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Ich habe die Ober­schenkel von Roberto Carlos zu dem gemacht, was sie heute sind!“ Vor einer Woche pro­kla­mierte der bra­si­lia­ni­sche Arzt Júlio César Alves die prallen Stelzen des Welt­meis­ters als Pro­dukt seiner Behand­lungs­me­thoden, in der ARD-Doku­men­ta­tion Geheim­sache Doping – Bra­si­liens schmut­ziges Spiel“. Ver­deckt gedreht, offen­bart Alves, wie er angeb­lich Sportler dope – einst auch Welt­meister Roberto Carlos. Wie kam es dazu? Einer der Autoren des Stücks erzählt.

Was war der Aus­löser für die Recher­chen?

Man stelle sich vor, Katrin Müller-Hohen­stein würde im Aktu­ellen Sport­studio einen Stu­dio­gast mit fol­genden Worten anmo­de­rieren: Wir kommen jetzt zu einem Arzt, der behauptet, Teile der deut­schen Sport­elite mit Doping­mit­teln zu ver­sorgen.“

Auf­tritt des Medi­zi­ners. Mitte 50, Dop­pel­kinn, Gold­kett­chen, die Pomade glänzt spe­ckig im Haar. Dut­zende Olym­pia­teil­nehmer betreue er, würde er wie selbst­ver­ständ­lich erzählen. Und Fuß­ball­spieler? Klar, auch Natio­nal­spieler kommen zu mir.“

Eben dieses Sze­nario gab es vor ein paar Jahren in Bra­si­lien, Heimat des Rekord­welt­meis­ters. Bei ESPN Brasil, Ableger des US-TV-Giganten, plau­derte ein Arzt namens Júlio César Alves über seinen ver­meint­li­chen Kun­den­stamm von Welt­klas­se­sport­lern. Ver­bo­tene Sub­stanzen ver­ab­reiche er. Warum auch nicht? Das Gerede von einem sau­beren Sport – für Dr. Alves nichts als Heu­chelei. 2013 war das, ein Jahr vor der WM im eigenen Land.

Vor ein paar Monaten machte uns Luís Horta, ein inter­na­tio­naler Berater der Ver­einten Nationen, auf die Auf­nahmen auf­merksam. Horta arbei­tete bis Mitte 2016 für die bra­si­lia­ni­sche Anti-Doping-Agentur, hatte die TV-Sen­dungen von Alves gesehen. Denn der Auf­tritt von 2013 war kein Ein­zel­fall: Schon Ende 2002 war Alves bei ESPN auf­ge­taucht, hatte lächelnd von seiner VIP-Kund­schaft schwa­dro­niert. Unter seinen Pati­enten, laut Eigen­aus­sage: Zwei Fuß­ball-Welt­meister von 2002.

Ein Dumm­schwätzer – oder Doper von bra­si­lia­ni­schen Spit­zen­sport­lern? Wir machten uns auf den Weg nach Bra­si­lien.

Wie nähert man sich einem ver­meint­li­chen Doping­arzt?

Im Früh­jahr standen wir das erste Mal vor einem grauen Tor, am Stadt­rand von Pira­ci­caba, zwei Auto­stunden nord­west­lich von São Paulo. Durch die abge­dun­kelten Scheiben unseres Vans mus­terten wir eine karge Mauer, die uns den Blick auf die Rua For­ta­leza 11 ver­wehrte. Hatten wir uns viel­leicht ver­fahren? Oder prak­ti­ziert der Arzt, der vor­gibt, die Sport­elite Bra­si­liens zu dopen, wirk­lich hier, am Ende einer stau­bigen Sack­gasse, neben einer abge­rockten Paint­ball-Halle? In einem Anwesen ohne Klin­gel­schild?

Irri­tiert schickten wir unseren ersten bra­si­lia­ni­schen Lock­vogel auf den Weg. Tage zuvor hatte er tele­fo­nisch einen Termin ver­ein­bart bei dem Doktor, unter fal­schem Namen. Seine Legende: er sei ambi­tio­nierter Hob­by­sportler, wolle seine Leis­tung ver­bes­sern. Zur Not auch mit Doping­mit­teln. Wir rüs­teten ihn mit ver­steckten Kameras aus. Ein heikles Unter­fangen: da er sich bei mög­li­chen Unter­su­chungen ent­kleiden könnte, durfte keine Technik am Körper getragen werden. Wir fanden andere Lösungen.

