Seit 30 Jahren begleitet Gerhard Wörn den VfB Stuttgart durch alle Höhen und Tiefen. Der Physiotherapeut zeichnet für die Gesundheit der Spieler verantwortlich und hilft ihnen auch sonst in allen Lebensfragen. Nun startet der 63-Jährige in seine wohl letzte Saison.
Dieser Text ist ein Auszug aus großem Porträt über den VfB-Physiotherapeuten Gerhard Wörn, das im aktuellen 11FREUNDE-Sonderheft#226 zur Bundesliga-Saison 2020/21 erschienen ist.
Er war ein junger Wilder, lange bevor der Begriff beim VfB die Runde machte. Als die Stuttgarter 1975 erstmals in der Ligahistorie abstiegen, mussten der Klub umbauen, und aus der A‑Jugend, die gerade Deutscher Meister geworden war, stießen Talente wie Karlheinz Förster oder Hansi Müller zu den Profis. Die meisten Partien von den Jungspunden in der Saison 1975/76 absolvierte jedoch der 18-jährige Gerhard Wörn.
Ein feiner Techniker, sagen Wegbegleiter, einer der ebenso viel, wenn nicht mehr Finesse mitbrachte wie der junge Müller. In 21 Spielen hatte Wörn 19 Mal in der Startelf gestanden, der fast gleichaltrige Müller nur halb so oft. Doch wie begabte, junge Leute eben sind. Gesegnet mit viel Talent, gehen sie auch großzügig damit um. Als Jürgen Sundermann zur Spielzeit 76/77 das Zweitligateam übernahm und den Verjüngungskurs intensivierte, geriet Wörn aus dem Blickfeld. Womöglich war sein Ballgefühl doch größer als sein Ehrgeiz. „Gerhard, hör auf zu schnippeln“, soll Sundermann ihn im Training oft zur Ordnung gerufen haben, „spiel gradlinig.“
Als der VfB voller Verve in die Bundesliga zurückkehrte, wurde der Hoffnungsträger zur zweiten Mannschaft versetzt – und kehrte nie mehr in den bezahlten Fußball zurück. Als Wörn mit den Schwaben 1980 Amateurmeister wurde, kamen Angebote vom 1. FC Köln und aus Aachen. Doch der Schnauzbartträger aus dem Landkreis Böblingen mochte nicht weg aus dem Ländle. Er machte eine Ausbildung zum Physiotherapeuten, fing als Masseur in der Klinik am Eichert in Göppingen an und kickte nebenher noch bis 1990 beim örtlichen Oberligisten. „Das Leben hatte andere Pläne mit mir“, sagt er.
Zur Saison 1990/91 holte ihn der VfB in neuer Rolle zurück zum Profikader. Der berühmteste Masseur im deutschen Fußball hieß damals Hermann Rieger. Der ehemalige Skilehrer prägte beim HSV mit Eisspray, Eimer und Schwamm das Image des wetzenden Muskelkneters. Einen Physio aber, der selbst mal auf dem Sprung zum Spitzenspieler gewesen war, hatte es in der Liga noch nicht gegeben. Einer, der sich dank seiner Erfahrung in die Psyche der Profis einfühlen konnte. Dem es nicht nur um Massage ging, sondern der einen ganzheitlichen Ansatz verfolgte und angeschlagene Spieler durch sämtliche Phasen der Reha begleiten wollte. Einer, der ein Phlegma erkannte, weil er es selbst als Aktiver gehabt hatte. Der genau wusste, wann ein Rekonvaleszent Ansprache braucht und wann es besser ist, nichts zu sagen.
Wörn war zehn Jahre weg gewesen, doch es muss sich für ihn angefühlt haben, als käme er nach Hause. Präsident war wie zu Zweitligazeiten Gerhard Mayer-Vorfelder. Manager der ehemalige Teamkollege Dieter Hoeneß und auf der Bank saß Willi Entenmann, mit dem er 1975 ebenfalls noch zusammengespielt hatte. „Es gab noch mehr dieses spezielle Gefühl, das das Leben in einem Verein ausmacht“, erinnert sich Wörn, „auf der Geschäftsstelle arbeiteten nur ein paar Leute. Wenn ich morgens kam, gab es mit jedem ein kurzes Hallo, man hielt sich gegenseitig auf dem Laufenden, heute ist es viel weniger überschaubar und dadurch unpersönlicher.“