„Zu pummelig für Arsenal!“ Dieses Urteil ließ Harry Kane nicht auf sich sitzen – und steht heute Abend als vielleicht bester Vollblutstürmer der Welt im Champions-League-Achtelfinale gegen Juventus Turin.
Der ehemalige Tottenham-Trainer David Pleat hat Kane einmal einen „altmodischen Mittelstürmer“ genannt. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Richtig ist: Kane fällt auf dem Platz oft nicht besonders auf. Erst der Moment des Torabschlusses ist seine Situation. Kane hat eine exzellente Schusstechnik und einen überragenden Zug zum Tor. Deshalb sind seine Treffer nicht immer die allerschönsten: Weil er keine Sekunde zögert, den Torabschluss zu suchen. Nicht, weil er nicht anders könnte.
Zugleich steht Kane aber nicht nur vorne drin und wartet auf die Bälle. Vielleicht ebenso wichtig wie seine Tore ist für seine Mitspieler das Defensivspiel des Stürmers, der mit großer Ausdauer und läuferischem Aufwand die gegnerischen Abwehrreihen unter Druck setzt. Richtiger ist also, was Sami Khedira vor dem Achtelfinale der Spurs gegen Juventus Turin der „BBC“ sagte: „Er ist für mich der kompletteste Stürmer – kopfball- und schussstark, schnell und er kann mit nur einem Ballkontakt treffen“.
Die Anti-Diva
Zum anderen ist das wenige Aufsehen um Kane sicherlich auch auf seinen gegenüber manch anderem Jungprofi sehr ruhig und bescheiden daherkommenden Lebenswandel zurückzuführen. Kane ist geradezu ein Musterschüler, die Anti-Diva, wenn man so will. Englands Nationalcoach Gareth Southgate sagte über seinen Schützling: „Er ist das Vorbild, das man sich wünscht.“
Zwar gilt Kane als legitimer Nachfolger Wayne Rooneys im Trikot der Three Lions, verglichen wird er aber eher mit Teddy Sheringham und Alan Shearer, den Stars der späten 90er. Er ist unweit der White Hart Lane aufgewachsen, spielt für den Herzensverein seiner Jugend und ist mit seiner Jugendfreundin liiert – soweit die Gemeinsamkeiten mit Rooney. Im Gegensatz zu diesem geht Kane bisher allerdings ohne permanente Skandälchen durch seine Karriere – und die sind auch kaum von ihm zu erwarten. Kane spielt in der Freizeit leidenschaftlich Golf und ist mit seinem Trainer privat befreundet. Er trinkt nicht und hat einen Ernährungsberater und Koch engagiert. Seine Hunde heißen Wilson und Brady – nach den NFL-Größen Russell Wilson und Tom Brady.
Das Beste, was mir je passiert ist
Tom Brady wurde 2000 erst an 199. Stelle des Drafts der Jugendspieler ausgewählt und von den New England Patriots verpflichtet. Heute gilt er als einer der besten Quarterbacks aller Zeiten. Für Harry Kane war diese Geschichte geradezu wegweisend, hat er vor wenigen Tagen dem Magazin „The Players’ Tribune“ verraten. Auch seine Karriere verlief nicht immer gradlinig. Als Kind wurde er bei Arsenal und Watford aussortiert, ehe er mit elf Jahren bei den Spurs unterkam. Auch als angehender Profi-Kicker sah es zwischenzeitlich noch einmal finster aus. Gleich viermal wurde er an unterklassige Teams verliehen, bevor er sich bei seinem Stammverein durchsetzen konnte. Doch Kanes Ausdauer und Disziplin sollten sich lohnen.
Der frühere Chef von Arsenals Jugendakademie verkündete unlängst, man habe den jungen Kane einst aussortiert, weil er einfach zu „pummelig“ war und man ihm keine herausragende sportliche Karriere zutraute. Arsène Wenger sagte, er wusste nicht, ob er lachen oder sich ärgern solle, als er von dieser unglücklichen Anekdote erfahren habe. Harry Kane selbst hingegen meint, die Ausbootung bei Arsenal habe ihn zur Höchstleistung angespornt: „Es ist wahrscheinlich das Beste, was mir je passiert ist“.