Heute feiert Bundesliga-Rekordspieler Karl-Heinz Körbel seinen 60. Geburtstag. Eintracht-Fan Stephan Reich wischt sich gratulierend eine Träne aus dem Auge.
Eine der bittersten Enttäuschungen meiner Kindheit war der Wechsel von Andi Möller zu Juventus Turin. Als knapp achtjähriger Eintracht-Fan war Möller just an der Schwelle, mein persönlicher Held zu werden, gleichbedeutend mit He-Man, dem Ultimate Warrior oder Donald Duck. An den Wochenenden raste Möller durch die Mittelfelder der Sportschau, vor der ich gebannt saß, und manchmal war er dabei so schnell, dass ihm das schwarz-rot gestreifte Trikot wie eine Fahne über den Platz folgte. Als führe er eine Armee aus Geschwindigkeit und Spielkultur an, die gleich den Strafraum des Gegners einnehmen würde. Vielleicht, dachte ich, ist Möller sogar besser als He-Man. Den gab es schließlich gar nicht, soweit ich wusste.
Aber dann wechselte Möller, und das, obwohl er wenige Tage zuvor gesagt hatte, es sei ihm „eine moralische Verpflichtung, für Frankfurt zu spielen.“ Nun wusste ich als Siebenjähriger nicht viel über Moral, vielleicht bis heute zu wenig, aber das Möller ging, schmerzte. Als ich meinem Onkel, der mich zur Eintracht gebracht hatte, mein Leid klagte, und ihm von dem Möller-Trikot erzählte, das ich mir so gern zu Weihnachten gewünscht hätte, blickte er mich weise an, wuschelte mir onkelnd durchs Haar und sagte „Junge, das macht nichts. Spieler kommen und gehen, nur ein paar ganz wenige bleiben für immer und das sind dann die Besonderen. Es kann nicht jeder ein Charly Körbel sein.“
Über Charly Körbel wusste ich damals fast genauso wenig wie über Moral. Aber natürlich schlug ich ihn in meinem Bundesliga-Buch nach. 602 Bundesligaspiele, alle für die Eintracht. UEFA-Cup-Sieger, DFB-Pokalsieger. Ich staunte. Körbel war ja viel besser als Möller. Wenn auch nicht so schnell, wahrscheinlich.
Mit all den Jahren, die ich der Eintracht verbunden blieb, wurde mir mehr und mehr die Bedeutung Körbels für diesen Verein bewusst. Die ganzen Aufs und Abs, die diesen Verein so sehr auszeichnen, Körbel hat sie alle mitgemacht. Nur einmal war er ein paar Monate von seiner Diva getrennt, als man ihn als Coach verheizte. „Das hat mich damals fast umgebracht.“, sagte er mal, und man glaubt es ihm. Charly Körbel hätte locker woanders spielen, zu den Bayern gehen, er hätte weitaus mehr Spiele in der Nationalelf machen und viel erfolgreicher sein können. Aber was heißt denn Erfolg?
Vor einigen Jahren dann hatte ich selber die Gelegenheit, mit Körbel zu reden. Im Interview sprach er über sein erstes Bundesligaspiel, das weit vor meiner Geburt liegt. Er habe auch viel Glück gehabt, sagte Körbel bescheiden, und ich dachte, dass das gleiche für den Verein gelte. Als vor der Saison Sebastian Rode oder Sebastian Jung die Eintracht verließen, Spieler, die Integrationsfiguren hätten werden können, ärgerte mich das, aber übel genommen habe ich ihnen das nicht. Niemand bleibt noch bei seinem Verein, kaum ein Spieler hat überhaupt noch so etwas wie „seinen“ Verein. Körbel ist seit über 40 Jahren bei der Eintracht. So etwas wird es wahrscheinlich nie wieder geben.
Ein Trikot von Möller habe ich übrigens niemals besessen. Eines von Körbel natürlich auch nicht. Aber bald ist ja Weihnachten.