Joey Barton ist einer der letzten brodelnden Vulkane im europäischen Fußball. Mit Olympique Marseille trifft er heute in der Europa League auf Borussia Mönchengladbach. Hier gibt es elf Mal unnützes Wissen zum zarten Rüpel aus Liverpool.
1.
Geboren wurden Joseph Anthony Barton am 2. September 1982 im selben Liverpooler Stadtteil wie Steven Gerrard, der heutige Kapitän des FC Liverpool. Barton wuchs in einem Sozialblock auf und bekam im Gegensatz zu Gerrard die Liebe zum FC Everton in die Weige gelegt: „Ich hatte eine Jahreskarte im Goodison Park. Meine Familie und alle in meinem Umfeld waren Everton-Fans. Ich wollte dort mein ganzes Leben bleiben“, erzählt er einst der BBC. Doch nach sechs Jahren in der Jugend der Toffees musste er den Klub verlassen, weil er den Scouts zu klein und nicht gut genug war. Barton erinnert sich ungern an diese Nachricht: „Ich war 14 Jahre alt und mein Herz war gebrochen.“ Nachdem er bei zahlreichen anderen Klubs angelehnt wurde, ging er 1997 schließlich zu Manchester City.
2.
Sein Karrierestart als Fußballprofi verlief alles andere als glänzend. Im November 2002 wollte sein damaliger Trainer Kevin Keegan dem Talent zu seinem ersten Einsatz in der Premier League verhelfen. Doch unmittelbar vor seiner Einwechslung merkte Barton, dass sein Trikot verschwunden war. Er hatte es in der Halbzeitpause auf der Bank liegen lassen, danach war es unauffindbar. Keegan schickte Barton wieder zurück auf die Bank, auf sein Debüt musste er anschließend ein weiteres halbes Jahr warten.
3.
Früh wurde klar, dass Barton die Gosse in sich trägt. Hier ein kleiner Auszug seiner krassesten Ausraster: In einem Freundschaftsspiel gegen die Doncaster Rovers im November 2004 zettelte er eine Massenschlägerei an, die zehn Minuten andauerte. Auf der Klub-Weihnachtsfeier im Jahr 2004 drückte er einem Jugendspieler eine Zigarre auf das Augenlid, der wiederum hatte vorher versucht Bartons T‑Shirt anzuzünden. Ein halbes Jahr später wurde er bei einem Turnier in Thailand disqualifiziert, weil er eine Schlägerei mit einem anwesenden Fan des FC Everton vom Zaun brach. In der Folge verpflichtete sich Barton, eine Therapie zur Aggressionsbewältigung zu besuchen – allerdings ohne nennenswerten Erfolg. 2005 fuhr er in der Liverpooler Innestadt einen Passanten über den Haufen, 2006 zeigte er aufgebrachten Fans seinen blanken Hintern. Im Mai 2007 wurde er auf dem Trainingsgelände seines neuen Klubs Newcastle United festgenommen, weil er seinen Mitspieler Ousmane Dabo krankenhausreif geprügelt hatte, im Dezember des selben Jahres wurde er erneut verhaftet, weil er mit zwei Freunden einen Passanten an einer Bushaltestelle zusammengeschlagen hatte – natürlich aufgezeichnet von einer Überwachunskamera. Für diese Tat wurde Barton schließlich zu sechs Monaten Haft verurteilt, bereits nach 74 Tagen durfte er jedoch wieder raus.
4.
Um seine Kollegen von Newcastle United etwas zu motivieren, versprach Barton einst, sich solange einen Schnäuzer stehen zu lassen, bis der frisch gebackene Aufsteiger den ersten Sieg in der Premier League einfahren würde. Prompt ging das erste Spiel gegen Manchester United mit 0:3 verloren. Sichtlich beeindruckt von der massiv anwachsenden Popelbremse des Mitteleldmanns, legten sich die Magpies im zweiten Spiel etwas mehr ins Zeug. Newcastle siegte mit 6:0 gegen Aston Villa. Das erste Tor schoss: Joey Barton.
5.
