18 Jahre lang ackerte Oliver Bierhoff für den DFB. Er führte den Verband in die Moderne und ist dennoch das Symbolbild der anhaltenden Entfremdung zwischen Fans und Nationalelf. Ein bebilderter Rückblick auf eine bewegte Funktionärslaufbahn.
Es ging ja schon fragwürdig los. Denn um beim DFB zu arbeiten, ließ Oliver Bierhoff seine Tätigkeit als Champions-League-Experte bei ran ruhen. Und tauschte Oliver Welke…
… gegen Nationaltrainer Jürgen Klinsmann. Bierhoff agierte fortan als „Teammanager Nationalmannschaft“, eine extra für ihn geschaffene Stelle.
Und die erste Mammutaufgabe ließ nicht lange auf sich warten. Vor der Heim-WM 2006 wurde beim Confed Cup 2005 noch Werbung mit einer, naja, etwas unangenehm anmutenden Bildsprache gemacht.
Oliver Bierhoff wusste schon damals: Es braucht echte Anreize, damit sich Leute diesem Fanclub anschließen.
Das Marketing-Genie Oliver Bierhoff in der Frühphase seines Schaffens.
Auch Teil des Jobs: Fotomodell für wichtige Partner sein.
Klar, dass bei solchen Premium-Sponsoren nur die allergrößten Starspieler der Nationalmannschaft abgestellt werden.
Ein Titan der deutschen Fußballgeschichte und die Kollegen Bierhoff, Löw und Klinsmann.
Aber, siehe da: Die WM 2006 wurde ein voller Erfolg. Also, mal abgesehen davon, dass sich später herausstellte, dass auch dieses Ding natürlich gekauft war. Aber die Truppe von Klinsmann spielte einnehmenden und leidenschaftlichen Fußball. Da nahm Bierhoff …
… auch gerne mal eine Watschen fürs Team in Kauf, kein Thema.
Tja, dann kam das Halbfinale in Dortmund und die süße Rache für die „Ihr seid nur ein Pizzalieferant“-Sprechchöre.
Die Boyband erstmals auf der Fanmeile.
Doch wenig später nur noch in kleinerer Besetzung, denn der große Reformator Klinsmann trat nach dem Sommermärchen zurück, um sich die nötigen 14 Jahre Ruhepause vor der Aufgabe bei Hertha BSC zu nehmen. Jogi Löw übernahm.
Doch bereits 2007 und trotz der guten Heim-WM hatte Bierhoff arge Kritiker. Darunter beispielsweise Rudi Völler. Dem ging es nämlich so richtig auf die Eier, dass der Teammanager Nationalmannschaft der Bundesliga erklären wollte, wie Fußball funktioniert. Und sagte: „Er sollte sich in den nächsten Tagen bei Dr. Müller-Wohlfahrt untersuchen lassen. Das permanente Sich-selbst-auf-die-Schulterklopfen muss doch schmerzhafte Schädigungen nach sich ziehen.“
Auch die EM 2008 ließ sich sehen. Erst im Finale war für Deutschland Schluss, weil Fernando Torres die Uneinigkeit von Jens Lehmann und Philipp Lahm bestrafte.
Nach dem Schlusspfiff gab es für Bierhoff vor versammelter Mannschaft noch einen Einlauf a la Capitano. Nachdem der Teammanager nämlich darum gebeten hatte, dass die Mannschaft mit einem „Danke“-Banner zu den Fans geht, platzte Ballack die Hutschnur. Mannschaftsintern soll Bierhoff als „Eventmanager“ verschrien gewesen sein.
Toll! Zur Vertragsverlängerung 2010 tischte der DFB nochmal das Kaffeeservice auf, das der Frauennationalmannschaft 1989 großzügig zum Gewinn der Europameisterschaft geschenkt wurde.
Nächster Stopp: WM 2010 in Südafrika.
Letzte Tipps für den großen Aufstieg.
Reichte immerhin erneut für den dritten Platz bei einer Weltmeisterschaft. Die stark verjüngte Mannschaft verfügte mit Kickern wie Manuel Neuer, Mesut Özil, Sami Khedira oder Thomas Müller plötzlich über eine der vielversprechendsten jungen Spielergenerationen der Welt.
Ein „Weiter so“ durfte es damals geben.
Reizthema vor der EM 2012: Die deutsche Nationalhymne und Spieler, die selbige nicht sangen.
