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Herr Höwedes, man weiß hier­zu­lande herz­lich wenig über Loko­mo­tive Moskau, den heu­tigen Bayern-Gegner. Können Sie uns Ihren Ex-Klub kurz vor­stellen?
Loko­mo­tive Moskau ist grob ver­gleichbar mit Bayer Lever­kusen in Deutsch­land, zum Bei­spiel was die finan­zi­ellen Mög­lich­keiten oder auch das Sta­dion angeht. Es han­delt sich um einen staat­li­chen Verein, hinter dem die rus­si­sche Eisen­bahn steht.

Kein Öl-Olig­arch als Geld­geber?
Nein. Das ist nicht so wie bei Dynamo Moskau, Kras­nodar oder ZSKA Moskau – alles Ver­eine, die auf­grund von Inves­toren über ganz andere finan­zi­elle Mittel ver­fügen. Trotzdem war Loko­mo­tive Moskau in den ver­gan­genen Jahren sport­lich sehr erfolg­reich.

Sie kamen nach Ihren Schalker Jahren über Juventus Turin nach Moskau. Mit wel­chen Vor­stel­lungen und Erwar­tungen reisten Sie in die rus­si­sche Haupt­stadt?
Ich bin das Ganze relativ neu­tral ange­gangen und habe mich auf das Aben­teuer gefreut.

Bene­dikt Höwedes

kam als 13-Jäh­riger zum FC Schalke 04, wo er 2007 sein Debüt als Profi gab. Es folgten 239 Bun­des­liga-Ein­sätze bei den Königs­blauen. 2014 gewann Höwedes mit der deut­schen Natio­nal­mann­schaft den Welt­meis­ter­titel, wobei er alle Par­tien kom­plett durch­spielte. 2017 wurde der bei den Fans beliebte Ver­tei­diger vom dama­ligen Schalker Trainer Dome­nico Tedesco aus­ge­bootet und wech­selte zu Juventus Turin. 2018 folgte der Transfer nach Russ­land zu Loko­mo­tive Moskau. Im Juli been­dete der 32-Jäh­rige seine Pro­fi­kar­riere. Inzwi­schen ist Höwedes beim Pay-TV-Sender Sky tätig und feiert heute an der Seite von Sebas­tian Hell­mann und Lothar Mat­thäus seinen Ein­stand als TV-Experte in der Cham­pions League.

War’s denn wirk­lich aben­teu­er­lich?
Man­ches schon. Zum Bei­spiel die Reisen zu den Aus­wärts­spielen. Manchmal waren wir acht Stunden mit dem Flug­zeug unter­wegs. In Deutsch­land würde man sich dar­über auf­regen: Viel zu weit, da sind doch die Spieler total kaputt, wenn sie aus dem Flieger steigen. In Russ­land ist das Alltag. Da fliegst du schon mal zum Spiel in einen Lan­des­teil an der chi­ne­si­schen Grenze, wo es nichts gibt. Das ist eine kom­plett andere Welt als Moskau. Moskau ist nicht Russ­land, da ist alles brutal auf­ge­hübscht.

Wie hat sich aus Ihrer Sicht der rus­si­sche Ver­eins­fuß­ball ent­wi­ckelt?
Positiv. Es gibt vier, fünf Teams, die sich auf gutem euro­päi­schen Niveau bewegen. Aber für die Spitze reicht es noch nicht. Was auf­fällt: Mit Aus­nahme von Kras­nodar spielen die rus­si­schen Teams immer sehr defensiv, wenn sie auf Klubs aus den euro­päi­schen Top-Ligen treffen.

Seit der Ernäh­rungs­um­stel­lung fühle ich mich besser“

Warum?
Weil sie sehr großen Respekt vor den west­eu­ro­päi­schen Klubs haben. Das gilt auch für Lok. Die werden sich im eigenen Sta­dion gegen Bayern hinten rein stellen. Weh tut vor allem der Abgang von Mirant­schuk, der jetzt in Ber­gamo spielt. Lok hat damit seinen besten Spieler ver­loren. Auch Farfán, den man aus Schalker Tagen noch kennt, ist nicht mehr da. Aber er war sehr viel ver­letzt. Und ich bin eben­falls weg (lacht)…

Vor dem Wechsel nach Moskau plagten auch Sie immer wieder Mus­kel­ver­let­zungen. Dann stellten Sie Ihre Ernäh­rung um, leben seitdem vegan.
Ich lag teil­weise län­gere Zeit auf der Behand­lungs­bank, als ich auf dem Platz stand. Das hat sich mit der Ernäh­rungs­um­stel­lung geän­dert. Es dau­erte nicht lange, und ich fühlte mich besser. Ich war weniger oft erschöpft und erholte mich schneller. Auch meine Ver­let­zungen nahmen ab.