Barton gestand im französichen „So Foot“, dass einer der Auslöser für seine ständigen Ausraster sein Hang zum Alkohol sei: „Wenn man Fußball spielt, hat man eine Menge Druck – von den Fans, den Medien. Deshalb trank ich nach den Spielen immer“, erzählte er und gelobte, dieses Problem mit professioneller Hilfe in den Griff zu bekommen.
6.
Dass das eine massive Fehleinschätzung war, bewies Barton in seinem vorerst letzten Spiel in der Premier League. Am letzten Spieltag der vergangenen Saison verpasste der Kapitän der Queens Park Rangers erst ManCity-Stürmer Carlos Tevez einen Ellbogenschlag. Nachdem er dafür die rote Karte gesehen hatte, trat er Sergio Agüero in den Rücken und konnte von mehreren Mitspielern gerade noch so daran gehindert werden, City-Kapitän Vincent Kompany eine Kopfnuss zu verpassen. Für den unrühmliche Auftritt bekam Barton eine Rekordsperre von zwölf Liga-Spielen aufgebrummt, zudem musste er 93.000 Euro Strafe zahlen. Nach dem Ende der Saison hatte Barton dann auch eine Erklärung für seinen erhöhten Puls parat: „Tevez hat mich geschlagen, das war der Funken, der das Lagerfeuer anzündete“, sagt er und gestand: „Aber in Wahrheit war zuvor schon alles voll mit Benzin.“ Er hatte wieder angefangen zu trinken.
7.
In Folge der Rekordstrafe, die ihn europaweit für ein Drittel der Saison außer Gefecht setzt, lieh Queens Park ihn zu Olympique Marseille aus. Rund um das Stade Velodrome sorgte die Verpflichtung des Kicker-Rebells für einen echten Hype. Zur Begrüßung präsentierten die Fans von Olympique dem beeindruckten Barton ein Riesentransparent mit der Aufschrift „Welcome sweet and tender holligan“ – ein Zitat seiner Lieblingsband „The Smiths“. In der Liga ist Barton bis heute gesperrt und durfte bisher nur in der Europa League für seinen neuen Klub auflaufen.
8.
Trotz all der Arschloch-Aktionen in seiner Vergangenheit, ist Barton bei den Fans äußerst beliebt. Großen Anteil hat daran sicher auch sein Twitter-Account (@joeybarton), in dem Barton sich ungefiltert zu politischen und sportlichen Themen äußerst. Er scheut weder vor Angriffen auf Vereine und Verbände noch vor einer Meinung zu heißen Themen wie etwa Doping im Fußball. Zudem zitiert Barton regelmäßig große Denker wie Nietzsche und Orwell, wenn auch etwas sinnfrei. Alles egal, mittlerweile hat der Social-Media-Profi knapp zwei Millionen Follower gesammelt.
9.
In Marseille scheint man jedoch weniger feingeistige Dinge von Barton zu erwarten. So plauderte Barton jüngst in der Presse über seine Rolle in der Mannschaft: „Wir haben viele kreative Leute, aber ich bin der Mann für die schmutzige Arbeit. Als ich gekommen bin, riefen alle ›Barton, hau einfach einen um.‹“ Sollte zu schaffen sein.
10.
Allerdings scheint die Auslandserfahrung dem aufbrausenden Briten tatsächlich ein wenig die Augen zu öffnen. So schrieb er auf seiner Homepage: „Ich habe mit vielen ausländischen Spieler zusammen gespielt, die ihr Glück in England gesucht haben. Aber ich habe all die alltäglichen Probleme ignoriert, die so ein Wechsel mit sich bringt. Ein neuer Klub, ein neues Land, eine neue Sprache – es ist keine Wunder, warum viele Legionäre ein Jahr brauchen, um ihr Bestes zu zeigen.“
11.
Welch menschliche Tiefe tatsächlich in dem vermeintlich dumpfen Rüpel steckt, zeigte Barton zuletzt, als er die Hinterbliebenen der Hillsborough-Katastrophe besuchte. Ganz großer Sport: