Heute vor 95 Jahren verstarb Jenő Károly. Der Ungar war der erste Trainer von Juventus Turin. Und es war der Verein, der ihn ins Grab brachte.
Es gehört zur Tragik des Lebens von Jenő Károly, dass er seinen größten Triumph nicht mehr miterlebte. Noch etwas tragischer gerät dieser Umstand dadurch, dass Károly ihn in gewisser Weise selbst herbeiredete. Denn nachdem auch das zweite Finalspiel der italienischen Nordliga gegen den FC Bologna im Jahr 1926 Unentschieden geendet hatte, sagte der Trainer von Juventus Turin: „Ein drittes Spiel erlebe ich nicht mehr.“ Vermutlich meinte er damit, dass er bei der all der Aufregung eine weitere Partie nur schwer aushalten könne. Doch er sollte recht behalten. Im wörtlichen Sinne.
Drei Tage nach dem 0:0 im eigenen Stadion erlag Károly einem Herzschlag. Die „mit echt südlichem Temperament betriebenen Entscheidungsspiele“ sowie „die zahlreichen Aufregungen des Trainings- und Wettspielbetriebes“ hätten dem Ungarn arg zugesetzt, berichtete das Wiener Sport-Tagblatt am 3. August 1926. Den Todesstoß versetzten ihm jedoch wohl die eigenen Spieler: Als er sie nach einem Trainingsspiel noch zum Laufen schicken wollte, hätten sich einige der jüngeren geweigert. Darüber sei Károly in so große Erregung geraten, dass er auf dem Platz zusammenbrach und in seine Wohnung gebracht werden musste. Dort verstarb er einen Tag später im Alter von nur 40 Jahren.
Seine Mannschaft indes schien der Schicksalsschlag nicht negativ zu beeinflussen. Landsmann József Viola übernahm als Spielertrainer und führte die Turiner zum dritten Entscheidungsspiel, das in Mailand „vor einer bis zum Fanatismus erregten Zuschauermenge von etwa 25.000 Menschen“ (Sport-Tagblatt) ausgetragen wurde. Juventus siegte mit 2:1 und fertigte in den Endspielen um die gesamtitalienische Meisterschaft Alba Rom mit 7:1 und 5:0 ab. Es war der zweite von bis heute 31 Landesmeistertiteln in Juves Geschichte.
Daran hatte auch Karoly seinen Anteil. Schließlich war er der erste überhaupt, der bei Juventus Turin das Amt des Cheftrainers bekleidete. Zuvor war es in Italien üblich, dass sich die Spieler unter Anleitung des Mannschaftskapitäns mehrmals in der Woche zum Fußballspielen und Laufen trafen. Das änderte sich in Turin erst, als Edoardo Agnelli, Sohn von Fiat-Gründer Giovanni Agnelli, 1923 das Präsidentenamt übernahm. Er investierte nicht nur in Spielereinkäufe, sondern warb auch Jenő Károly als Trainer von Savona Calcio ab.
Eine richtungsweisende Entscheidung: Unter Károly trainierte die Mannschaft erstmals nach festgelegten taktischen und strategischen Vorgaben. Schnell erarbeitete er sich den Spitznamen des „Herrn Professors“. Das Sport-Tagblatt attestierte ihm, er sei „bis zum Fanatismus pflichteifrig.“
Mit seiner peniblen Arbeit lockte der ungarische Trainer auch Landsleute wie József Viola und Ferenc Hirzer nach Turin, die sich als echte Verstärkungen erwiesen. Und so verbesserte sich die Mannschaft unter Károly stetig: Auf einen noch enttäuschenden sechsten Gruppenplatz in der Premierensaison folgte Platz drei und schließlich der Gruppensieg mit den anschließenden Entscheidungsspielen gegen Bologna.
Das erfolgreiche Wirken der Ungarn in Turin blieb auch international nicht verborgen: Im April 1926 notierte das Illustrierte Sportblatt aus Österreich: „Immer wieder werden Stimmen laut, welche mit großer Sicherheit behaupten, daß Hirzer, Viola und der Trainer Károly (Juventus) nach Barcelona gehen wollen. Das wäre ein schwerer, fast nicht überwindbarer Schlag für die Juventus.“
Dass Károly überhaupt in Italien gelandet war, hatte wohl mit den Wirren der Zeit nach dem ersten Weltkrieg zu tun. Zwischen dem Königreich Rumänien und der kurz zuvor ausgerufenen Räterepublik Ungarn kam es im April 1919 zum Krieg. Mittendrin an der Front als stellvertretender Kommandant eines Arbeiterbataillons: Jenő Károly. Als die Räterepublik nach dem Einmarsch rumänischer Truppen in Budapest zusammenbrach, begann der sogenannte „Weiße Terror“, bei dem ehemalige Funktionäre und Anhänger des Rätesystems teils bestialisch hingerichtet wurden. Es wird vermutet, dass Károly als Soldat der Räterepublik deshalb nach Italien floh.
Dabei hatte er in seinem Heimatland durchaus einige Erfolge vorzuweisen. Mit dem MTK Budapest hatte er als Spieler zweimal die Meisterschaft geholt. Károly wurde Torschützenkönig und Nationalspieler, nahm mit Ungarn sogar an den olympischen Spielen 1912 in Stockholm teil.
Die Nachricht über seinen plötzlichen Tod rief in Ungarn dann auch Bestürzung hervor. Das Sport-Tagblatt berichtete von „überaus herzlichen Nachrufen“ in der ungarischen Presse auf den Herrn Professor, der sich überall größter Sympathie erfreut habe. Und auch die Tragik seines Todes brachte das Blatt auf den Punkt: „Der arme Karoly wurde also in seiner Art ein Opfer seines Berufes.“