Alfred Schreuder wird Nachfolger von Julian Nagelsmann bei der TSG 1899 Hoffenheim. Ein ziemlicher No-Name. Dabei war sein Engagement bei der niederländischen Nationalmannschaft schon beschlossene Sache.
Etwas mehr als ein Jahr ist es her, da wagte Alfred Schreuder einen Blick in die Kristallkugel. „Im Fußball weiß man nie, was passiert. Ich schließe bestimmt nicht aus, dass ich nochmal in Deutschland anheuern werde. Die Bundesliga ist eine tolle Meisterschaft.“ Das war im Januar 2018. Schreuder hatte sich soeben entschlossen, seinen Job als Assistenz-Coach in Hoffenheim an den Nagel zu hängen. „Wenn Ajax bei dir anklopft, ist es logisch, dass du darüber nachdenkst“, begründete er seinen Wechsel nach Amsterdam, wo das Flaggschiff des niederländischen Fußballs tief in der Krise steckte.
Im Frühjahr 2019 liegt Ajax längst wieder auf Kurs – dank des Cheftrainers Erik Ten Hag und nicht zuletzt wegen des Mannes, der neben ihm auf der Bank sitzt: Alfred Schreuder. Freek Jansen vom Fachblatt Voetbal International bescheinigt ihm einen „hohen Anteil“ am Ajax- Aufschwung. Ter Hag habe viel Vertrauen in seinen Assistenten, einem „großen Taktiker“, mit dem er im engen Austausch stehe und dem er viele Freiheiten im Trainingsalltag lasse.
Raus aus dem Schatten
Kurz nach dem bisherigen Höhepunkt seiner Ajax-Laufbahn macht Schreuder, 46, nun die Rolle rückwärts: so scheinbar überraschend, wie er seinen Abschied aus Hoffenheim verkündete, wird er im kommenden Sommer dorthin zurückkehren. Und zwar nicht mehr als Assistent von Julian Nagelsmann, sondern als Hauptverantwortlicher. Vor Jahresfrist sagte Schreuder selbst einen Satz, der nun wieder an Aktualität gewinnt: „Ich treffe meine Entscheidungen auf der Basis von Herausforderungen.“
Die Herausforderung, die in Hoffenheim auf ihn wartet, hat es in sich. Er muss nicht nur aus dem Schatten von Julian Nagelsmann treten, sondern auch aus der Rolle des Kronprinzen, in der sich Schreuder bislang in der Regel sehr wohl zu fühlen schien.
In den Niederlanden schätzt man ihn als loyalen Fachmann, der nah bei den Spielern ist und der mit seinen Cheftrainern einen Austausch auf Augenhöhe pflegt. Ob wie jetzt mit Erik ten Hag oder zuvor mit Julian Nagelsmann oder Steve McClaren beim FC Twente. Der gemeinsame Titel in der Eredivisie 2010 ist bis heute der größte, den Schreuder in seiner Trainer-Laufbahn gewinnen konnte.
Atemübungen gegen den Stress
In Enschede war es auch, wo Schreuder, der aus dem Städtchen Barneveld im Osten der Niederlande stammt, erstmals als Chefcoach tätig war. Doch Twente befand sich nach der legendären „Kampioenschap“ sportlich und finanziell schon auf dem langen Weg nach unten, und nach einer enttäuschenden Saison und einem verkorksten Beginn der folgenden musste Alfred Schreuder seinen Posten räumen.
Die Volkskrant widmete ihm damals eine Reportage. Sie zeigt einen akribisch arbeitenden Trainer, der ständig über Fußball nachdenkt und sich in der Scheune einen Extra-Raum für Video-Analysen eingerichtet hat. Einen Trainer, der auf Stress-Situation mit Atemübungen reagiert, inspiriert vom Trainer-Guru der Chicago Bulls, Phil Jackson.
Wenige Jahre vor dieser Episode wäre Alfred Schreuder beinahe auf der Bank bei Oranje gelandet. Denn eigentlich hätte er im Sommer 2012 neben dem damaligen Bondscoach Bert van Marwijk Platz nehmen sollen. Doch weil die Niederländer als Vize-Weltmeister die Europameisterschaft an die Wand fuhren, musste mit van Marwijk auch sein designierter Assistent gehen. Er blieb in Enschede und entwickelte derart viel Gestaltungsdrang, dass er zusätzlich die Aufgaben eines Technischen Direktors übernahm.
Als Spieler war Schreuder eine solide Bank im Mittelfeld diverser Eredivisie – Klubs. Die richtig große Bühne blieb ihm allerdings verwehrt. Im ersten seiner drei Engagements bei Feyenoord Rotterdam gehörte er zwar zum Kader, als Meisterschaft und Pokal gewonnen wurden. Einsatzzeiten bekam er, der damals kaum 20 Jahre alt war, allerdings kaum. Stammspieler hingegen war er später in Waalwijk und Breda. Bei NAC gewann er auch seinen einzigen weiteren Titel: die Meisterschaft der zweiten Liga.
Ajax von Deutschland
Dass ein herausragender Trainer in ihm steckt, zeichnete sich damals schon ab. Mehr als andere beschäftigte er sich mit Aufstellungen und mit der Frage, wie er Teamkollegen auf ihren Positionen helfen könne. Auch auf der Bank zeichnete ihn dann die Nähe zu seinen Spielern aus. Bestes Beispiel: Hakim Ziyech, der unter Schreuder bei Twente aufblühte und in jungem Alter Kapitän wurde. Weil er gegen Schreuders Rausschmiss protestierte, verlor Ziyech sein Amt. Seit sich die Beiden bei Ajax wiedertrafen, haben sie ein weiteres Kapitel ihrer besonderen Zusammenarbeit geschrieben.
Dass Schreuder nun nach Hoffenheim geht, ist eigentlich nichts als ein logischer, nächster Schritt. Das vertrauete Umeld in Hoffenheim, ein Konzept, das trotz der finanziellen Möglichkeiten stark auf Entwicklung junger Spieler setzt – das alles passt ins Bild. Überraschend ist höchstens, dass er sich im Februar noch mit einem Verbleib in Amsterdam abgefunden hat.
Da nämlich probierte RB Leipzig im Auftrag des angehenden Cheftrainers, Schreuder abzuwerben. Vergeblich. „Mit Nagelsmann zu arbeiten war toll, aber mir gefällt es auch bei Ajax sehr gut“, kommentierte Schreuder. Nun wird er seinem Buddy von der TSG-Bank also in einigen Monaten gegenübertreten – als Trainer des „Ajax von Deutschland“, wie er das nennt.