Die europäischen Verbände ziehen die „One Love“-Binde aus. Ihre eigene Prinzipienlosigkeit wollen sie sich trotzdem nicht eingestehen.
Das ging schnell. Die Weltmeisterschaft in Katar ist nicht einmal einen Tag alt, da hat sie bereits ihren ersten handfesten Skandal. Am Montagvormittag verschickten nämlich mehrere europäische Mannschaften säuerliche Mitteilungen, in denen sie verkündeten, dass die jeweiligen Kapitäne mit von der FIFA genehmigten Armbinden ihre ersten Gruppenspiele bestreiten werden – und nicht, wie ursprünglich geplant, mit speziellen „One Love“-Binden, mit denen die Nationalmannschaften zumindest subtil gegen Diskriminierung eintreten und für Vielfalt werben wollten.
„Die FIFA hat sehr deutlich gemacht, dass sie sportliche Sanktionen verhängen wird, wenn unsere Kapitäne die Binden auf dem Spielfeld tragen“, jammerte etwa der DFB in einer Mitteilung, die deutlich mehr Fragen aufwarf als sie beantwortete. Der wehleidigen Depesche vorausgegangen waren offenbar erbitterte Auseinandersetzungen zwischen Emissären des Weltverbandes und den Nationalverbänden, in deren Verlauf die FIFA unverhohlen mit Verwarnungen, Sperren und Punktabzügen drohte, sollten die Kapitäne wirklich diese Binden tragen.
Diese Drohkulisse sorgte umgehend dafür, dass die europäischen Teams einknickten. Nicht erst am Montag, sondern schon am Wochenende waren Spieler abgerückt, der holländische Kapitän Virgil van Dijck etwa hatte gemosert, er könne sich nicht vorstellen, für das Tragen der Binde verwarnt zu werden. „Darüber müssen wir reden.“ Im Laufe der Nacht hatte die FIFA dann den Druck noch einmal erhöht, es folgten hektische Konsultationen der Verbände und eine gemeinsame Erklärung, die sich als Dokument kollektiver Hasenfüßigkeit liest.
Zitat aus der Kapitulationserklärung: „Wir waren bereit, Geldstrafen zu zahlen, die normalerweise bei Verstößen gegen die Ausrüstungsvorschriften verhängt würden und hatten eine starke Bindung zum Tragen der Binde.“ Tja, diese Bindung war offenbar so stark, dass die vor dem Turnier von den Verbänden als mutiges Zeichen für Menschenrechte und gegen Diskriminierung eigengelobte Binde plötzlich doch nicht mehr so wichtig war. „Unsere Spieler und Trainer sind enttäuscht – sie sind starke Befürworter der Inklusion und werden ihre Unterstützung auf andere Weise zeigen“, barmten die Verbände und merkten offenbar selbst nicht, wie lächerlich dieses Statement wirken musste, angesichts der Vorgeschichte dieses Streits.
Bereits die Binde selbst war ja ein grotesk bis lächerlich anmutendes Zeichen gewesen. Statt die Regenbogenfarben als global verständliches Symbol für Vielfalt zu benutzen, hatten die Verbände eine belanglose Kombination direkt aus dem Buntstiftkasten gewählt und sich nicht einmal entblödet, einen nichtssagenden Werbeslogan namens „One Love“ als klare Botschaft zu verbrämen. Um es noch einmal deutlich zu formulieren: Die „One Love“-Binde war bereits ein devoter Kniefall vor dem moralisch völlig verwahrlosten FIFA-Establishment gewesen – angesichts von Drohungen nun das ganze Projekt zu beerdigen, ist ein schlechter Witz und viel rufschädigender als jeder sportliche Misserfolg.
Klar ist: Die Verbände hätten es einfach darauf ankommen lassen können. Wäre doch spannend gewesen, ob die FIFA wirklich einen Eklat provoziert und große Verbände wie England, Deutschland oder die Niederlande so eklatant benachteiligt hätte. Und selbst wenn die deutsche Mannschaft womöglich durch Gelbe Karten vorbelastet oder durch Punktabzug abgestraft worden wäre – sie hätte für den Ruf und das Ansehen der Elf in Deutschland wesentlich mehr getan als durch den heutigen Kniefall vor der FIFA.
So bleibt der Eindruck: Die Nationalelf hat keine Prinzipien, die über ein paar schnöde Lippenbekenntnisse hinausgehen. Aber das ist ja nichts Neues.
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