Gonçalo Ramos überraschte mit seinem Dreierpack gegen die Schweiz die Fußballwelt. In der portugiesischen Liga macht der 21-Jährige das schon länger. Was zeichnet den Ronaldo-Vertreter aus?
Yann Sommer drehte sich um und schaute ungläubig auf den aus dem Tornetz abtropfenden Ball. Mit 106 Stundenkilometern war die Kugel direkt über ihm eingeschlagen. Dabei stand Sommer gut positioniert im Torwarteck. Und trotzdem war der Abschluss von Gonçalo Matias Ramos für den Schweizer Schlussmann unhaltbar. Der portugiesische Stürmer machte so seinem Spitznamen „O Feiticeiro“ (Zu Deutsch: Der Zauberer) alle Ehre.
Zwei weitere Zaubereinlagen, die in einem Ramos-Tor endeten, sollten noch folgen. Ramos war der Protagonist beim 6:1‑Achtelfinalsieg der Portugiesen und zog mit einer Legende gleich, denn: Einem gewissen Miroslav Klose gelang 2002 auch ein Dreierpack bei seinem WM-Startelf-Debüt. Da war „der Zauberer“ erst seit einem Jahr auf der Welt. Und viele Beobachter sahen in dieser Glanzleistung bereits die Einleitung einer Zeitenwende im portugiesischen Fußball. Denn Ramos verdrängte den großen Cristiano Ronaldo nicht nur auf die Bank – er machte ihn schier vergessen.
Ihn Alter von 12 Jahren ging es für Ramos in die Jugend von Benfica Lissabon. Dort, und in den U‑Nationalmannschaften, verdiente er sich seinen Spitznamen. „Da ich bei Abprallern etwas Glück habe, kommt der Ball immer zu mir“, erklärte er einst in einem Interview mit „Canal 11“, wie es zu „O Feiticeiro“ kam. Seine Tore feierte er damals noch, indem er in eine imaginäre Glaskugel schaute. Inzwischen verwendet er die Pistolero-Geste, wie bei allen drei Toren beim Achtelfinalsieg.
Ramos überraschende Aufstellung anstelle von Cristiano Ronaldo rechtfertigte Trainer Fernando Santos mit „taktischen Gründen“. Der 1,85-Meter große Ramos zeichnet sich durch seine Beweglichkeit aus und war von der neu formierten Dreierkette der Schweizer nicht zu packen. Als „Vollblutstürmer“ bezeichnete ihn ARD-Experte Bastian Schweinsteiger, da Ramos bei seinen Toren gegen die Schweiz das gesamte Repertoire aufbot: Er traf per Vollspann, schob eine scharfe Flanke ein und netzte per Lupfer. Dabei geht beinahe unter, dass er zudem den Treffer von Raphaël Guerreiro per No-Look-Pass vorbereitete, aber auch eine Riesenchance im Eins-gegen-Eins mit Sommer vergab.
Seine enorme Abschlussstärke stellt er zuvor bereits bei Benfica Lissabon unter Beweis. Mit neun Toren (und drei Vorlagen) in elf Spielen ist er der Top-Torjäger der portugiesischen Liga. Einen großen Anteil daran hat der deutsche Trainer Roger Schmidt, der mit Champions-League-Gruppensieger Benfica wettbewerbsübergreifend noch ungeschlagen ist.
In einem Gespräch mit „Benfica Play“ bezeichnete der 21-Jährige Schmidt als einen der besten Trainer, mit denen er bislang zusammenarbeiten durfte. Und sagte dass der Coach versuche, mit jedem Spieler eine Freundschaft aufzubauen. Ramos dankt es Schmidt, indem er den Abgang von Darwin Núñez zu Liverpool vergessen macht.
Ob er nun auch Cristiano Ronaldo vollends vergessen macht, bleibt abzuwarten. Im Viertelfinale müssen die Europameister von 2016 am Samstag gegen Marokko ran. Für die Laune des Superstars und Kapitäns wäre eine erneute Degradierung auf die Bank nicht förderlich. Auch wenn der auf Instagram mehrfach signalisierte, sich voll in den Dienst der Mannschaft stellen zu wollen. Entgegen anders lautender Gerüchte.
Allerdings ist Ronaldo auf dem Rasen nicht gerade für seinen Kampfgeist und eine überbordende Lust am Laufen bekannt, „O Feiticeiro“ in seiner Heimat hingegen schon. Gegen die willensstarken und kompromisslosen Marokkaner, die bisher erst ein Gegentor kassiert haben, ist Ramos also durchaus eine Option.
„Ich wähle die Spieler aus, die am besten zu meiner Strategie passen“, sagte Portugal-Coach Santos, der ebenfalls Ramos Dynamik hervorhob. So störte der Stürmer den Schweizer Spielaufbau energisch und machte viele defensive Laufwege. Eine Qualität, die einen enormen Wert hat und die Santos scheinbar schätzt. Gerade weil Ronaldo diese Wege nicht mehr geht.
Als die Reporter nach dem Schweiz-Spiel die obligatorischen Fragen bezüglich eines weiteren Startelfeinsatzes stellten, blieb Ramos diplomatisch: „Das entscheide nicht ich“. Und bezogen auf seinen Dreierpack sagte er: „Es ist ein Traum, der für mich in Erfüllung geht.“ Vielleicht setzt sich der Traum von „O Feiticeiro“ gegen Marokko weiter fort.
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