Eine Stunde dau­erte das Erst­ge­spräch – und es brachte erste Erkennt­nisse: auf den Auf­nahmen des Lock­vo­gels sahen wir einen milde drein­bli­ckenden Doktor Alves, der große Hoff­nungen machte: 15 Kilo­gramm Fett werde unser Lock­vogel ver­lieren, mehr als zehn Kilo­gramm Mus­kel­masse hin­zu­ge­winnen, so Alves – ohne, dass er ihn vorher über­haupt unter­sucht hatte. Dann die Frage, die uns hell­hörig werden ließ: In den Wett­be­werben, in denen Sie antreten – gibt es da Doping­tests?“ Beim ersten Termin, nach knapp zehn Minuten: Doktor Alves schien es ernst zu meinen.

Ver­schreibt Alves wirk­lich Doping­mittel?

Ja, und nicht zu knapp. Zwei Wochen nach unserem ersten Besuch in seiner Praxis fuhren wir erneut nach Pira­ci­caba. Nun sollte unser Lock­vogel erfahren, was der ver­trau­ens­er­we­ckende Medi­ziner mit ihm vor­hatte. Diesmal dau­erte das Gespräch fast zwei Stunden. Genug Zeit für Alves, um ein breites Spek­trum an Doping­mit­teln zu ver­schreiben: EPO, ein Doping-Klas­siker in Aus­dau­er­sport­arten, der schon bei Pro­fi­rad­sport­lern zum Tode geführt hat. Clen­bu­terol, ein Käl­ber­mast­mittel, das die Fett­ver­bren­nung anregt. Dazu Oxan­drolon und Tes­to­steron, Sub­stanzen, die einem gesunden Sportler einzig zu Doping­zwe­cken ver­schrieben werden.

Und: Ein Serum, bestehend aus Vit­aminen und anderen Nähr­stoffen. Zehn Dosen für umge­rechnet knapp 2.000 Euro. Ob er auch Fuß­baller so behan­dele? Klar, sagte Alves zu unserem Lock­vogel, er hätte viele Spieler in Betreuung.

Einen Tag nach dem Termin ließen wir uns die Mittel in ein Hotel lie­fern, dis­kret, per Kurier. Neben Dut­zenden Spritzen und Nah­rungs­er­gän­zungs­prä­pa­raten – kilo­weise Doping­mittel.

Wie kam der Name Roberto Carlos ins Spiel?

Schon früh wäh­rend unserer Recher­chen wurde uns der Welt­meister von 2002 als mög­li­cher Alves-Patient genannt. Wir bekamen einen Hin­weis, dass Carlos im Jahr des WM-Tri­umphs in Pira­ci­caba, in der Praxis des Arztes, gesehen worden war. Doch die Quelle wollte sich, wie viele wei­tere Infor­manten auf unserer Reise, nicht offen­baren – die Angst, die fal­schen Leute zu ver­är­gern, war deut­lich spürbar; knapp 60.000 Men­schen werden jähr­lich in Bra­si­lien ermordet.

Doch neben dem anonymen Hin­weis hatten wir wei­tere Indi­zien: Eliane Pereira, eine ehe­ma­lige 1.500-Meter-Läuferin und Pati­entin von Alves, erin­nerte sich vor unseren Kameras an die Begeg­nung mit einem bra­si­lia­ni­schen Fuß­ball-Natio­nal­spieler, 2002, eben­falls in Alves’ Klinik. Den Namen des Spie­lers aber nannte sie nicht, eben­falls aus Angst vor unschönen Kon­se­quenzen.

Alves selbst hatte 2002 in seinem ersten bizarren TV-Auf­tritt von zwei damals aktu­ellen Natio­nal­spie­lern gespro­chen, die er in Behand­lung habe. Auch dies ein wei­teres Puz­zle­stück.

Und schließ­lich, der ent­schei­dende Schritt: wir erhielten Doku­mente, über 200 Seiten. Es han­delte sich um Beweis­ma­te­rial, das die bra­si­lia­ni­sche Anti-Doping-Agentur 2015 zusam­men­ge­stellt und an die Staats­an­walt­schaft von São Paulo wei­ter­ge­reicht hatte. Ein Dos­sier, das sich einzig mit Dr. Júlio César Alves befasste und seinen obskuren Methoden. Es umfasste Rezepte, Behand­lungs­pläne, Zeu­gen­aus­sagen. Und auf Seite 7 der Zusam­men­fas­sung fand sich ein inter­es­santer Name: Eine Person ver­si­cherte dem­nach, Roberto Carlos kurz nach dem WM-Gewinn 2002 in der Praxis von Alves gesehen zu haben.

Die Summe der Indi­zien gab den Aus­schlag: wir müssten noch einmal Kon­takt zu Alves selbst auf­nehmen, ver­su­chen, ihn aus der Reserve zu locken. Nur wie?

Erwähnte der Arzt von sich aus Roberto Carlos?

