Bei seinem Jobantritt wurde er bemitleidet und belächelt — jetzt führt Gennaro Gattuso den AC Mailand zu alter Stärke zurück. Warum aus dem nächsten Notnagel auf Milans Trainerbank die Ideallösung geworden ist.
Ein Fußball-Dogmatiker wird aus Gennaro Gattuso nicht mehr — und das ist auch gut so. Der 40-Jährige ist keiner, der die wissbegierigen italienischen Journalisten eines Besseren belehren muss. Auch dann nicht, wenn seine Strategien zum Erfolg führen — was in letzter Zeit ziemlich oft vorkam.
Was er als Coach des AC Mailand entscheidend anders macht als sein Ende November entlassener Vorgänger Vincenzo Montella, behält der 40-Jährige trotzdem lieber für sich. „Auf technischem Level wusste ich, dass die Mannschaft stark ist. Wichtig ist aber für mich zu sehen, dass die Mannschaft sich nicht nur auf die Qualitäten einzelner Spieler verlässt. Wir arbeiten und opfern uns auf“, sagte der 40-Jährige nach dem 2:0‑Sieg der „Rossoneri“ beim AS Rom am vergangenen Sonntag.
Kaum stichhaltige Erklärungen
Arbeiten und aufopfern also. Als hätten wir da nicht von selbst darauf kommen können, wenn kein Geringerer als Gennaro Gattuso (Spitzname „Ringhio“ – der Knurrer) an der Seitenlinie steht. Ein Mann, der sich schon in der Milan-Zentrale der 2000er Jahre als kerniger Sidekick des filigranen Andrea Pirlo hauptsächlich über, nun ja, Arbeit und Opferbereitschaft definiert hat — und bis heute genau darauf reduziert wird.
Ob vielleicht genau das Gattusos Geheimnis ist? Schließlich kratzen auch die Meinungen geschätzter Branchenkenner mehr an der Oberfläche, als dass sie stichhaltige Erklärungen liefern. „Milan verbindet jetzt Kampfgeist mit Qualität“, stellt etwa Alessandro del Piero fest. Zur Verteidigung der Juve-Legende, 2006 Weltmeister mit Italien an der Seite Gattusos und mittlerweile als Experte bei „Sky Sport Italia“ unterwegs, sei gesagt: Er ist einer von wenigen Außenstehenden, die von Beginn an von Gattusos Eignung überzeugt waren.
Umdenken gefordert
Wohlgemerkt: Der AC Mailand ist mit 44 Punkten immer noch Siebter der Serie A — wie unter Montella. Und doch ist die Selbst- und Außenwahrnehmung nach 13 Pflichtspielen ohne Niederlage eine andere. „Echtes Milan“, titelte die „Gazzetta dello Sport“ am Tag nach dem 2:0‑Erfolg der „Rossoneri“ beim AS Rom. Es war ein Geduldsspiel, mit dem der AC seine Aufholjagd gen Europapokalplätze nach einer chaotischen Hinserie fortsetzte — und das ob der taktischen Cleverness, die die Lombarden dabei an den Tag legten, eindeutig ihrem Trainer zugeschrieben werden muss.
Wer den 73-fachen Nationalspieler auf das Mentalitätsmoment reduziert hatte, wird spätestens nach diesem Auftritt umdenken müssen. Das spricht sich allmählich auch im Ausland herum. „Ist der schlafende Riese unter Gattuso erwacht?“, fragte die Schweizer Tageszeitung „Blick“. Nicht weniger metaphorisch schrieb die Onlineausgabe der „Sportbild“ von der „Auferstehung des Italien-Klubs“.