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Vor der Abreise nach Süd­afrika hat Kevin-Prince Boateng noch eine lus­tige Geschichte erlebt. Sie spielt in Frank­furt am Main, wo er sich mit der gha­nai­schen Natio­nal­mann­schaft ein paar Tage lang vor­be­reitet hat auf die Welt­meis­ter­schaft. Viele deut­sche Fans sind gekommen, fast alle wollen Auto­gramme. Ein Junge kommt und bittet um ein gemein­sames Foto, der Kleine fragt: »Sag mal, wer bist du eigent­lich?« – »Kevin-Prince Boateng.« Der kleine Junge schreit: »Oh nein!«, dann springt er auf und rennt davon.



Diese Geschichte sagt einiges über die Bezie­hung von Kevin-Prince Boateng zu Deutsch­land und wie schwierig sie sich gestaltet in diesen Tagen. Das liegt auch – aber nicht nur – daran, dass er der alten Heimat am Mitt­woch im Trikot seiner neuen Heimat gegen­über­steht, wenn es um den Einzug ins WM-Ach­tel­fi­nale geht. Boateng fühlt sich falsch ver­standen und unge­recht behan­delt jen­seits von Accra. Des­wegen übt er sich seit kurzem in einer Dis­zi­plin, die er ein wenig ver­nach­läs­sigt hat in den ver­gan­genen Jahren: Er schweigt.

Kevin lässt sie alle stehen

Kevin-Prince Boateng ist nicht zu spre­chen für die Öffent­lich­keit. Nicht einmal für die afri­ka­ni­schen Reporter vom »Gha­naian Chro­nicle«, von der »Accra Mail« oder von der »Gha­naian Times«. Als sie ihn nach seinen bemer­kens­wert guten Spielen gegen Ser­bien und Aus­tra­lien bestürmten, »Come on Kevin, just one ques­tion!«, da ließ er sie ein­fach stehen, und ihre deut­schen Kol­legen sowieso. Die Ver­bin­dung zur Außen­welt wickelt Boateng ab über einen Spezi aus alten Ber­liner Zeiten von der Zeit­schrift »Sport-Bild«. Über diesen lässt er regel­mäßig Kom­mu­ni­qués ver­öf­fent­li­chen, etwa dass es ihm ziem­lich egal sei, »ob Deutsch­land raus­fliegt. Wir spielen auf Sieg, wollen wei­ter­kommen. Nach einem Tor machen wir ein schönes Tänz­chen für die.« Und: »Ich ver­spüre weder Hass noch irgend­etwas der­glei­chen. Aber eines ist auch klar: Die deut­schen Funk­tio­näre, die mich per­ma­nent kri­ti­siert haben, können mir jetzt gerne bei der WM zuschauen und mich beur­teilen. Viel­leicht kommen sie irgend­wann zur Ansicht, dass auch sie etwas falsch gemacht haben im Umgang mit mir.«

Ähn­liche Töne findet er für seinen Bruder Jerome, Fami­li­en­for­scher nennen ihn seinen Halb­bruder, weil die beiden nur einen gemein­samen Vater haben. Jerome Boateng spielt bei der WM für die deut­sche Mann­schaft, und er hat ein paar nicht ganz so fami­li­en­kom­pa­tible Sätze gesagt über Kevins Foul an Michael Bal­lack, das den deut­schen Kapitän die WM-Teil­nahme gekostet hat. Zu Jerome mag der Neu-Gha­naer seitdem nur noch sagen, dass er eigent­lich nichts mehr sagen mag. »Nur so viel: Dass wir keinen Kon­takt mehr haben, hat seine Gründe.« Für wei­tere Ant­worten stehe er am Mitt­woch gerne zur Ver­fü­gung, er werde sie in der Sprache der Fuß­ball­spieler geben, also auf dem Platz.

Der kickende Staats­feind

Boateng hat nicht ver­gessen, was in deut­schen Zei­tungen und hef­tiger noch in Online­foren zu lesen war nach jenem Tritt gegen Bal­lack. Über die ver­meint­liche Absicht hinter diesem Foul, das Beglei­chen einer alten Rech­nung. Für ein paar Tage war Kevin-Prince Boateng so etwas wie ein kickender Staats­feind. Man darf wohl davon aus­gehen, dass ihn diese Reak­tionen schwerer getroffen haben als man­cher sport­liche Rück­schlag in den ver­gan­genen Wochen – und davon gab es einige. In den ver­gan­genen drei Jahren war er abge­stürzt von einem der größten Talente Europas bis zum groß­spu­rigen Ver­sager, der dazu noch im Ruf eines Psy­cho­pa­then stand, nicht erst seit der Sache mit Bal­lack.