Ja. Warum? Viel­leicht, weil er uns ver­traute. Und das große Geld roch. Wir kon­tak­tierten Alves unter einem neuen Vor­wand. Wir seien Manager von euro­päi­schen Fuß­ball­profis, würden gerne mit ihm über eine Zusam­men­ar­beit reden – schließ­lich sei er uns ja wärms­tens emp­fohlen worden, von anderen Sport­lern. Unter fal­schem Namen ver­ein­barten wir so ein wei­teres Gespräch mit dem Medi­ziner, per Skype. Alves selbst hatte unseren ersten Lock­vö­geln zuvor erzählt, er berate viele Sportler in Europa, unter ihnen auch Tour-de-France-Teil­nehmer, per Video­schalte.

Früh machte Alves klar, Pati­en­ten­namen könne er uns nicht sagen – das ver­stoße gegen seine Berufs­ethik. Den­noch fragten wir weiter. Wollten wir mit Alves zusam­men­ar­beiten, würden wir schon gerne wissen wollen, an wel­chen Best Cases wir uns ori­en­tieren könnten. Es dau­erte keine zwei Minuten, bis Alves bereit­willig nachgab. Roberto Carlos sei bei ihm in Behand­lung gewesen, erklärte er wie bei­läufig. Mit 15 Jahren sei er das erste Mal zu ihm gekommen. Alves nannte Sub­stanzen, mit denen er den spä­teren drei­fa­chen Cham­pions-League-Sieger angeb­lich behan­delte, sowie wei­tere Ein­zel­heiten der Behand­lung und dessen För­derer. Aus­sagen, für die uns keine wei­teren Belege vor­liegen und des­halb nicht ver­öf­fent­licht wurden. Noch nicht. Ebenso wie wei­tere Namen von Spie­lern.

Warum reagierte Roberto Carlos nicht vor der Sen­dung?

Das fragen wir uns auch. An aus­rei­chend Mög­lich­keiten zur Stel­lung­nahme man­gelte es nicht. Fast eine Woche lang ver­suchten wir, mit Carlos in Kon­takt zu treten. Kon­fron­tierten ihn schrift­lich. Fragten Inter­views an. War­teten vor Hotels und Flug­häfen auf ihn, in Aus­tra­lien und Europa. Ver­geb­lich. Oft trennten uns nur wenige Meter – wie in Car­diff, wo er einen Tag vor dem Cham­pions-League-Finale beim Ulti­mate Cham­pions Match“ mit­wirkte, einem Kla­mauk­spiel von ehe­ma­ligen Welt­stars, auf einem schwim­menden Pla­teau in der Car­diff Bay. Nur, selbst bei einem sol­chen PR-Zirkus mied Carlos die Presse; wäh­rend Kol­legen wie Figo und See­dorf durch die Mixed Zone schlen­derten, ging Sport­freund Roberto nach Spie­lende eine Abkür­zung Rich­tung Spie­lerbus.

Drei Tage vor Aus­strah­lung dann der letzte Ver­such, noch einmal tele­fo­nisch. Doch: Carlos werde sich zu den von uns gestellten Fragen nicht äußern, sagte uns sein Manage­ment. Somit war klar: Wir würden senden, ohne Stel­lung­nahme des Welt­meis­ters.

Wenige Stunden nach Erst­aus­strah­lung der Sen­dung mel­dete sich Carlos dann schließ­lich doch noch – nicht bei uns, son­dern öffent­lich. Bei Face­book ver­kün­dete er auf Por­tu­gie­sisch und in holp­rigem Eng­lisch, den Arzt – den er nicht nament­lich nennt – nie gekannt“ zu haben. Er hätte sich zudem nie durch Tricks einen Vor­teil“ gegen­über seinen Kol­legen ver­schafft. Das Wort Doping“ gebraucht er nicht. Statt­dessen: Hätte er je ille­gale Mittel zu sich genommen, wären diese bei Tests ent­deckt worden, so seine Begrün­dung. Damit begibt sich Mister-Pralle-Ober­schenkel auf argu­men­tativ wacke­lige Beine: Da bei Doping­kon­trollen in der Regel nur auf ein­zelne Sub­stanzen getestet wird, kann nicht aus­ge­schlossen werden, dass ein dopender Sportler einen Test ohne auf­fäl­lige Befunde besteht.

Somit ist klar: Wei­terhin lässt sich nur von einem Ver­dacht spre­chen. Dem Ver­dacht, dass Roberto Carlos Gast in der Praxis eines Doping­arztes war. Sollte es stimmen: Was hat Carlos bei Doktor Alves gemacht? Wir recher­chieren weiter. Erste Hin­weise, die uns der Wahr­heit näher bringen könnten, haben wir bereits erhalten.