Egidio Arévalo Ríos ist einer der stillen Helden der Nationalelf Uruguays. Dabei war er maßgeblich an den letzten großen Erfolgen beteiligt. „El Cacha“ räumt im Mittelfeld auf und unterstützt damit die Stars des Teams.
Bei der Recherche über die uruguayische Nationalmannschaft springen sie immer wieder ins Auge, diese drei Namen: Suarez, Forlan, Cavani. Die drei Star-Stürmer dominieren die Berichterstattung über Uruguay. Dass es auch noch acht andere Spieler gibt, die zum WM-Start gegen Costa Rica auf dem Platz stehen werden, wird viel zu häufig vergessen. Einer dieser stillen Helden ist Egidio Arévalo Ríos. Der Mittelfeldspieler hat zwar nicht das Riesen-Potenzial von Luis Suárez, das Talent von Diego Forlán oder die Stärke von Edinson Cavani, er verkörpert aber wie kein zweiter die Werte des uruguayischen Fußballs: Demut, Kampfgeist und Engagement.
Der 32-Jährige, der in seiner Heimat wegen seiner kompromisslosen Spielweise nur „El Cacha“ (der Messergriff) genannt wird, ist der Aufräumer im Mittelfeld Uruguays. Er ist der entscheidende Mann, wenn es darum geht, den Ball zurückzugewinnen und ihn anschließend zu verteilen. Er ermahnt seine Kollegen, die Defensivarbeit nicht zu vernachlässigen. Er hat die Balance zwischen Offensive und Defensive im Auge. Dem Mann vom mexikanischen Erstligisten UANL Tigres, der zuletzt an den Ligakonkurrenten Monarcas Morelia ausgeliehen war, kommt im, auf die drei Sturmstars konzentrierten uruguayischen Spiel, eine wichtige Aufgabe zu.
Arévalo Ríos wurde in der Küstenstadt Paysandú geboren und begann seine Profikarriere beim größten Klub der Stadt, Bella Vista. „Ich habe guter Erinnerungen an die Zeit“, erzählte er kürzlich der Zeitung „El Observador“ und ergänzte: „Allerdings war sie sehr hart. Der Verein hat nicht pro Monat, sondern pro Sieg gezahlt.“ Weil das Geld vorne und hinten nicht reichte, hielt er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Gemeinsam mit seinem Vater nahm er Aufträge als Maler und Maurer an, absolvierte auf Wunsch seiner Mutter zudem eine Lehre als Schreiner. Seinen Eltern dankte er die Unterstützung, indem er mit seinen ersten größeren Verdiensten überfällige Haushaltsrechnungen der Familie abzahlte.
Mit dem Linienbus zum Training
In seiner Anfangszeit bei Paysandú Bella Vista geriet Ríos rasch ins Blickfeld anderer Teams. Zwar spielte sein Klub bereits in der oberen Tabellenhälfte mit, für ganz oben reichte es aber nicht. Nach einigen schönen Toren und guten Leistungen stand der Mittelfeldspieler bei den Top-Klubs auf der Liste. 2002 wechselte er zum Club Atlético Bella Vista, einem Verein aus Uruguays Hauptstadt Montevideo. Obwohl der Traditionsverein immer wieder um den Klassenerhalt kämpfte, entwickelte der damals 20-jährige Ríos fußballerisch enorm weiter und erhielt 2006 die erste Einladung zur Nationalmannschaft.
Der Beginn seines ersten Trainings bei den „Celeste“, den Himmelblauen, verlief kurios. Weil er sich weder Führerschein noch Auto leisten konnte, wollte Ríos per Bus zum Platz fahren, auf dem die Auswahl damals trainierte. „Ich stand früh auf, um die Kinder aufzuwecken, machte mir eine Tee und ging gemütlich zur Haltestelle. Leider waren zwei Busse bereits so voll, dass sie ohne Halt vorbei fuhren. Ich kam zu spät, was mir seitdem nie mehr passiert ist. Am nächsten Tag bin ich direkt noch früher aufgestanden“, so Ríos.
