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Nach der letzten Trai­nings­ein­heit winkt Trainer God­frey Chi­talu kurz zu ihm her­über. Aggrey Chi­yangi geht hin, langsam, noch immer brennt an jenem Mitt­woch im April 1993 die Nach­mit­tags­sonne über Sam­bias Haupt­stadt Lusaka. Der Ver­tei­diger, mit 20 Jahren eines der größten Talente seines Landes, hat gut trai­niert, erwartet letzte Anwei­sungen. Am nächsten Tag reist die Mann­schaft zum Qua­li­fi­ka­ti­ons­spiel für den Afrika-Cup auf Mau­ri­tius, direkt danach in den Senegal, zur WM-Qua­li­fi­ka­tion. Mit ihm – natür­lich. Doch der Trainer wählt andere Worte. Ein Ver­tei­diger, der in Marokko unter Ver­trag steht, habe kurz­fristig die Frei­gabe von seinem Verein für die Län­der­spiele bekommen: Es tut mir leid, aber du fliegst nicht mit.“

Ein ent­schul­di­gender Blick, er habe drei anderen Spie­lern die gleiche Bot­schaft über­mit­teln müssen. Doch Chi­yangi dreht sich nur wortlos um und geht wütend in die Kabine. Für ihn steht außer Frage, dass er mit seiner Schnel­lig­keit, der Sprung­kraft, der Technik zu den besten Spie­lern Sam­bias gehört. Einer auf dem direkten Weg in eine euro­päi­sche Liga. Hatten ihn nicht des­halb gerade die Power Dynamos ver­pflichtet, eines der sam­bi­schen Top-Teams? Chi­yangi bringt in seiner Ent­täu­schung kaum ein Wort über die Lippen, vor allem das Spiel im Senegal soll den Auf­takt von Sam­bias erster WM-Qua­li­fi­ka­tion bilden, das his­to­ri­sche Spiel würde nun ohne ihn statt­finden. Seine Nie­der­lage, die erste große seiner Kar­riere.

Die Buf­falo ist abge­stürzt – alle sind tot!

Es ver­gehen einige Tage bis zum Morgen des 28. April, der seine Freunde davon­reißen und ihm ein zweites Leben schenken wird. Die Haus­häl­terin klopft an die Woh­nungstür, auf­ge­regt, unge­wohnt hys­te­risch. Aggrey, sie sagen, sie sind alle tot“, stam­melt sie, die Buf­falo ist abge­stürzt.“ Das klapp­rige Mili­tär­flug­zeug, Typ Buf­falo DHC-5D, mit der die Regie­rung ihre besten Fuß­ball­spieler seit Jahren quer durch Afrika schickt, ist in der ver­gan­genen Nacht nicht wie geplant im Senegal ange­kommen. Chi­yangi stürzt zum Radio. Die BBC hat gerade eine Son­der­sen­dung zu dem Unglück begonnen, das sich kurz nach einem Zwi­schen­stopp vor der Küste Gabuns ereignet hat. Es gebe ersten Erkennt­nissen zufolge keine Über­le­benden, sagt die Spre­cherin. 18 Spieler, dazu die Trainer, Betreuer – alle tot. Chi­yangi, der Aus­ge­mus­terte – am Leben. Auch wenn es sich nicht so anfühlt. Benommen geht er zum Sta­dion von Kitwe, der Indus­trie­stadt im Norden Sam­bias. Unter­wegs trifft er Mann­schafts­ka­me­raden, die instinktiv den glei­chen Weg ein­ge­schlagen haben. Es hält sich noch das Gerücht, es gebe zwei Über­le­bende, doch so recht kann keiner daran glauben. Eine merk­wür­dige Stille liegt über der Sze­nerie. Der Schock hat sich über das gesamte Land mit seinen damals 8,5 Mil­lionen Ein­woh­nern aus­ge­breitet.

Wäh­rend sich Chi­yangi auf den Weg macht, klin­gelt viele tau­send Kilo­meter weiter nörd­lich in einem Haus in Eind­hoven das Telefon. Seit 1988 spielt Kalusha Bwalya hier beim PSV in Hol­land, seit dem Jahr, in dem er bei den Olym­pi­schen Spielen in Seoul gegen Ita­lien drei Tore erzielte – das 4:0 hat ihn end­gültig zum größten Fuß­ball­star in der Geschichte Sam­bias gemacht. Er soll erst am Don­nerstag in den Senegal reisen. Gerade hat Bwalya seine ein­jäh­rige Tochter Olivia zu den Nach­barn gebracht, nur für die Stunde, wäh­rend der er im Wald laufen gehen will. Aber ja doch, das Telefon. Er geht zurück ins Haus.

Der Finanz­di­rektor des Ver­bandes ist dran, seltsam, der ruft nie an. Hallo Kalu? Du musst deine Reise ver­schieben.“ – Warum?“ – Ich kann nicht viel sagen im Moment. Das Flug­zeug, es gab einen Unfall. Im Moment sagen die Leute, dass es neun Über­le­bende gibt.“ Als Bwalya den Fern­seher anmacht, berichtet auch CNN live von der Unglücks­stelle. Neun Über­le­bende, denkt der Profi, neun Über­le­bende. Doch eine Frau spricht in die Kamera: Es gibt keine Über­le­benden.“

Ein Tag wie in Trance, fremd­be­stimmt. Freunde kommen, sie haben die Arbeit ver­lassen. Das Telefon klin­gelt unun­ter­bro­chen, bis zum Abend. Die meisten wollen wissen, ob Bwalya an Bord war, was über­haupt pas­siert ist. Doch der Stürmer weiß auch nichts. Nur, dass er am Leben ist. Und seine Mann­schafts­ka­me­raden tot sind. Kann das wirk­lich sein? Der groß­ar­tige Tor­wart Efford Cha­bala, den er so lange kennt, wie er Fuß­ball spielt. Oder Wisdom Chansa, der Lieb­ling der Massen, mit dem er auf­ge­wachsen ist, einer seiner besten Freunde. Die Leute riefen immer Wiz! Wiz!“, wenn der Stürmer an den Ball kam. Mit ihm hatte er immer zuerst geju­belt, wenn er eines seiner unzäh­ligen Tore geschossen hatte.

Bitte flieg nicht“, fleht ihn seine Frau an

Der 28. April 1993 ist ein Tag, an dem der Schre­cken über das Telefon kommt. Bei Ken­neth Mali­toli klin­gelt es in einem Appar­te­ment in Tunis, der Haupt­stadt Tune­siens. Erst vor ein paar Wochen ist der Mit­tel­feld­spieler von Nkana FC Kitwe zu Espé­rance Tunis gewech­selt, wie Bwalya ist er jetzt einer von fünf Aus­lands­profis, die indi­vi­duell anreisen dürfen. Als es klin­gelt, packt er gerade seine Rei­se­ta­sche. Als er auf­ge­legt hat, liegt ihm nichts ferner, als sie zu benutzen. In drei Tagen würden die Trau­er­feiern in Sambia beginnen, hatte es geheißen. Bitte flieg nicht“, fleht ihn seine Frau unter Tränen an. Bitte flieg nicht!“ Noch ist in diesen Stunden nicht klar, was das Flug­zeug zum Absturz gebracht hat. Erst zehn Jahre später, im Jahr 2003, wird die Regie­rung ihren Abschluss­be­richt vor­legen. Der Pilot sei müde gewesen, heißt es da, er hatte das Team am Tag vor der Abreise erst aus Mau­ri­tius zurück­ge­flogen, wo die Pflicht­auf­gabe in der Afrika-Cup-Qua­li­fi­ka­tion locker mit 3:0 erle­digt worden war. Die Reise vom Süden Afrikas nach Dakar an der west­lichsten Stelle des Kon­ti­nents erfor­derte Tank­stopps in Braz­z­aville (Repu­blik Kongo), Libre­ville (Gabun) und Abi­djan (Elfen­bein­küste).

Doch schon in Abi­djan kam das Flug­zeug nicht mehr an. 500 Meter vor der Küste Gabuns, kurz vor Mit­ter­nacht des 27. April 1993, fing der linke Motor Feuer. Der über­mü­dete Pilot schal­tete anstelle dieses Trieb­werks offenbar den ver­blie­benen rechten Pro­peller ab. Das Todes­ur­teil für 18 Fuß­ball­profis, zwei Trainer, fünf Funk­tio­näre und Betreuer sowie fünf Besat­zungs­mit­glieder – eines der schlimmsten Flug­zeug­un­glücke in der Sport­ge­schichte. Anders als beim Unglücks­flug von Mün­chen im Jahr 1958, bei dem acht Spieler von Man­chester United starben, über­lebte hier nie­mand.

Ken­neth Mali­toli kennt im Moment des ersten Anrufs keines dieser Details, und doch weiß er Bescheid. Oft hatten er und seine Mit­spieler geunkt, dieses Flug­zeug werde sie eines Tages alle umbringen. Keiner lachte dabei. Einmal, etwa zwei Jahre zuvor, wurde die Mili­tär­ma­schine auf dem Weg zu einem Spiel über dem Kongo abge­fangen. Die dor­tigen Sicher­heits­kräfte fürch­teten einen Angriff. Damals war Mali­toli an Bord und ange­sichts der auf­stei­genden kon­go­le­si­schen Luft­waffe sicher, die Buf­falo werde nun abge­schossen. Eine eilig ein­ge­lei­tete Lan­dung ver­hin­derte das, doch das Team wurde ver­haftet und kam erst nach diplo­ma­ti­schen Bemü­hungen des dama­ligen Prä­si­denten Sam­bias, Ken­neth Kaunda, wieder frei. Sie spielten und reisten für den Befrei­ungs­helden. Das Team hatte zwei Spitz­namen: die Chi­polo­polos“ (Gewehr­ku­geln) – und KK 11“, benannt nach den Initialen Kaundas.

