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Der Sieg allein war ihnen nicht genug. Nach dem 1:0 im Hin­spiel bei Derby County am ver­gan­genen Samstag wollten die mit­ge­reisten Leeds-Fans den Gegner demü­tigen. Stop Crying, Frank Lam­pard“, sangen sie zur Melodie des Oasis-Klas­si­kers Stop Crying Your Heart Out“. Doch noch ist ein Rück­spiel zu absol­vieren in diesem Halb­fi­nale der Auf­stiegs­runde zur eng­li­schen Pre­mier League. Die Chancen für den Außen­seiter Derby und seinen Chef­coach Frank Lam­pard (40) sind zwar nur noch minimal. Doch die Wut und die Ent­schlos­sen­heit der Rams“ (Widder) könnte größer kaum sein nach dem, was in dieser Saison vor­ge­fallen ist. Ganz Eng­land fragt sich des­halb gespannt, wer diesen Fight zwi­schen zwei Tra­di­ti­ons­klubs, die nur eine gute Auto­stunde trennt, für sich ent­scheiden wird. Und vor allem: mit wel­chen Mit­teln.

Natio­naler Auf­schrei

Schon vor dem Hin­spiel hatte Leeds-Trainer Mar­celo Bielsa, der große argen­ti­ni­sche Fuß­ball-Denker, eines klar gemacht: Im Zweifel ist ihm jedes Mittel recht. Sein Team werde den Ball jeden­falls nicht frei­willig ins Aus schießen, sollte ein Derby-Spieler ver­letzt am Boden liegen bleiben, erklärte der 63-Jäh­rige und leis­tete sich damit ein Sakrileg im selbst erklärten Geburts­land des Fair­play. Das Spiel in einem sol­chen Fall zu stoppen, ist doch Sache des Refe­rees“, höhnte Bielsa ach­sel­zu­ckend. Wir werden nur das tun, was die Regeln uns vor­schreiben. Das werde ich dem Schiri und dem geg­ne­ri­schen Trainer vor dem Anpfiff noch einmal klar mit­teilen.“

Schon wäh­rend der regu­lären Saison hatte Leeds für einen natio­nalen Auf­schrei gesorgt, als man im Zweit­liga-Top­spiel gegen Aston Villa einen Treffer (zum 1:0) erzielte, wäh­rend ein Gegen­spieler bewe­gungs­un­fähig auf dem Rasen lag. Damals hatte Bielsa nach langem Hin und Her ein­ge­lenkt und ange­ordnet, dem Gegner den Aus­gleich zu schenken“. Aber gegen Derby County und Frank Lam­pard? Nach dem, was in dieser Saison zwi­schen diesen beiden Klubs vor­ge­fallen ist?

Agen­ten­af­färe

Da war vor allem das Spy-Gate“, eine Spio­nage-Affäre, die selbst in der Heimat von James Bond für epo­chalen Auf­ruhr sorgte. Anfang des Jahres hatte Mar­celo Bielsa vor einem Liga­spiel zwi­schen Derby und Leeds eine Abord­nung von Agenten zu einem nicht-öffent­li­chen Trai­ning des Geg­ners ent­sandt. Die Spitzel wurden erwischt und lösten sogar einen Poli­zei­ein­satz aus. Das ist unethisch“, zürnte Lam­pard. Bevor ich jemanden los­schicke, der ver­su­chen soll, mit einem Sei­ten­schneider auf ein pri­vates Gelände ein­zu­dringen, um einen Blick zu ergat­tern, würde ich als Trainer auf­hören, weil ich den Gegner respek­tiere.“

Und Bielsa? Der Spross einer Juris­ten­fa­milie („Wir haben nicht gegen gel­tendes Recht ver­stoßen.“) gab sich erstaunt ange­sichts der Auf­re­gung: Wir haben alle Trai­nings­ein­heiten unserer kom­menden Gegner beob­achtet, das ist doch unsere pro­fes­sio­nelle Pflicht. In Argen­ti­nien ist so etwas normal.“ Die gegen Leeds United ver­hängte 200.000-Pfund-Geldstrafe zahlte Bielsa aus eigener Tasche und nutzte die fol­gende Pres­se­kon­fe­renz, um im Rahmen eines 70-minü­tigen Vor­trags zu erklären, warum er Derbys Spiel­weise auch ohne Spione pro­blemlos ent­schlüs­seln könne. Kom­mentar Lam­pard: Ich war aus der Ferne immer ein Fan von Bielsa, ich habe sein Buch zuhause im Wohn­zimmer, aber diese Geschichte trübt meinen Ein­druck gewaltig.“