Reizthema nach der EM 2012: Mario Balotellis Oberkörper und das erneute Halbfinal-Aus, diesmal gegen Italien.
Nächster Anlauf: Zur WM 2014 zog die deutsche Nationalmannschaft ins mittlerweile sagenumwobene Campo Bahia. Und auch der Teammanager …
… ließ es sich dort okay gehen.
Antwort auf die Frage, wie man vor einem Turnier für den bestmöglichen Teamgeist sorgt.
Am Ziel: Die deutsche Nationalmannschaft wird Weltmeister in Brasilien.
Zehn Jahre lang arbeiteten Bierhoff und Löw da schon zusammen. Ihr Plan ging auf.
Auch damals war Oliver Bierhoff nie gänzlich unumstritten. Immer wieder wurde ihm vorgehalten, er wäre ein Selbstdarsteller, dem Image und Marketing wichtiger sein als sportliche Themen und Fannähe. Und doch ließ sich im Sommer 2014 festhalten: Die Mannschaft über Jahre verjüngt und dynamisiert, Modernisierungsprozesse in der Trainingsarbeit und Infrastruktur vorangetrieben und eben – Weltmeister.
Beziehungsweise: CHAMPIONS.
Aus Brasilien nach Berlin. Dort durch die Straßen und …
… anschließend zur Fanmeile, auf der Bierhoff über die Jahre öfter auftraten als Bushido und Matze Knop.
Auf die Frage, wie sehr etwas in der öffentlichen Wahrnehmung untergehen kann, einfach mal mit diesem Bild von der Filmpremiere von „Die Mannschaft“ antworten.
Apropos: Der Slogan „Die Mannschaft“ wurde ab 2015 auf so ziemlich alles geklatscht, was in irgendeiner Form mit der Nationalelf zu tun hatte. Bierhoff wollte damit das Gegenstück zur Albiceleste, Squadra Azzura oder den Three Lions schaffen. Nette Idee, allerdings auch der Beginn der großen Entfremdung der deutschen Öffentlichkeit von ihrer Nationalmannschaft. Weil, so der Tenor: Zu glatt, zu gewollt, zu offensichtliches Marketing. Aber das war ja nur eine von Bierhoffs großen PR-Ideen. Da war ja noch…
… diese Abwandlung hier vor dem EM 2016 in Frankreich …
… diese völlig wirre und abgehobene Nummer zur WM 2018 …
… und dieser Alptraum von einem Hashtag.
Aber: Neben Marketingstrategien packte Bierhoff ja auch durchaus sportlich relevante und zukunftsfähige Projekte an. Im März 2015 wurde er der Projektleiter für den Bau der DFB-Akademie. Zuvor hatte Bierhoff mehrmals öffentlich gewarnt, dass der deutsche Nachwuchs international den Anschluss verliere im Vergleich zu Nationen wie England oder Spanien.
„Sagen Sie, wie viel haben Sie nun für Ihre Stimme bekommen? Wie bitte? Hier geht’s gar nicht um eine WM-Vergabe? Oh, dann vergessen Sie meine Frage einfach hehe, Entschuldigung.“
Wissen nicht viele: Bierhoff ließ die Akademie auch bauen, um nochmal einen letzten Anlauf auf dem Rasen zu wagen.
Auch mal die Körperstabilität der Nummer drei kritisch hinterfragen.
Tja, und dann kam die WM 2018. Vor allem aber kam das Erdogan-Foto mit Ilkay Gündogan und Mesut Özil. Bierhoff war als kommunikativer Krisenmanager gefragt und gab dabei keine gute Figur ab. In einem ARD-Interview zeigte er sich gereizt und erklärte das Thema einfach so für „beendet“. Nur um später im Doppelpass zurückzurudern und sich dafür zu entschuldigen. Er wolle keine Maulkörbe verteilen, er könne die Diskussionen um so ein wichtiges Thema nicht einfach verbieten.
Nachdem Bierhoff zu Beginn der Diskussionen noch für Verständnis für die beiden Spieler warb, kritisierte er sich nach dem Gegenwind aus der Öffentlichkeit selbst mit der Zeit immer stärker. Vor dem zweiten Gruppenspiel gegen Schweden gab er zu, dass man hätte überlegen müssen, auf Mesut Özil zu verzichten. Der schwieg im Vergleich zu Gündogan zu dem Thema.