Wenn es denn so etwas wie ein Inne­halten und Reflek­tieren gegeben hat nach der ver­häng­nis­vollen Begeg­nung mit Bal­lack im eng­li­schen Pokal­fi­nale, dann hat es Boatengs Spiel so gut­getan wie kaum etwas in der jüngsten Ver­gan­gen­heit. Als Deutsch­land über die angeb­liche Auf­trags­ar­beit seiner neuen Natio­nal­mann­schaft debat­tierte, war­tete Boateng noch auf die Spiel­ge­neh­mi­gung für die WM. Als er in Rot­terdam das erste Mal zum Kader der gha­nai­schen Natio­nal­mann­schaft gehörte, musste er 90 Minuten lang von der Bank mit ansehen, wie seine Kol­legen von den Hol­län­dern mit 4:1 vor­ge­führt wurden. Erst unter dem Ein­druck dieses Spiels ent­schloss sich Trainer Mil­ovan Rajevac, es im zen­tralen Mit­tel­feld zu ver­su­chen mit dem Neu-Gha­naer, der Ghana nur aus den Erzäh­lungen seines Vaters kennt.

Mit der Erfah­rung eines ein­zigen Län­der­spiels gegen Lett­land (1:0) nahm Kevin-Prince Boateng die Her­aus­for­de­rung an, bei der WM den ver­letzten Welt­star Michael Essien zu ersetzen. Er inter­pre­tiert diese Rolle als gestal­tender Antreiber vor der Abwehr so kon­zen­triert und domi­nant, wie es ihm wohl nie­mand zuge­traut hätte, mal abge­sehen von ihm selbst. Zum ersten Mal in seiner Kar­riere ver­eint Boateng auf höchstem Niveau sein tech­ni­sches Können mit der Fähig­keit, eine Mann­schaft zu führen. Er ver­zichtet auf jeden Schnörkel und setzt seine Über­steiger und Hüft­wackler nur noch ein, wenn sie der Auf­lö­sung einer kniff­ligen Situa­tion dienen.

Gegen Aus­tra­lien war er eine über­ra­gende Figur

Boateng macht das Spiel schnell, er nimmt bei Bedarf aber auch das Tempo heraus, er spielt direkt und streut seine Dribb­lings als Über­ra­schungs­mo­ment ein. Seine Flanken und Pässe errei­chen mit unge­ahnter Quote ihre Adres­saten. Am Samstag gegen Aus­tra­lien zählte er zu den über­ra­genden Per­sön­lich­keiten auf dem Platz, und nur eine sen­sa­tio­nelle Parade von Tor­hüter Mark Schwarzer ver­hin­derte, dass Kevin-Prince Boateng in Rus­ten­burg sein erstes WM-Tor feiern durfte.
Vor ein paar Wochen hat er seinen 23. Geburtstag gefeiert, und viel­leicht wird es ja doch noch etwas mit der großen Kar­riere, die ihm schon zu Jugend­zeiten bei Hertha BSC vor­aus­ge­sagt worden war.

Schon bei seinem bis­lang letzten Klub FC Ports­mouth arbei­tete sich Boateng mit Erfolg ab an der Per­spek­tive für eine bes­sere Zukunft. Ports­mouth ist pleite und aus der Pre­mier League abge­stiegen. Kevin-Prince Boateng sucht in Süd­afrika einen neuen Verein. Die Welt­meis­ter­schaft ist seine Bühne, und in keinem Spiel wird sie so opu­lent aus­ge­schmückt sein wie am Mitt­woch in Johan­nes­burg, wenn er mit Ghana die Deut­schen aus dem Tur­nier kicken kann.

An sein zum Kli­schee ver­kom­menes Image als Prinz vom Wed­ding erin­nert in Süd­afrika noch, dass er sich auf dem Rücken seines Tri­kots als »Prince« titu­liert. Das mag daran liegen, dass es im Team noch einen zweiten Boateng gibt. Es gibt aber auch einen zweiten Prince, aber auf dessen Leib­chen steht ganz kon­ser­vativ der Nach­name Tagoe.