Neuer Trainer, neue Spielphilosophie? Niko Kovac setzt bei Bayern München vor allem auf Kontinuität – sehr zum Leidwesen der Liga.
Wenn ein Trainer neu zu einer Fußball-Mannschaft stößt, lautet die wichtigste Frage für Spieler, Verantwortliche und Fans: Was wird der neue Mann verändern? Wird er radikal den Spielstil der Mannschaft umstellen? Will er gestandene Profis aussortieren und neue Spieler verpflichten? Wie möchte er frischen Wind in den Verein bringen?
Nun ist der FC Bayern München alles, aber kein normaler Bundesliga-Verein. Erfolglosigkeit bedeutet, in der Champions League bereits im Viertel- oder Halbfinale auszuscheiden oder das Pokalfinale zu verlieren. Die Meisterschaft ist fest eingeplant – sechs Titel in Folge sind schließlich nicht genug.
Kein Philosophiewandel
Ein neuer Trainer übernimmt in München zumeist eine funktionierende Mannschaft. So auch Niko Kovac. Er entschied sich das zu tun, was bereits Jupp Heynckes, Pep Guardiola und Carlo Ancelotti vor ihm getan hatten: Er baut behutsam auf der Arbeit seines Vorgängers auf.
Wer nun also erhofft hatte, Kovac würde den Bayern über den Sommer einen gänzlich neuen Spielstil einimpfen, sieht sich getäuscht. Aus der Frankfurter Eintracht hatte Kovac noch eine kampfstarke Truppe geformt. Dank Manndeckung und an den Gegner angepasste Matchpläne spielte die Eintracht häufig zu null.
Ein höherer Fokus auf das Konterspiel lässt sich bei den Bayern derzeit nicht erkennen. Sowohl beim 3:1‑Sieg über Hoffenheim als auch beim 3:0‑Erfolg über den VfB Stuttgart dominierten die Bayern die Partie über ihr Ballbesitzspiel. Die Bayern erzielen auch unter dem neuen Trainer Ballbesitzwerte jenseits der 60%.
Gegen Stuttgart mehr Mut zur Offensive
Auch die taktische Formation gleicht jener aus der Vorsaison: Wie unter Jupp Heynckes agieren die Bayern in einer Mischung aus 4−3−3 und 4−2−3−1 – je nachdem, wie weit Thomas Müller von der Achter-Position aus nach vorne rückt. Die Dreierkette, Kovac‘ präferierte Variante in Frankfurt, kam bisher in keinem Pflichtspiel zum Einsatz.
Bayerns Spiel hat sich im Vergleich zur vergangenen Saison kaum gewandelt. Noch immer lassen die Innenverteidiger den Ball laufen, noch immer erhalten sie dabei Unterstützung von einem zurückfallenden Sechser. Die Außenverteidiger rücken weit nach vorne, wo sie die lauernden Außenstürmer hinterlaufen. Dribblings von Franck Ribery und Arjen Robben bleiben das Münchener Mittel der Wahl, um gegnerische Defensivreihen zu knacken. Auch Kovac rüttelt nicht an der Vormachtstellung der beiden Alt-Stars auf den Flügeln.
So weit, so Bayern. Gegen Stuttgart wagte Kovac einige kleinere taktische Änderungen. Javi Martinez, unter Heynckes Ankerspieler auf der Sechs, räumte das Feld für Thiago. Vor ihm agierten mit Leon Goretzka und Thomas Müller zwei offensiv ausgerichtete Spielertypen. Beide rückten häufig nach vorne – im Falle von Müller auf den rechten Flügel, im Falle von Goretzka in den Strafraum. Die Bayern agieren in dieser neuen Mittelfeld-Anordnung offensiver, bringen mehr Power aus dem Rückraum in den Strafraum.
Ob diese recht offensive Aufstellung ohne echten Abräumer auch gegen stärkere Gegner funktioniert, wird sich erst zeigen müssen. Stuttgart leistete den Bayern wenig Widerstand. Sie verschanzten sich in einem total defensiven 4 – 4‑2-Block, der teils gar zu einem 4−5−1 wurde. Eigene Konter? Fehlanzeige. Kovac‘ Mut zum Risiko belohnte seine Mannschaft mit drei sehenswerten Toren. Der neue Trainer scheint nach der Heynckes-Ära spielerische Impulse setzen zu können, um die Dominanz in der Liga weiter aufrechtzuerhalten.
Die Wahrheit liegt in Europa
Allerdings liegt die Wahrheit für die Bayern, um ein berühmtes Zitat von Otto Rehhagel abzuwandeln, nicht auf deutschen Plätzen, sondern auf europäischen. Beim Saisonauftakt gegen Hoffenheim deutete Kovac an, dass er im Sommer keineswegs nur an der Offensive gearbeitet hat. In der zweiten Halbzeit agierten die Bayern etwas weniger Ballbesitz-orientiert. Stattdessen fokussierten sie sich auf ihr Pressing.
Im Spiel gegen den Ball lassen sich tatsächlich erste Facetten erkennen, die man von Kovac aus Eintracht-Zeiten kannte: Seine Münchener laufen den Gegner früh an, setzen dafür auf enge Manndeckung. Vorne sollen sämtliche Spieler des Gegners zugestellt werden. Gegen Hoffenheim nahmen die Bayern dafür offene Räume im Mittelfeld in Kauf.
Es erscheint möglich, dass Kovac im Hintergrund an einem neuen Gesicht der Bayern arbeitet: eine arbeitsamere, Pressing-fokussiertere Version der Ballbesitz-Bayern. Diese dürfte er sich für die K.O.-Phase der Champions League aufsparen. Die Champions League ist schließlich der große Titel, der die Bayern reizt. In der Liga hat es die vergangenen Jahre auch so funktioniert – und auch aktuell gibt es wenig Anlass daran zu glauben, dass die Bayern sich unter Kovac in der Liga einen Ausrutscher leisten.