Mit der Berufung in die Nationalmannschaft nahm auch die Karriere Fahrt auf. Im gleichen Jahr wechselte er zu CA Peñarol, einem der erfolgreichsten Fußballvereine in Südamerika. Unter Trainer Gregorio Pérez wurde er zum Schlüsselspieler im zentralen Mittelfeld und Publikumsliebling. Ríos schoss acht Tore und führte sein Team ins Finale um die Meisterschaft. Plötzlich riefen Fans auf der Straße seinen Namen, Autos hupten ihm zu und beim Einkaufen wurde er regelmäßig belagert. Eine vollkommen neue Situation.
Seine Bescheidenheit und die Einfachheit aus jüngeren Tagen behielt sich der Mittelfeldspieler aber bei. Als ihm ein Reporter die Fotos zweier Tore im uruguayischen Clásico gegen Club Nacional zukommen lassen wollte, erklärte er entrüstet: „Ich habe keine E‑Mail-Adresse und habe auch keinen Computer. Das brauche ich nicht.“ Auch dem Autofahren hatte er sich immer noch nicht angenommen. Seine Teamkollegen Nelson Oliveira oder der deutlich jüngere Maximiliano Bajter chauffierten ihn regelmäßig zum Training.
Keine einzige verpasste WM-Minute
2007 entschied sich Ríos zu einem Wechsel ins Ausland und schloss sich dem mexikanischen Klub CF Monterrey an. Weil es dort im ersten halben Jahr aber nicht besonders gut lief, ging er schon bald darauf zurück in die Heimat zu Danubio FC. 2010 landete er schließlich wieder beim CA Peñarol, mit dem er im selben Jahr die uruguayische Meisterschaft gewann. Anschließend durfte Ríos mit der Nationalmannschaft zur WM in Südafrika reisen.
Dort spielte er ein überragendes Turnier und hatte großen Anteil am starken vierten Platz der „Celeste“. In allen sieben Partien stand er von Beginn an auf dem Platz und verpasste keine einzige Minute. Dass seine grandiosen Auftritte im zentralen Mittelfeld letztlich keine größere Aufmerksamkeit fanden, lag vor allem daran, dass die Stars des Teams, einmal mehr Fórlan und Suárez, mit Lob überschüttet wurden. Es ist unglaublich, dass Arévalo Ríos nach der starken Weltmeisterschaft weiterhin in der uruguayischen Liga spielte. Richtig glücklich wurde er in den kommenden Jahren nicht. Zwischen 2011 und 2013 versuchte er sich bei fünf Klubs. Auch ein kurzer Abstecher nach Europa, zum US Palermo, verlief unglücklich.
Kurz sprach das ganze Land von Ríos
Seinen größten Triumph feierte er erneut mit der Nationalmannschaft. 2011 war er ein Teil der Mannschaft, die den letzten großen Titel für Uruguay gewinnen konnte: die Copa America. Mit dem 15. Titelgewinn stieg die Nation zum alleinigen Rekordgewinner auf. Arévalo Ríos spielte einmal mehr das gesamte Turnier durch. Er organisierte im Mittelfeld, er hielt dem Angriff den Rücken frei und legte im Finale sogar ein Tor auf.
Bei den Feierlichkeiten zum Titelgewinn überraschte der Mittelfeldspieler dann mit einer unerwarteten Aktion. Zum Training der Nationalmannschaft erschien er mit dem eigenen Auto. Für kurze Zeit sprach in Uruguay kaum jemand mehr von Forlan, Suarez oder Cavani, sondern über den Ausputzer aus dem defensiven Mittelfeld. Für kurze Zeit.
Pablo Benítez ist Teil des „Guardian-Netzwerks“ und ein uruguayischer Journalist, der u.a. für die Zeitung „El Observador“ schreibt. Auf Twitter könnt ihr ihm hier folgen: https://twitter.com/pebeca11