Jogi Löw gewinnt in seinem 150. Spiel als Bundestrainer zum 100. Mal. Ein Meilenstein über den er sich, wen wundert’s, „scho au“ freut.
Längst hat der dunkelhaarige Mann aus Schönau im Schwarzwald seinen Platz in der Ahnengalerie der obersten DFB-Coaches: Wenn Sepp Herberger der großväterliche Fußballweise war, Helmut Schön der sensible Moderator einer goldenen Spieler-Generation, Teamchef Beckenbauer seinen Profis als leuchtendes Vorbild diente, die Fußball noch als harte Arbeit verstanden und ihm aber nacheifern wollten, ist Jogi Löw der etwas nerdige Fußball-Wissenschaftler, der im Laboratorium mit mikroskopischer Genauigkeit in seinem Kader Defizite erkennt und ausmerzt.
Kein Coach personifiziert das Zeitalter der Selbstoptimierung besser als er. Während seine Vorgänger noch mehr oder weniger raue Sportskanonen ins Feld schickten, regiert Jogi Löw, so scheint es, über eine hochsensible Armada aus feinjustierten Fußball-Replikaten, die nur eine entsprechende Pflege für den nachhaltigen Erfolg benötigen.
Schlechteste Platzierung bei einem großen Turnier: Halbfinale
Und wenn er ein Interview gibt, dann klingt auch er mitunter so, als habe ihm ein Kollege aus dem Funktionsteam auf dem Weg ins TV-Studio schnell noch die Software für „Sieg“, „Unentschieden“ oder „Niederlage“ via Bluetooth auf die Festplatte gekabelt. Überhaupt: Löws Ruhepuls scheint sich ohnehin nicht über 45 bpm zu bewegen. Meistens muss er sowieso nur die Sieger-Analyse absondern: Seine Bilanz ist einzigartig. 150 Spiele. 100 Siege. Nur 23 Niederlagen. 364 Tore. 120 eingesetzte Spieler. Schlechteste Platzierung bei einem großen Turnier: Halbfinale.
Er hat einmal gesagt, wenn er morgens aus der Tür seines Hauses tritt, schalte er vom Jogi- in den Bundestrainer-Modus um. Heißt: Der Privatmann, der womöglich eben noch auf dem Sofa Daily Soaps geglotzt hat, der seine Modelleisenbahn im Keller bedient oder sich im Internet vielleicht sogar heiße Bilder angeschaut hat, wird in der Öffentlichkeit zum Staatsmann.
Was wissen wir über Löw? Nicht viel
Nach elf Jahren Löw-Regentschaft wissen wir sehr wenig über den Mann hinter der Bundestrainer-Maske. Wir wissen, dass er in stressigen Spielmomenten zu pikanten Übersprungshandlungen neigt. Dass er einen Hang zu eng geschnittener Mod-Mode hat. Dass er gern Espresso trinkt. Von seiner Frau getrennt lebt. Dass er Raucher ist. Nicht viel für einem Mann, der seit mehr als einem Jahrzehnt steter Gast in unserem Wohnzimmer ist – und bis 2020 wohl auch bleiben wird. Dann wird er Sepp Herberger überholt haben, der mit 168 Einsätzen als einziger Nationalcoach noch vor Löw liegt. Und an dem sich die Historiker bis heute abarbeiten, weil auch bei ihm nie so recht klar geworden ist, was genau für ein Typ er eigentlich war.
Wir wissen wenig über den Menschen Löw. Na und? Zumindest lässt sich festhalten, dass Joachim Löw in einer Zeit, in der von Übungsleitern stets gefordert wird, sie müssten „liefern“, ein verlässlicher Lieferant von Spitzenfußball ist. Was kann man von einem Fußballtrainer mehr verlangen?