Bayerns Kader ächzt unter der Last: Dem Team fehlen Thiago und eine gute Bank. Auch am Formtief der Etablierten trägt die Führung eine Mitschuld.
Der Abschied von Thiago hätte auch zu einem Rosamunde-Pilcher-Titel gereicht: Tränen in der Tiefgarage. Karl-Heinz Rummenigge erzählte bereitwillig, dass er sich neben all den dicken Autos der Stars mit dem weinenden Thiago in den Armen lag. Dessen Familie sei sehr oft auch bei den Rummenigges zum Essen vorbei gekommen, presste der Vorstandsvorsitzende auf die Gefühlsglasur. Dabei schwang das in diesen Momenten übliche Pathos mit, dass kein hochrangiger Spieler die Bayern-Heimeligkeit gerne verlässt.
Eigentlich hatten die Bayern mit Thiagos Verlängerung geplant – bis sich dieser für Liverpool entschied. Die Frage bleibt, ob die Klubführung den teuren und verletzungsanfälligen Spanier mit aller Macht halten wollte. Schließlich hatten sie ein Urvertrauen in ihren Champions-League-Sieger-Kader; sie sahen sich mit Joshua Kimmich und Leon Goretzka in der Zentrale ausgezeichnet besetzt.
Thiago aber hatte bis zum Gewinn der Trophäe 2020 fast alle Spiele im Wettbewerb absolviert. Im Spielstil der Bayern, die ständig auf die Vorspultaste drücken, war Thiago so etwas wie der Pausenknopf. Wann immer es brenzlig wurde und sich die wilden Laufkerle mal erholen mussten, genügte ein Pass auf den Spanier. Thiago konnte das Spiel zähmen und den Ball, wie es eigentlich bei Stürmern heißt, „festmachen“.
Zugegebenermaßen war es selbst für die Münchner schwierig, einen gleichwertigen Ersatz für den Ausnahmekönner zu akquirieren. In Corona-Zeiten fallen Verstärkungen für die Spitze des Kaders schwer, die Bayern aber haben bisher auch für die Breite keine Glücksgriffe tätigen können.
Mit Marc Roca, einem jungen Spanier im defensiven Mittelfeld und der tragischen Figur in Kiel, schien Trainer Hansi Flick bislang noch nicht viel anfangen zu können. Roca kam in der Bundesliga auf kümmerliche 21 Minuten Einsatzzeit. Auch Rechtsverteidiger Bouna Sarr wusste nicht zu überzeugen. In Zusammenhang mit dem Leistungstief des Franzosen Benjamin Pavard klagen die Bayern gerade wieder über die Vakanz auf dieser Seite. Rummenigge ließ verlauten, er würde gerne dafür Kimmich klonen. Doch mit Kimmich verhält es sich wie mit tragenden Wänden in einem Haus. Wenn sie verrückt werden, kracht es. Im Mittelfeld brauchen die Bayern nicht nur dessen Ballsicherheit, sondern auch die Qualitäten als Antreiber. Wenn Kimmich nun also wieder rechts aushelfen muss, zeugt das auch von der Fehlplanung der Führung.
Zwei Spiele haben die Bayern zwar erst verloren, doch sie haben schon in den Wochen vor der Winterpause das alte Uli-Hoeneß-Zitat widerlegt: The trend is your friend. Der Leistungstrend bei den Bayern zeigte schon lange nach unten, wurde aber von den Comeback-Fertigkeiten überdeckt. Die Mannschaft wirkt verständlicherweise überspielt und ermüdet – vom erbarmungslosen Spielplan, aber auch vom pausenlosen Pressen. In der vergangenen Saison konnte Trainer Flick immer noch frische Beine und Ideen einwechseln, derart versierte Lückenfüller wie Ivan Perisic und Philippe Coutinho fehlen der Mannschaft zurzeit. Für die Kür auf dem Rasen braucht Flick schnelle Kur von der Bank.
Auch in der Verteidigung schien die Elf ausgezeichnet besetzt – mit Niklas Süle, Jerome Boateng und David Alaba. Es mag Zufall sein, dass alle drei ihrer Form hinterherhinken, seitdem öffentlich über ihre Zukunft spekuliert wird. Doch gerade im Fall Alaba haben sich die Bayern wahrlich keinen Gefallen getan, dem Bild des raffgierigen Söldners mindestens nicht zu widersprechen. Man könnte auch sagen: Sie haben die Berichte durch gekränkten Stolz mit angestoßen.
Für die Kür auf dem Rasen braucht Flick schnelle Kur von der Bank.
Nicht jeder Spieler, der den FC Bayern verlässt, verabschiedet sich mit belegter Stimme und wird bei der Suche des Glücks woanders nicht mehr fündig. Das kann man leicht bei Toni Kroos erfragen. Vielleicht merken die Verantwortlichen gerade jetzt, dass ihnen so mancher Abgang mehr wehtun kann als dem Spieler selbst.
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