Auch rein sportlich wurde die WM 2018 zum Desaster. Als amtierender Weltmeister schied die DFB-Elf in der Gruppenphase sang- und klanglos aus.
Während Jogi Löws Vertrag vor dem Turnier noch verlängert wurde …
… stand der nach dem Debakel von Russland erstmals so richtig, richtig dicht vor dem Aus. Auch Bierhoff stand zur Disposition. Das DFB-Präsidium um Reinhard Grindel stärkte dem Duo aber den Rücken. Unvergessen auch die WM-Analyse-Pressekonferenz, die inhaltlich legendär leer ausfiel.
Derweil erfolgte 2019 die Grundsteinlegung für den DFB-Campus. Ein, zwei illustre Gäste gaben sich die Ehre.
Bei der EM 2021 gab’s die Quittung: Die deutsche Mannschaft mogelte sich irgendwie ins Achtelfinale, schied da dann aber verdient gegen England aus. Löw, das war spätestens da klar, hatte keine Antworten mehr auf die vielen Fragen, die sich rund um den DFB stellten.
Und nahm schließlich, nach 17 Jahren als DFB-Mitarbeiter, seinen Hut.
Ersetzt wurde er im Herbst 2021, auch auf Bierhoffs Wunsch hin, von Hansi Flick. Der hatte von 2006 bis 2014 als Löws Co-Trainer gearbeitet und mit den Bayern 2020 alles gewonnen.
Im Sommer 2022 wurde Bierhoffs Herzensprojekt schließlich finalisiert. Die DFB-Akademie wurde eröffnet. Dort sollen die Jugendnationalteams fortan trainieren, Ideen für eine einheitliche und zielgerichtete Ausbildung gesammelt und weiterentwickelt werden und auch die A‑Nationalteams sollen sich dort vor Großturnieren ihren Feinschliff abholen.
Gut, und dann kam die WM 2022. Spielte die Nationalelf 2021 bei der EM gegen Ungarn noch demonstrativ mit der Regenbogenbinde …
… knickte die Mannschaft in Sachen „OneLove“-Binde trotz vollmundinger Ankündigungen vor Turnierbeginn ein. Oliver Bierhoff agierte dabei eher im Hintergrund, das Wort in der Öffentlichkeit führte DFB-Präsident Bernd Neuendorf. Später gestand Bierhoff dennoch ein: „Wir hätten es besser machen können. Wir wissen selbst, dass die Sache nicht so gelaufen ist, wie sie hätte laufen sollen.“
Symbolbild der Entwicklung: Oliver Bierhoff, wie immer betraut mit der Suche für das perfekte Turnierquartier, suchte dem DFB-Tross eine burgähnliche Anlage irgendwo im nirgendwo von Katar. Kein Team hauste weiter entfernt von den Stadien. Die Wege für die Journalisten waren entsprechend lang, für angereiste Fans war die Nationalmannschaft quasi unerreichbar. Als sich Hansi Flick dann vor dem Spiel gegen Spanien noch beschwerte, warum er für die Matchday-Pressekonferenz aus der Burg eine Stunde nach Doha fahren müsse, obwohl die FIFA den Verband vor Turnierbeginn darauf hingewiesen hatte, war das Bild perfekt: Der DFB hat sich isoliert und blendet alles um ihn herum aus. Der Verband und seine Spitze hatten das Image des Eigenbrötlertums gepachtet.
Immerhin: Ein paar treue Fans hatten Bierhoff und Co. noch nicht vergrault.
Vielleicht hat das Vorrundenaus in Katar das aber final bewerkstelligt.
Am Abend des 5. Dezember wurde schließlich bekannt, dass Bierhoff und der DFB nach 18 Jahren getrennte Wege gehen. Der Vertrag wurde aufgelöst. In einem Statement verwies Bierhoff auf die geleistete Arbeit und nannte errungene Erfolge. Er schrieb aber auch: „Ich gehe deshalb auch nicht ohne die nötige Selbstkritik. In den vergangenen vier Jahren haben wir es nicht geschafft, an frühere Erfolge anzuknüpfen und den Fans wieder Grund zum Jubeln zu geben. Einige Entscheidungen, von denen wir überzeugt waren, haben sich nicht als die richtigen erwiesen. Das bedauert niemand mehr als ich.“
Das nächste große Projekt, das Bierhoff bis gestern Abend mitverantwortet hatte, wird also ohne ihn stattfinden: Die EM 2024 in Deutschland.