Nach fünf Jahren wird Kevin Kuranyi Dynamo Moskau verlassen. In Russland war der ehemalige Nationalspieler ein gefeierter Star – und Wegbereiter für millionenschwere Transfers.
Journalistische Texte, in denen der Autor das Wort „Ich“ verwendet, sind nicht gern gesehen. Für viele Redaktionen sind sie gar ein Tabu. Doch wenn es um Kevin Kuranyi geht und seine Zeit in Russland, kann ich nicht anders, als mit einer persönlichen Erfahrung von 2012 beginnen. Dabei habe ich den ehemaligen deutschen Nationalspieler niemals persönlich kennen gelernt. Auch geografisch war ich ihm damals nicht besonders nah. Fast 1300 Kilometer lagen zwischen mir und Kuranyi. Doch trotzdem ist mir an jenem Februarabend klargeworden, welche eine Bedeutung der Stürmer für den russischen Fußball hat.
Sechs Millionen Euro für Kuranyi?
„Warum beruft Jogi Löw nicht Kevin Kuranyi in die deutsche Nationalmannschaft“, fragten mich im Vorfeld der Europameisterschaft 2012 drei russische Sportjournalisten bei einer Veranstaltung in Warschau. Als ich ihnen gemeinsam mit einem deutschen Kollegen erklärte, dass er nicht in das Konzept des Bundestrainers passe, er es sich außerdem mit seiner Flucht aus dem Dortmunder Stadion beim Länderspiel gegen Russland im Oktober 2008 mit Löw verscherzt hatte, verstanden die Russen die Welt nicht mehr. Für sie war Kuranyi ein Spitzenstürmer, der trotz seiner Makel einen Stammplatz in der Nationalmannschaft verdient hätte. Als man ihnen dann noch erklärte, dass Kuranyi in der Bundesliga niemals einen so gut dotierten Vertrag erhalten hätte, wie in Russland, brach für die russischen Journalisten die Welt endgültig zusammen. In ihren Augen waren die sechs Millionen Euro, die Kuranyi pro Saison bei Dynamo Moskau verdiente, gut angelegtes Geld. „Wir in Russland sind jedenfalls stolz, dass so ein Spieler in unserer Liga spielt“, erwiderte einer der russischen Journalisten.
Am Samstag, mit einem 1:1 gegen Kuban Krasnodar, endete nun für Kevin Kuranyi sein Engagement bei Dynamo Moskau. Nach fünf Jahren, 151 Pflichtspielen, 56 Toren, 24 Vorlagen, 27 Gelben Karten und zwei Platzverweisen sagt Kuranyi „Do swidanija“. Ein Abschied, der versüßt wird durch die Qualifikation für die Europa League, die im Grunde genommen aber nichts anderes ist als ein Minimalziel. Denn als Kuranyi 2010 verpflichtet wurde, sollte er den Verein zu Meisterschaften und in die Champions League führen. Doch so sehr er sich auch mühte, den Sprung an die Spitze der russischen Premjer Liga schaffte er mit Dynamo Moskau nie. Zenit Sankt Petersburg und ZSKA Moskau erwiesen sich in den Jahren als zu stark. Sowohl sportlich als auch finanziell.
Dabei hat Dynamo Moskau in den vergangenen Jahren durchaus viel Geld investiert. Allein für den russischen Nationalspieler Alexander Kokorin, den Ungarn Balasz Dzudzsak und den ehemaligen Herthaner Christopher Samba überwies Dynamo 48 Millionen Ablöse an den Pleite-Club Anschi Machatschkala. Wie ein Schnäppchen wirkt dagegen der französische Nationalspieler Mathieu Valbuena, der nach der WM in Brasilien für sieben Millionen Euro von Marseille nach Moskau wechselte. Doch nicht nur Dynamo rüstete personell auf, sondern auch die Konkurrenz. Allen voran Zenit Sankt Petersburg. Allein für den Brasilianer Hulk und den belgischen Nationalspieler Axel Witsel zahlte der Gazprom-Verein im Sommer 2012 80 Millionen Euro. Geld, das bei den Spitzenklubs der Premjer Liga vorhanden war, obwohl die Verdienstmöglichkeiten durch Merchandising und Fernsehrechte in der Liga sehr gering sind. Gerade mal 84 Millionen Euro an TV-Geldern bekommen die 16 Erstligisten – für insgesamt drei Spielzeiten.
Auf Kuranyi folgten Hulk, Criscito und Kollegen
Doch Geld war vorhanden, zumindest bei den Spitzenklubs, die sich alle im Besitz von Staatskonzernen oder Oligarchen befinden. Und auch schon vor dem Transfer von Kuranyi statteten sie die Legionäre mit gut honorierten Verträgen aus. Kuranyi war jedoch der erste namhafte Profi aus einer der führenden, europäischen Ligen und zudem ehemaliger Nationalspieler aus einem der wichtigsten Fußballländer des Kontinents. Er war eine Art Türöffner für die ihm in die Liga folgenden Stars wie Hulk, Dominiko Criscito und Co..
Aber so sehr die Stars auch in den vergangenen fünf Jahren nach Russland gelockt wurden und diese die Liga auch verändert haben. Einen sportlichen Sprung hat die Premjer Liga nicht gemacht. Und dies symbolisiert kein Verein so sehr wie Dynamo Moskau. Während es für den einstigen KGB-Klub nur für die Europa League reicht, schaffen es die russischen Spitzenklubs bis heute nicht, ernsthaft um den Champions League-Titel mitzuspielen.
Kann Dynamo den Stürmer nicht mehr bezahlen?
Gleichzeitig stehen Kevin Kuranyi und Dynamo Moskau auch für die Veränderungen, die dem russischen Fußball durch die Wirtschaftskrise in naher Zukunft drohen. Offiziell heißt es, dass Kuranyi aus familiären Gründen Moskau verlässt. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass Dynamo sich den ehemaligen deutschen Nationalspieler durch den Rubelverfall einfach nicht mehr leisten kann. Noch im Januar 2014 musste Dynamo, der wie in Russland üblich seine ausländischen Profis und russischen Nationalspieler in Euro bezahlt, rund 21 Millionen Rubel aufbringen, um Kuranyi die monatlichen 475.000 Euro zu bezahlen. Im Dezember, dem Höhepunkt der Rubelkrise, waren es 47 Millionen Rubel. Für die VTB, jene Bank, die sich auch auf der westlichen Sanktionsliste befindet und die Dynamo besitzt, eine schwere wirtschaftliche Belastung.
Auf einen weniger gut dotierten Vertrag von zwei Millionen Euro wollte sich Kuranyi nicht einlassen. Deswegen könnte sein letztes Spiel am Samstag, bei dem ihm zum Abschied auch die Gegner aus Krasnodar Spalier standen, eine neue Entwicklung einleiten: mit ihm könnte die Flucht der ausländischen Stars aus der Premjer Liga beginnen.