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Wenn Blicke kotzen könnten, das Ruhr­sta­dien wäre an jenem Don­ners­tag­abend wohl über­ge­laufen. Können sie aber nicht. Und so blieb den Bochumer Zuschauern erst einmal nichts anderes übrig, als fas­sungslos in die end­lose Leere zu starren. Kopf­schüt­teln, Mund abputzen, weiter geht es! Aber, geht es wirk­lich weiter?



Es ist der 30. Sep­tember 2004. Der VfL Bochum steht auf der Schwelle zur nächsten UEFA-Cup Runde, eine mit­tel­schwere Sen­sa­tion in der Ruhr­ge­biets­stadt, in der es nicht viel­mehr gibt als ein schiffs­ähn­li­ches Uni­ver­si­täts­ge­bäude, die wohl beste Cur­ry­wurst der Welt und den VfL. Es läuft die Nach­spiel­zeit, Bochum führt mit 1:0, nur noch ein paar Sekunden sind zu spielen, dann ist der VfL eine Runde weiter. Die Stadt wartet auf die Party ihres Lebens. Nur noch ein paar Sekunden. Der Ball kommt über die linke Seite in den Bochumer Straf­raum, langsam kul­lert das Spiel­gerät über den Rasen, ist bereit, vom Bochumer Ver­tei­diger mit einem beherzten Spann­stoß über das Tri­bü­nen­dach gefeuert zu werden. Nur noch ein paar Sekunden. Der Ball kommt, der Abwehr­spieler holt aus – komm schon, Spann­stoß, Sta­di­on­dach, Party, nur noch ein paar Sekunden – und schlägt über den Ball. Der Ball kommt zu einem Lüt­ti­cher Angreifer, der die Kugel direkt nimmt – und trifft. 1:1, Abpfiff, die Party ist vorbei, die Kurve schweigt. Können Blicke kotzen? Ich schrecke heute noch manchmal nachts hoch, bin schweiß­ge­badet, weil diese Szene vor meinen Augen abläuft“, sagt der dama­lige Bochumer Trainer Peter Neururer heute.

Das Spiel hätte Bochum retten können

In dieser Szene liegt dann der Abwehr­spieler Edu­ardo Gon­calves de Oli­veira, genannt Edu, am Boden und kotzt seinen Blick auf den Rasen. Er war zur fal­schen Zeit am fal­schen Ort, stand auf dem fal­schen Bein und trat an der fal­schen Stelle in ein Luft­loch. Irgendwie war alles falsch. Neururer ist sich sicher: Hätten wir dieses Spiel gewonnen, dann wären wir an grö­ßere Geld­töpfe her­an­ge­kommen. Das hätte uns auf Jahre Sicher­heit gegeben. Aber ich habe dann Edu ein­ge­wech­selt. Das tut mir bis heute leid für den Jungen.“ Neururer hatte Edu 2003 nach Bochum geholt. Er hatte den langen Ver­tei­diger in Bra­si­lien gesehen und schwärmte in den höchsten Tönen: Als ich ihn damals das erste Mal gesehen hatte, wusste ich sofort, dass aus ihm ein sehr guter Innen­ver­tei­diger werden kann. Er war unglaub­lich ath­le­tisch, auch tech­nisch brauchte man ihm nichts mehr bei­bringen.“

Die Nach­lese: Inter gegen Schalke im 11FREUNDE-Live­ti­cker »>

Am Morgen nach Lüt­tich werden die Leute aus der Kurve Edu beim Trai­ning begrüßen, ihm auf die Schulter klopfen, Teddys schenken, Briefe über­rei­chen. Sie wissen, dass sie ihrem Edu nun helfen müssen. Echte Kumpel stehen zusammen. Auch Peter Neururer wusste, dass er etwas tun muss: Seit dem Spiel gegen Lüt­tich war Edu für unsere Defen­sive ver­brannt. Wenn ich ihn noch mal ein­ge­wech­selt hätte, dann hätte die ganze Mann­schaft gezit­tert. Das war zwar nicht gerecht­fer­tigt, weil auch jeder andere diesen Fehler hätte machen können, aber in diesem Fall hat es eben Edu getroffen.“ Neururer gab seinen Bra­si­lianer nicht auf und funk­tio­nierte Edu zum Stürmer um.

Wir wussten, dass er wahn­sin­nige Fähig­keiten besitzt, die wir nicht ver­schenken wollten. Hinten konnte ich ihn nicht mehr bringen. Um ihn und die Mann­schaft zu schützen, habe ich ihn vorne rein­ge­stellt, weil ich sicher war, dass er das kann.“ Edu erzielte für den VfL Bochum in der Fol­ge­saison 12 Tore in der zweiten Liga und hatte so maß­geb­li­chen Anteil am Auf­stieg der Unab­steig­baren“. An Lüt­tich dachte da nie­mand mehr. Auch Neururer war Geschichte. Der neue Mann hieß Marcel Koller.

Erst Mainz, dann in die Sack­gasse

Koller hatte in Bochum keine Ver­wen­dung mehr für den Angreifer Edu, schließ­lich hatte er soeben einen grie­chi­schen Nobody namens Theo­fanis Gekas ver­pflichtet. Edu ging wenig später nach Mainz. Doch auch dort kam er nicht zurecht, denn unter Jürgen Klopp war er nur Stürmer Nummer vier. Er flüch­tete nach Süd­korea zu den Suwon Blue­wing. Und was auf den ersten Blick wie eine kar­rie­re­tech­ni­sche Sack­gasse klingt, gab Edu scheinbar neue Kraft. Unter dem Trainer Bum-Kun Cha wurde der Linksfuß zum Publi­kums­lieb­ling, schoss 26 Tore in 76 Spielen, wurde 2008 sogar Meister. Im Januar zau­berte ihn dann plötz­lich Felix Magath aus dem Hut. Auch Neururer war ver­dutzt: Das war schon kurios. Ich frage mich bis heute wie der FC Schalke auf einen Stürmer aus der süd­ko­rea­ni­schen Liga kommt. Der Tipp kam auf jeden Fall nicht von mir.“

Magath sta­pelt hoch

Bei Edus Vor­stel­lung sagte sein neuer Trainer Felix Magath: Er hat das Niveau, sich viel­leicht sogar inter­na­tional durch­zu­setzen.“ Fast schon ein Rit­ter­schlag von Magath, der sonst eher ein Freund des Tief­sta­pelns ist. Und auch sein Ent­de­cker Peter Neururer ist sich sicher, dass Edu ein­schlagen wird: Er ist kein typi­scher Bra­si­lianer, der immer zu spät kommt. Er ist ein hoch­an­stän­diger Kerl, der hart arbeitet. Mit seiner Dynamik, seinem linken Schuss und seiner Kopf­ball­stärke wird dem FC Schalke mit Sicher­heit helfen können.“

Doch lange war Edu auf Schalke nur zum Erwärmen der Ersatz­bank da. Kurz­ein­sätze schienen sein Schicksal zu sein. Ges­tern Abend gestand sogar Franz Becken­bauer: Edu? Ich muss zugeben, den kenne ich eigent­lich gar nicht!“ Doch dann, in diesem Spiel, in dem alles mög­lich zu sein schien, ackerte sich Edu­ardo Gon­calves de Oli­veira end­gültig in die Ahnen­ga­lerie des euro­päi­schen Fuß­balls. Zwei Tore. Und wieder erbrach sich ein ganzes Sta­dion kol­lektiv aus den Augen.