Horst Eckel, der letzte noch lebende „Held von Bern“, ist tot. Über einen Fußballer, der andere stets wichtiger nahm als sich selbst und deshalb mit seinem Legenden-Status sehr gut leben konnte.
Ob sie da oben jetzt gemeinsam ein kleines Match anpfeifen? Diese Männer, die verantwortlich sind für einen Mythos, dem auch unser kleines Familienunternehmen zumindest indirekt seinen Namen entliehen hat? Horst Eckel ist tot. Der letzte noch lebende Held von Bern. Der Mann, der von all diesen Unsterblichen nicht nur der war, der am längsten unter den Lebenden weilte, sondern wohl auch derjenige, der am wenigsten mit dem Schicksal haderte, wie ein Denkmal behandelt zu werden.
Auf YouTube gibt es den Auftritt der 54er-Weltmeister in der biederen Volksmusiksendung von Heinz Schenk, „Zum Blauen Bock“, aus dem Jahr 1973. Das „Wunder von Bern“ ist noch keine zwanzig Jahre her, doch die versammelten Fußball-Legenden sind bereits sichtbar vom Leben gezeichnet. Werner Kohlmeyer wird nur wenige Monate nach der Aufzeichnung als erster aus der Mannschaft versterben. Max Morlock und Werner Liebrich sehen beim Trällern eines Schlagers aus wie zwei gütige Großväter. Die Walter-Brüder akkurat gestylt wie gewohnt und doch zweifelsfrei Männer, die scheibar aufs Rentenalter zugehen. Nur Horst Eckel, ganz rechts in der Reihe, sieht mit seiner öligen Schmalztolle, den Schlaghosen und dem breiten Grinsen auf den Lippen aus wie der coole Eddy von der Tankstelle, der soeben unterm Ford Capri hervorgekrochen ist, um sich eine Aktive anzuzünden.
Sie alle eint, dass sie Jahren, die so furchtbar grausam waren, dass sie sich heute kein Mensch nicht mal mehr im Entferntesten vorstellen kann, nach einem regnerischen WM-Finale im Wankdorfstadion per Kaltstart in den Heiligenstatus aufgestiegen waren. Und mit einem Starkult, wie er heute fast alltäglich ist, konfrontiert wurden, der im Nachkriegsdeutschland kein Thema war und somit eine hohes Überforderungspotential mit sich brachte.
Wer sich die Bilder bei der Siegerehrung in Bern anschaut, sieht in die Gesichter von Männern, denen nicht nur die Strapazen des Spiels anzusehen sind, sondern Jahre des Mangels und der verzweifelten Perspektivsuche. Horst Eckel war der Jüngste im Team. Auf den Bildern aus Bern sieht der „Windhund“ aus wie ein halbverhungerter Junge. Seine Schlaksigkeit hat er zeitlebens nicht abgelegt. Doch im Gegensatz zu Kollegen wie Kohlmeyer, der am überlebensgroßen Ruhm zugrunde ging, und Mitspielern wie Helmut Rahn, Ottmar Walter oder Hans Schäfer, die sich im weiteren Verlauf ihres Lebens immer schwerer damit taten, egal, wo sie hinkamen wie eine wertvolle Trophäe behandelt zu werden, hat Horst Eckel die Bürde zu Herbergers Weltmeistern zu gehören, stets mit großem Stolz und großer Würde getragen.
Auch wenn er seinen Lebenshöhepunkt als öffentliche Person schon im zarten Alter von 22 Jahren überschritten hatte, empfand er den Titel nie als Last. Im Gegenteil. Als ich ihn während der WM 2006 in Kaiserslautern zum Interview traf, war er genauso wie der Rest der Nation freudig angezündet von der positiven Euphorie des „Sommermärchens“. Die Worte sprudelten aus ihm heraus wie aus einem 18-Jährigen. Und auch wenn man ihm seine damals 74 Jahre äußerlich deutlich ansehen konnte, wirkte er nicht alt, sondern agil wie einst und in seinen Augen blitzte noch immer der ehrgeizige Fußballer, der im Finale 1954 Ungarns Spielgestalter Nándor Hidegkuti in Manndeckung genommen und zur Verzweilflung gebracht hatte.
Bis ins hohe Alter wurde Eckel nicht müde, auf die immer gleichen Fragen zu 1954 geduldig und stets freundlich zu antworten. Der Niedergang seines FCK tat ihm weh, doch er war auch imstande zu verstehen, dass sich der Fußball seit seiner aktiven Zeit verändert hatte – und ein Klub wie die Lauterer dadurch in ständiger Gefahr waren, unter die Räder zu kommen. Stattdessen sah er es als seine Bestimmung an, bei seinen zahllosen Auftritten in seiner Paraderolle als „Held von Bern“ und später als „letzter Held von Bern“ jungen Leuten beharrlich Werte von Toleranz, Fairness und Zusammenhalt zu vermitteln, die sowohl die Lauterer Walter-Elf als auch die 54er Weltmeister einst stark gemacht hatten.
Eckel besaß die Demut, sein Schicksal nicht als Ballast, sondern als großes Glück zu empfinden, das nur zehn anderen Männern seiner Generation widerfahren ist. Vom FCK der Fünfziger erzählte er wie von einer Familie. Als Zeitzeuge war er ein zentraler Faktor dafür, dass Sepp Herberger auf immer als Trainerfuchs in Erinnerung bleibt, der mit seinen zahllosen psychologischen Tricks einen Verbund aus verdrucksten Nobobys zum Weltmeister coachte.
Sich selbst hat Horst Eckel in diesen Geschichten, die mit jedem Jahr, die sie weiter zurücklagen, mehr zu Legenden wurden, nie größer gemacht als unbedingt nötig. Fritz, Helmut, der Chef, das waren die entscheidenden Männer. Ihm reichte es völlig, damals dabei gewesen sein, als sich im Berner Nieselregen ein Fußballwunder ereignete. Der Preis für die beste Nebenrolle war ihm sicher.
Mit Horst Eckels Tod sind nun alle glorreichen 54er-Weltmeister verstorben. Es ist niemand mehr da, der noch aus erster Hand eine neue Sichtweise lierfen oder gar eine Deutungshoheit über die Mannschaft und die Ereignisse in Spiez und Bern bekommen könnte. Sollten die Jungs da oben nun vollzählig wieder auflaufen, wäre schon interessant zu erfahren, was sie sich dabei über ihre seltsames, verrücktes Leben erzählen.