Abel Ferreira ist hierzulande nahezu unbekannt. Dabei ist er einer der erfolgreichsten Trainer der Welt und hat es geschafft, den südamerikanischen Fußball auf ein neues Level zu heben.
Es waren bemerkenswerte Worte: „Ich spreche aus meinem Herzen, damit es jeder weiß: Abel Ferreira ist der größte Trainer in der Geschichte von Palmeiras. Er ist der beste Trainer, den Palmeiras je hatte.“ Gesagt hat diese Worte ein nicht minder bemerkenswerter Mann: Brasiliens Trainer-Legende Luiz Felipe Scolari. Der Weltmeister-Coach von 2002, der selbst einige Titel mit dem großen brasilianischen Verein aus São Paulo geholt hat, spricht über den in Europa noch wenig bekannten portugiesische Trainer Abel Ferreira, der mit Palmeiras zweimal in Folge die Copa Libertadores, den wichtigsten Vereinswettbewerb Südamerikas, gewonnen hat. Doch Ferreiras Leistung reicht weit über diese historischen Erfolge hinaus: Der 43-Jährige hat den gesamten südamerikanischen Vereinsfußball verbessert und auf eine neue Ebene gehoben.
Ferreiras Wunsch, Trainer zu werden, reifte schon früh. Der Einstieg kam allerdings zu einem unverhofften Zeitpunkt. Ferreira war Anfang 30 und spielte für den großen portugiesischen Traditionsklub Sporting, als er sich das Kreuzband riss. Sein Versuch, nach der Behandlung nochmal auf den Platz zurückzukehren, scheiterte. Die Schmerzen beim Laufen waren einfach zu groß. Laute eigener Aussage weinte der Sportinvalide damals tagelang. Dann begann er, bei Sportings Jugendmannschaften als Assistenzcoach auszuhelfen und startete seine Trainerausbildung, die ihn fortan vollständig erfüllen sollte.
Im April 2017 übernahm Ferreira bei Sporting Braga sein erstes Profiteam. Nach rund zwei Jahren führte ihn sein Weg zum griechischen Spitzenteam PAOK Saloniki. Seine akribische Arbeit und sein Punkteschnitt von jeweils fast zwei Zählern pro Partie brachten ihm bei Kennern der Szene große Anerkennung ein. Nichtsdestotrotz war seine Verpflichtung als neuer Trainer von Palmeiras im November 2020 eine Überraschung. Denn der bis dahin titellose Ferreira schien für viele im Umfeld des gigantischen brasilianischen Vereins eine Nummer zu klein zu sein. „Verdão“ spielt um Titel. Wie soll ein Trainer ohne Pokale die Mannschaft zum Triumph führen?
Nicht Mal drei Monate nach seiner Ankunft in Brasilien stand Palmeiras im Januar 2021 im Finale der Copa Libertadores. Gegen den FC Santos gewann Ferreira durch einen Treffer in der Nachspielzeit endlich seine erste Trophäe. Das ging schnell. Im November desselben Jahres kam es dann im Libertadores-Finale erneut zum Aufeinandertreffen zweier brasilianischer Vereine. Dieses Mal hieß der Gegner Flamengo aus Rio de Janeiro. Zum wiederholten Male hieß der Sieger am Ende aber Palmeiras. Abel Ferreira brachte mit der Libertadores-Titelverteidigung ein Kunststück fertig, das es seit den Siegen der Boca Juniors in den Jahren 2000 und 2001 nicht mehr gegeben hatte.
Das Endspiel in Montevideo gegen Flamengo ist sein bisheriges Meisterstück. Das Spiel selbst und die Tage vor dem Finale beschreiben seine Fähigkeiten besonders gut. Denn Ferreira ist ein Genie der Kommunikation und der Taktik – und ein Fuchs. So berief er Felipe Melo als mutmaßlichen Kapitän auf die finale Pressekonferenz, obwohl intern allen Beteiligten längst klar war, dass der Veteran verletzungsbedingt nicht von Beginn an würde auflaufen können. Zusätzlich bot Ferreira im Endspiel Kreativspieler Gustavo Scarpa, eigentlich auf der Zehner-Position oder Linksaußen zuhause, als linken Schienenspieler auf und baute eine Fünferkette zusammen, die der spektakulären Offensive von Flamengo den Spaß am Fußballspielen raubte. Das Spielsystem änderte sich jedoch erst nach rund 20 Minuten zu dieser ungewohnten Variante. Palmeiras war früh durch Veiga in Führung gegangen. So reagierte Ferreira mit dieser frühen Umstellung mutig und folgerichtig. Diese taktischen Entscheidungen erwiesen sich als Schlüssel für den zweiten Libertadores-Erfolg.
Um Ferreiras Arbeit besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Grundpfeiler des südamerikanischen Vereinsfußballs. Die Essenz des Spiels liegt nach wie vor in der technischen Brillanz. Ein Attribut, das jede Fußballnation des Kontinents auf eine eigene Art und Weise verkörpert und interpretiert. Die technischen Fähigkeiten der Spieler ermöglichen hochanspruchsvolle Kombinationen auf engem Raum, wilde Dribblings und viele Showelemente. Darüber hinaus sind die Partien oft hoch intensiv und werden mit einem leidenschaftlichen Zweikampfverhalten geführt. In diesen Punkten steht der südamerikanische Fußball dem europäischen Spiel in nichts nach. Mehr noch: In der Regel bereichern südamerikanische Spieler den europäischen Vereinsfußball in dieser Hinsicht.
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