Der Unfall hätte jeder­zeit pas­sieren können

Da war auch dieser Flug Ende des Jahres 1992 von Lusaka nach Mada­gaskar, der Insel vor der Süd­ost­küste Afrikas. Damals flog das Team in Best­be­set­zung, auch Kalusha Bwalya war mit an Bord. Als die Maschine das Fest­land hinter sich ließ, machte der Pilot eine Durch­sage: Bitte die Ret­tungs­westen anziehen. Sollten wir abstürzen, dauert es vier Stunden, bis die Maschine ver­sinkt.“ Einige Spieler haben Fotos gemacht, wie sie mit den Westen ein­ander gegen­über­sitzen. Kaum einer der ver­blie­benen Stars von damals kann heute auf diese Fotos schauen, ohne in Tränen aus­zu­bre­chen. Der Unfall hätte jeder­zeit pas­sieren können, das war allen klar, lange bevor er Rea­lität wurde. Flug­si­cher­heit ist in Afrika ein Pro­blem, für eine Maschine wie diese gilt das beson­ders. Jene Spieler, die im Aus­land unter Ver­trag standen, hatten immer ver­sucht, Flüge mit der Buf­falo zu ver­meiden.

Mali­toli steigt am Freitag vor der Beer­di­gung nicht in das Flug­zeug zur Trau­er­feier nach Lusaka. Er hat es seiner ver­zwei­felten Frau ver­spro­chen und wäre mental auch nicht in der Lage dazu – bis heute hält seine Flug­angst an. Sie gedenken der aus dem Leben geris­senen Weg­ge­fährten in Tunis, zusammen mit der Familie eines sam­bi­schen Spie­lers, der eben­falls zu Espé­rance gewech­selt ist. Bwalya aber fliegt, wie könnte der Super­star der Chi­polo­polos in diesen Stunden in Eind­hoven bleiben? Am Tag nach dem Unglück besucht er noch kurz das Ver­eins­ge­lände des PSV. Keiner von euch zeigt ihm Zei­tungs­ar­tikel, keiner spricht mit ihm dar­über“, hat der Trainer die Spieler ermahnt. Im Flug­zeug besteht der Pilot darauf, dass Bwalya in einer der vor­deren Reihen sitzt. Dort fühle man sich sicherer. Der Stürmer ver­sucht, sich nichts anmerken zu lassen, redet sich die sta­tis­ti­sche Unwahr­schein­lich­keit eines wei­teren Absturzes ein. Ein Mann der Stärke, auch jetzt, zumin­dest hält die Fas­sade – doch sor­gen­frei wird er nie wieder ein Flug­zeug betreten. Wenn man jung ist, denkt man, dass nichts pas­siert“, geht es ihm durch den Kopf. Spä­tes­tens an diesem Tag, mit 29 Jahren, endet seine Jugend.

An einem Sams­tag­morgen kommt der Stürmer in Lusaka an. Erst am Nach­mittag werden die 30 Särge derer erwartet, die vor der Küste von Gabun geborgen wurden. Doch als die Men­schen Bwalya sehen, fangen sie an zu weinen. Afrikas Fuß­baller des Jahres 1988 ist das Gesicht des sam­bi­schen Sports, er steht für diese tra­gisch aus­ge­löschte Mann­schaft wie kein Zweiter. Ein paar Stunden ver­bringt er im Foot­ball House“, dem Sitz des sam­bi­schen Fuß­ball­ver­bandes. Dann wartet Bwalya im Inde­pen­dence Sta­dium von Lusaka auf seine getö­teten Freunde. Hun­derte emp­fangen sie vor dem Flug­hafen, Zehn­tau­sende auf dem Weg zum Sta­dion. Kla­ge­laute begleiten die Fahrt, die Ver­zweif­lung bahnt sich ihren Weg. Drei Stunden dauert der Trans­port der Särge zum Sta­dion, an nor­malen Tagen eine Strecke von 15 Minuten. Die Toten sind auf der Lade­fläche meh­rerer Pick-up-Trucks auf­ge­bahrt. Nur eine ein­zige Straße führt zum Flug­hafen, plötz­lich eine Ein­bahn­straße – gegen die Pro­zes­sion, die in Rich­tung Sta­dion drängt, kommt an diesem Tag keiner an. Der Flug der getö­teten Fuß­ball­profis ist der letzte für diesen Tag, das gesamte öffent­liche Leben steht still.