Angeb­lich war der Lok-Mann­schafts­koch aber fas­sungslos, als er von Ihrem Ernäh­rungs­stil erfuhr.
Das stimmt. Wo willst du denn die Kraft her­nehmen, wenn du kein Fleisch isst?“, hat er mich gefragt. In Russ­land gibt es kaum Veganer. Da wird sehr viel Fleisch gegessen. Teil­weise habe ich dann selbst vor­ge­kocht und mein Essen mit­ge­bracht. Gene­rell hatte ich den Ein­druck, dass man im rus­si­schen Fuß­ball in vielen Dingen alt­mo­di­scher auf­ge­stellt ist und sich nicht so mit neuen Ideen aus­ein­an­der­setzt.

Stich­wort Ver­let­zungen – ins­be­son­dere die Spiel­pläne der Spit­zen­klubs sind wegen Corona rand­voll. Experten rechnen mit einem Anstieg der Ver­let­zungen.
Es ist schon mal sehr hilf­reich, dass fünfmal aus­ge­wech­selt werden kann. Ich hoffe und gehe auch davon aus, dass die Ver­eine auf die beson­dere Situa­tion reagieren und den Spie­lern Pausen geben. Gene­rell muss man ja sagen: Nie­mand hat es sich aus­ge­sucht, dass es jetzt so extrem viele Spiele gibt. Wir sollten froh sein, dass über­haupt Fuß­ball gespielt werden kann und müssen das Beste aus der momentan schwie­rigen Situa­tion machen.

Sie selbst haben berichtet, am Ende Ihrer Zeit auf Schalke für jedes Spiel fit gespritzt“ worden zu sein, um trotz eines Leis­ten­bruchs spielen können.
Wenn ich mich gleich hätte ope­rieren lassen, wäre mir wahr­schein­lich später einiges erspart geblieben. Aber der Druck von Ver­eins­seite war natür­lich groß, dass man spielt. Bei klei­neren Weh­weh­chen mag das ja okay sein. Man muss da von Fall zu Fall unter­scheiden und sollte den Spie­lern mehr Gehör schenken.

Die Geis­ter­spiele haben mir mein Kar­rie­re­ende leichter gemacht“

Wird das aus Sicht der Fuß­ball­profis beher­zigt, auch oder gerade jetzt in Corona-Zeiten? Sie sind noch Mit­glied des Spie­ler­rats der Ver­ei­ni­gung der Ver­trags­fuß­baller.
Anfangs, als die Pan­demie aus­brach, ist von Spieler-Seite schon Kritik auf­ge­kommen – weil vieles über ihre Köpfe hinweg ent­schieden worden ist und letzt­lich doch alles auf ihre Kosten aus­ge­tragen wird.

Sie haben Ihre Kar­riere im Sommer beendet. Welche Rolle spielte dabei die Corona-Pan­demie und die Folgen für den Pro­fi­fuß­ball?
Absolut größter Grund war meine Familie, mein kleiner Sohn. In der Zeit in Moskau habe ich leider nicht viel von ihm gehabt. Da waren die Corona-Zeiten viel­leicht ein Wink mit dem Zaun­pfahl. Es ist schon schwer, auf diesen Moment zu ver­zichten, in einem aus­ver­kauften Sta­dium auf­zu­laufen. Das pusht dich auch nach vielen Jahren noch als Spieler. Die Geis­ter­spiele haben mir die Ent­schei­dung leichter gemacht und mich darin bestärkt, einen Schluss­strich zu ziehen.

Sie arbeiten jetzt als TV-Experte für Sky, haben als Ex-Spieler einen anderen Blick­winkel, ver­fügen über Insider-Wissen. Stich­wort Hansi Flick. Den kennen Sie aus Ihrer Zeit bei der Natio­nal­mann­schaft gut. Hätten Sie ihm zuge­traut, den FC Bayern Mün­chen als Trainer in solche Höhen zu führen?
Ich denke, dass nie­mand vorher wusste, welche Chef­trainer-Qua­li­täten Hansi Flick mit­bringt. Es war bekannt, dass er sehr empa­thie­fähig ist und einen sehr guten Zugang zu den Spie­lern hat. Das setzt er bei den Bayern jetzt super ein. Hier geht es vor allem darum, die Jungs, die alle hoch­be­gabt sind, zuein­ander zu bringen. Sein großer Vor­teil ist: er musste dafür keine Basis auf­bauen. Neuer, Boateng, Müller, Goretzka – alle kannte er schon von der Natio­nal­mann­schaft. In der Zeit als Co-Trainer bei Bayern konnte er diesen Vor­teil noch ver­fes­tigen. Er hatte bei seinem Start als Chef-Trainer gleich einen Stamm an Spie­lern, die für ihn brannten. Und das hat er per­fekt genutzt.