Seit 30 Jahren begleitet Gerhard Wörn den VfB Stuttgart durch alle Höhen und Tiefen. Der Physiotherapeut zeichnet für die Gesundheit der Spieler verantwortlich und hilft ihnen auch sonst in allen Lebensfragen. Nun startet der 63-Jährige in seine wohl letzte Saison.
Seitdem hat er dreißig Trainer kommen und gehen sehen, Huub Stevens und Armin Veh waren sogar zwei Mal da. Er sah Spieler als Aktive abdanken, als Manager oder Übungsleiter zurückkehren – und erneut von der Bildfläche verschwinden. Angefangen bei Dieter Hoeneß über Hansi Müller, Karlheinz Förster, Markus Babbel, Thomas Schneider, Fredi Bobic bis hin zum aktuellen Vorstandsboss Thomas Hitzlsperger.
Und fragt man ihn nach einem, mit dem es besonders Spaß gemacht oder der ihn gepiesackt habe, bereitet ihm seine Integrität fast körperliche Schmerzen. Er will keinen vergessen oder einem ein Denkmal bauen. Und doch fehlen Wörn im flüchtigen Profibusiness Typen wie Gerhard Mayer-Vorfelder, der den VfB mit jeder Faser verkörperte und sein Amt an der Klubspitze stets voller Stolz ausgefüllt habe.
Natürlich hatte er seine Spezis. Matthias Sammer etwa, der wie der Physio im Jahr der Wiedervereinigung zum VfB kam. Der Dresdner forderte ihn wegen seiner Wehwehchen nicht nur fachlich, sondern erweiterte als Übersiedler aus der DDR auch dessen Horizont. Oft waren es Führungsspieler, Männer mit eigener Meinung, zu denen er Nähe aufbaute: Marcelo Bordon, Zvonimir Soldo, Frank Verlaat und last but not least Mario Gomez.
Wörns Heilfürsorge schließt das Seelenheil mit ein. Es geht ihm bei der Arbeit auch darum, zu inspirieren und inspiriert zu werden. Wenn er das Gefühl hat, es könnte passen, erzählt er Spielern vom neuen Buch von Richard David Precht, um eine Diskussion über künstliche Intelligenz anzufangen. Er kennt die Beziehungsdramen der Profis, die düsteren Gedanken, wenn der Heilungsprozess stockt, die Fehltritte, die auch der Trainer nie erfahren darf und auch die Luxusträume der Jungmillionäre. „Wenn einer fragt, ob er sich einen Sportwagen kaufen soll, und ich das Gefühl habe, er kann es sich hinsichtlich seiner Entwicklung und finanziell leisten, soll er es doch tun“, so Wörn. „Auch damit er so einen Kauf einordnen kann und nach drei Wochen vielleicht feststellt, mehr als ein fahrbarer Untersatz ist auch so eine Karre nicht.“
Wie aber erklärt er sich einer den schleichenden Niedergang des VfB, der in seiner Zeit vom Meisterschaftsaspirant zur Fahrstuhlklug geworden ist? Der Erfolg einer Mannschaft sei nicht berechenbar, glaubt Wörn. Er entstehe aus dem Gefühl, dass der eine den anderen ergänzt – so unterschiedlich die Typen auch seien – und aus diesem Gemeinschaftssinn würde sich eine Kraft entwickeln, die von Leichtigkeit getragen sei. Oft brauche es nur einen Funken, um alles und jeden von jetzt auf gleich zu befeuern. In Erfolgszeiten seien stets Typen dabei gewesen, die sich für den Klub krummgelegt hätten. Denen es ein persönliches Anliegen gewesen sei, für den VfB Erfolge einzufahren. Der Klub sei aber leider nie in der Lage gewesen, das vorhandene Leistungsvermögen zu konservieren. Nach jedem großen Titel wurden Topspieler verkauft, weshalb nie das Fundament zur Fortschreibung einer Erfolgsgeschichte gelegt wurde: „Der VfB musste immer wieder bei Null beginnen“, so Wörn. „Risikofreudiges Investieren war damals mit der schwäbischen Mentalität offenbar nicht kompatibel.“
Auch die kommende Saison wird ein Kampf gegen den Abstieg. Im Januar 2021 könnte er in Rente gehen, die Spielzeit aber will er auf jeden Fall noch zu Ende machen. Wörn denkt oft darüber nach, wie sein Leben außerhalb des Fußballs aussehen könnte. Seit 30 Jahren hängt sein Leben von den Launen der Trainer ab. Egal, ob am Sonntagmorgen um 7 Uhr oder am Donnerstag nach Sonnenuntergang – Wörn war immer schon da, wenn das Team auf den Platz trabte.
Was aber würde ihn reizen? „Vielleicht schnappe ich mir einen Rucksack und laufe einfach los“ sagt Wörn, „so ein bisschen Jakobsweg light. Mal sehen, was es mit mir und meinem Kopf macht.“ Noch hat er nicht entschieden, ob er wirklich Schluss macht. Sicher aber ist, Gerhard Wörns persönlicher Jakobsweg fängt direkt hinterm Cannstatter Wasen an.