Mit Benedikt Höwedes beendet ein weiterer Weltmeister von 2014 vorzeitig seine Laufbahn. Nach Per Mertesacker und André Schürrle fällt auch die Karrierebilanz des 32-Jährigen eher ernüchternd aus. Macht großer Erfolg nachdenklich?
Am Samstag erschien im „Spiegel“ ein Interview, in dem Benedikt Höwedes seinen Rücktritt vom Profifußball verkündete. Das Aufmacherfoto präsentierte den Ex-Schalker unter gleißendem Flutlicht auf dem Platz seiner Jugend in Haltern am See. Ein alternder Profi, der seine Fußballschuhe in der Hand trägt und nachdenklich auf den Rasen seiner Kindheit blickt. Kein Sieger mehr, ein Gezeichneter.
Das Gespräch spiegelte den ersten Eindruck wider. Höwedes spricht über die Mühlen des Profigeschäfts. Den bizarren Luxus, mit dem er nie etwas anfangen konnte. Den Verfall von Werten, an die er fest geglaubt habe. Die ständig größer werdende Distanz zwischen treuen Anhängern und Klubs. „Der Fußball hat sich brutal entwickelt“, sagt er. Er beklagt sich über seinen Herzensklub Schalke, für den er sich jahrelang krumm gemacht hatte, sich in seiner letzten Saison im Pott sogar ständig fitspritzen ließ, um dann mitzuerleben, wie der neue Coach, Domenico Tedesco, ihn sang- und klanglos ausmusterte.
Das Interview eröffnet einen intimen Blick hinter die schillernde Fassade des Fußballs, wo ein ständiges Ausleseverfahren tobt, dem früher oder später selbst große Stars und Weltmeister, Helden dieses Spiels, zum Opfer fallen. Höwedes ist 32 Jahre alt und hat genug. Im Urlaub in Südfrankreich am Steuer seines Campingbusses, sagt er, sei er zur Erkenntnis gelangt, dass der Fußball ihm inzwischen viel weniger wichtig sei als das Leben mit seinem 21 Monate alten Sohn.
Zwei Wochen zuvor hatte bereits André Schürrle – noch ein Weltmeister von 2014 – im „Spiegel“ sein Karriereende öffentlich gemacht. Auch seine Bilanz fiel ernüchternd aus. Das Aufmacherbild zeigte den 29-jährigen in grobkörniger Schwarz-Weiß-Optik. Einen Mann, dem die Jahre auf dem Rasen sichtbar zugesetzt haben. Dazu die Zeile: „Ich brauche keinen Beifall mehr.“ Fast wie ein Kriegsheimkehrer schildert Schürrle in der Story das Brennen seiner Muskeln bei Sprints, die großen Belastungen einer Saison in der Premier League, wo es keine Winterpause gibt, die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit und seine Jahre in der Einsamkeit von Chelsea und Moskau, wohin ihn sein Erfolgswillen verschlagen hatte. Die Reportage liest sich wie die Geschichte eines von Depressionen geplagten Mannes, der viel Pech gehabt hat und in eine Sackgasse des Lebens gelangt war.
Nur im Nebensatz wird deutlich, dass Schürrle auch zur Sturheit neigt. Dass er trotz erfolgreicher Phasen in Leverkusen und Wolfsburg alles dafür tat, um bei Chelsea oder später beim BVB einen Vertrag zu bekommen – und dort unsanft scheiterte. Schürrle sagt in der Geschichte Sätze, die aus dem Mund eines Profis Ende zwanzig ziemlich traurig klingen. Etwa: „Ich wollte nicht mehr Fußball spielen, ich war total am Ende.“ Es spricht übers Meditieren, darüber, dass er seine Gedanken reduzieren muss und anfangen muss, seinen Lebenssinn nicht mehr im Fußball zu sehen.
Bereits im Frühjahr 2018 hatte mit Per Mertesacker – noch so ein Profi aus der großen Löw-Ära – seinen Unmut über die Verhältnisse im Profigeschäft Kund getan. Auch er hatte mit seinen Bekenntnissen gewartet, bis das Karriereende beschlossene Sache war. Ebenfalls in dem bekannten Hamburger Nachrichtenmagazin erzählte er von seiner Nervosität vor dem Gang ins Stadion, die bei ihm regelmäßig einen Brechreiz hervorgerufen habe. Und dass er sich nach dem Halbfinal-Aus gegen Italien beim „Sommermärchen“ 2006 nicht etwa tief enttäuscht, sondern einfach nur befreit gefühlt habe. Auch sein Fazit warf einen langen Schatten auf das vermeintlich glamouröse Leben als Nationalspieler. Mertesacker schien nicht von Melancholie befallen angesichts des nahenden Endes seiner aktiven Zeit, sondern eher von einer großen Last befreit.