Bielsa und Lam­pard – das sind zwei Trai­ner­typen, die unter­schied­li­cher kaum sein könnten. Der Argen­ti­nier, Spitz­name El Loco“ (Der Ver­rückte), been­dete seine Pro­fi­kar­riere bereits mit 25 Jahren wegen Per­spek­tiv­lo­sig­keit und begann statt­dessen, die Struktur des Fuß­balls bis in seine letzten Ver­äs­te­lungen zu stu­dieren, zu ana­ly­sieren und zu revo­lu­tio­nieren. Bielsa steht für ein hoch­kom­plexes Stra­te­gie­spiel, irgendwo zwi­schen 4−2−3−1, 3−4−3 und 4−1−4−1, erar­beitet in stun­den­langen Video­ana­lysen und tage­langen Ver­schiebe-Übungen auf dem Platz, wäh­rend die Bälle unbe­nutzt in der Ecke liegen.

Gegen­sätze stoßen sich ab

Lam­pard, 106 Län­der­spiele für Eng­land, 105 Cham­pions-League-Ein­sätze, gilt eher als Prag­ma­tiker. Wenn der 40-jäh­rige Sohn eines Berufs-Fuß­bal­lers (Frank Lam­pard sr.) ein Spiel ana­ly­siert, redet er lieber über Zwei­kampf­ver­halten und Chan­cen­ver­wer­tung als über das stra­te­gi­sche Besetzen der Räume in Ball­nähe und die Plas­ti­zität von Pres­sing­zonen. Lam­pard-Fuß­ball ist typisch bri­tisch: schnell, steil und schnör­kellos. Ohne lis­tige Win­kel­züge.

Pro­fes­so­rale Typen wie Bielsa sind Lam­pard eher zuwider – viel­leicht auch, weil der Argen­ti­nier Derby County schon wäh­rend der regu­lären Saison vor schier unlös­bare Rätsel stellte. Beim ersten Auf­ein­an­der­treffen in Derby (1:4) kon­terte Leeds die wütend atta­ckie­renden Rams“ eis­kalt aus. Im zweiten Spiel ließ Bielsas Team die diesmal tief ste­henden Lam­pard-Schütz­linge so lange laufen, bis sich die ent­schei­denden Lücken auf­taten. Leeds siegte 2:0, ohne sich zu ver­aus­gaben.

Uner­klär­liche Schwä­che­phase

Dank solch starker Leis­tungen hatte die Bielsa-Truppe lange Zeit auf den Plätzen 1 und 2 der zweiten eng­li­schen Liga gelegen, was am Ende den direkten Auf­stieg bedeutet hätte. Erst eine uner­klär­liche Schwä­che­phase in der Schluss­phase der Saison wies Leeds United den beschwer­li­chen Weg durch die Auf­stiegs­runde, in der vier Teams im K.o.-System um nur einen Pre­mier-League-Platz und um die damit ver­bun­denen 200 Mil­lionen Euro Mehr­ein­nahmen kämpfen müssen. Dort trifft der Dritte Leeds auf den Sechsten Derby.

Und so könnte der ver­meint­lich schlichte Lam­pard dem welt­weit geach­teten Fuß­ball-Phi­lo­so­phen Bielsa in nur einem Spiel doch noch alles kaputt machen – und dafür sorgen, dass die Leeds-Fans sich heute an ihren eigenen Spott­ge­sängen ver­schlu­cken. Die geg­ne­ri­schen Anhänger sind natür­lich sie­ges­si­cher nach dem 1:0 im Hin­spiel“, sti­chelt Lam­pard, aber ich begreife das als Her­aus­for­de­rung. Mal sehen, wer am Ende jubi­liert.“ Und wer das Auf­stiegs­fi­nale gegen Aston Villa, die sich am Diens­tag­abend im Elf­me­ter­schießen gegen West Brom­wich durch­setzten, erreicht.