das zu seinem Untergang führen könnte? Auf den ersten Blick ist das eine abwegige Vorstellung. Die Bundesligastadien sind voll, und die TV-Quoten haben sich nicht erwähnenswert verschlechtert. Die Fernsehrechte an der Bundesliga sind gerade sogar erstmals für mehr als eine Milliarde Euro pro Saison verkauft worden, und die Sponsoren rennen den großen Klubs die Bude ein.
Der Fußball ändert sich
Doch wer Fans, aber auch Manager, Trainer oder Spieler fragt, ob sich gerade grundsätzlich was ändert, der sieht sie alle nach kurzem Nachdenken nicken. Aus der Fußballbranche will das niemand laut bestätigen, wer will schon sein Geschäft schlecht reden. Aber alle finden, dass etwas vom Zauber des Fußballs verfliegt. Das hat mit dem bizarren Zustand der großen Fußballverbände Fifa und Uefa zu tun, der Korruption oder den absurden Plänen zu einer Weltmeisterschaft mit 40 oder 48 Teilnehmern. Doch das wesentliche Thema ist ein anderes: Der sportliche Wettbewerb funktioniert nicht mehr!
„Die Leute gehen zum Fußball, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht“, war einer der goldenen Sätze Sepp Herbergers. Doch er gilt heute viel zu oft nicht mehr. Immer öfter haben wir das Gefühl, im Prinzip schon zu wissen, wie es ausgeht. Wir kennen natürlich nicht das genaue Ergebnis, aber mächtig schiebt sich eine andere Wahrheit in den Vordergrund: „Geld schießt Tore.“
Einen direkten Zusammenhang zwischen finanziellem Einsatz und sportlichem Ertrag gibt es überall, wo professionell Fußball gespielt wird. Legt man die Tabelle einer Liga und die Rangliste der Personalkosten der Klubs nebeneinander, sind sie im Schnitt von zehn Jahren deckungsgleich. Das ist nicht nur so behauptet, der Wirtschaftswissenschaftler Stefan Szymanski hat es 2009 am Beispiel England nachgewiesen. Dort müssen die Klubs in den Geschäftsberichten nämlich diese Kosten offenlegen. Laut Szymanski zeigt sich: „Je mehr Gehälter man bezahlen kann, desto weiter oben in der Tabelle wird man landen.“ Nicht in jedem Moment und jedem Jahr, aber auf Dauer.
Unterschiede in der Liga sind wettbewerbsverzerrend
In Deutschland sind die Personalkosten der Profimannschaften ein gut gehütetes Geheimnis. Um an aussagekräftige Zahlen zu kommen, haben wir daher mit zahlreichen Bundesligamanagern, Spielerberatern und etlichen anderen Insidern gesprochen. Durch diesen Schwarm von Experten entstehen verlässliche Schätzungen, was die Klubs für die Profis und das Trainerteam ihres Bundesligakaders in der laufenden Saison ausgeben. Erfolgsprämien sind dabei so wenig eingerechnet wie Ausgaben für Nachwuchsleistungszentren, die zweiten Mannschaften oder das nicht-sportliche Personal.
Überraschend bei den Zahlen ist, mit welch bescheidenen Mitteln der FC Ingolstadt und der FC Augsburg nach wie vor arbeiten müssen und wie wenig von der früheren wirtschaftlichen Kraft bei Werder Bremen übriggeblieben ist. Erstaunlich zudem, wie groß die sportlichen Unterschiede zwischen Borussia Mönchengladbach und dem Hamburger SV sind, obwohl die Klubs bei den Personalkosten nah beieinanderliegen. Die wichtigste Erkenntnis jedoch: Die Unterschiede in der Liga sind wettbewerbsverzerrend. Hertha BSC hat das Doppelte von Darmstadt zur Verfügung, Schalke 04 das Doppelte von Hertha und der FC Bayern wiederum das Doppelte von Schalke. Wäre die Bundesliga ein Autorennen, würden nagelneue Ferraris und Porsches gegen angejahrte Golfs und Kadetts fahren. Hintendran tuckert das Prekariat von Freiburg bis Augsburg im Kleinwagen, dann kommt die Mittelklasse, und die Spitzengruppe der Enteilten rast vorneweg. Sie macht die europäischen Plätze unter sich aus – einsam angeführt vom FC Bayern München.
Dass die Tabelle der Personaletats mit der durchschnittlichen Platzierung der letzten fünf Jahre weitgehend übereinstimmt, ist kein Wunder. Geld schießt vielleicht keine Tore, die am besten bezahlten Fußballer aber tun es. Zahlreiche deprimierende Zahlen sind der Beleg dafür. So watschen die Bayern das Fußvolk der Liga immer torreicher ab. Siegten sie zwischen 2000 und 2011 insgesamt elf Mal mit fünf oder mehr Toren Unterschied, gab es in den letzten fünf Spielzeiten schon 18 dieser deklassierenden Münchner Siege. Ähnlich geht es in der Champions League zu, wo die Bayern in den letzten fünf Spielzeiten stolze zehn Siege mit vier und mehr Toren Unterschied feierten, bei den fünf vorangegangenen Teilnahmen waren es nur halb so viele.