Nach dem WM-Aus stellt sich Yann Sommer die Frage, wo er den vielleicht letzten großen Vertrag seiner Karriere unterschreibt. Sein Abgang aus Gladbach stünde sinnbildlich für den drohenden großen Umbruch bei den Fohlen.
Es ist der Sommer 2014, als Borussia Mönchengladbach einen schmerzvollen Abgang verkraften muss. Marc-André ter Stegen, seit seiner jüngsten Kindheit Fan, Torwarttalent und schließlich Identifikationsfigur, verlässt den Verein, um zum FC Barcelona zu wechseln. Den Gladbachern bringt ihr Eigengewächs eine Ablöse von 12 Millionen Euro und die Frage, wer diesen hochtalentierten Torhüter nur ansatzweise ersetzen kann. Die Antwort: Yann Sommer. Für 9 Millionen Euro verpflichtet ihn Borussia vom Schweizer Meister FC Basel. Jörg Stiel, einer der Vorgänger von Sommer im Tor der Borussia und der Schweizer Nationalmannschaft, zeigt sich zuversichtlich: „Natürlich übernimmt Yann ein schweres Erbe. Aber ich bin überzeugt davon, dass drei Wochen nach dem Saisonstart niemand mehr über ter Stegen redet.“ Er sollte recht behalten.
Im Winter 2022, mehr als acht Jahre später, steht Yann Sommer vor einer letzten großen Entscheidung: Vertragsverlängerung und somit ein mögliches Karriereende bei Borussia Mönchengladbach? Oder doch nochmal ein Wechsel zu einem Weltklub? Medienberichten zufolge soll ein solcher nun erneut bei ihm angeklopft haben. Nachdem es vor der Saison schon einmal Gerüchte um einen Wechsel zu Manchester United gab, sucht der Klub nun einen Nachfolger für seine langjährige Nummer eins David de Gea.
„Vielleicht willst du doch nochmal bei einem anderen Klub spielen. Vielleicht willst du nochmal irgendwo eine Meisterschaft holen. All das muss er abwägen“
Sportlich wie finanziell wäre dies vermutlich eine Gelegenheit, die der Schweizer kaum auslassen könnte. Die Enttäuschung der Gladbach-Fans wäre sicherlich groß, doch ähnlich wie beim Wechsel von Marc-André ter Stegen zu Barcelona könnte die Entscheidung wohl jeder Gladbach-Fan verstehen – auch wenn die Ungeduld bezüglich einer Entscheidung wächst. Gladbachs Sportdirektor Roland Virkus kann die lange Bedenkzeit, die sich der Torwart nimmt, nachvollziehen, wie er im „MitGeredet“ Podcast sagte: „Der Yann weiß ganz genau, dass er ein wichtiger Baustein unserer Führungsstruktur ist. Aber du hast ja auch persönliche Ziele. Vielleicht willst du doch nochmal bei einem anderen Klub spielen. Vielleicht willst du nochmal irgendwo eine Meisterschaft holen. All das muss er abwägen.“ Nach seinem Ausscheiden im WM-Achtelfinale mit der Schweiz hat Sommer nun die nötige Gedankenfreiheit, zu entscheiden, wie es in seiner Karriere weitergeht.
Dass Sommer nach über acht Jahren noch immer in Mönchengladbach ist, ist in Anbetracht seiner Leistungen der letzten Jahre ohnehin ein ähnliches Wunder wie Lucien Favres Rettung des VfL in der Relegation 2011. Sommer hat die erfolgreichste Zeit des Klubs in diesem Jahrtausend mitgeprägt wie kaum ein anderer. Regelmäßige Teilnahmen am Europapokal inklusive großer Champions-League-Nächte gegen Real Madrid, den FC Barcelona, Inter Mailand oder Manchester City waren für Sommer und seine Teamkollegen keine Seltenheit. Lediglich ein Titel blieb ihm bis heute verwehrt. Geht es nach Sommer, ist dies einer der Hauptgründe, warum es ihm schwer fallen würde, die Borussia zu verlassen: „Es ist ein großes Ziel, mit Borussia einen Titel zu gewinnen.“
Sowohl im Klub als auch in der Schweizer Nationalmannschaft war Sommer eine unangefochtene Konstante im Tor. Die Anzahl seiner Spiele mit mehreren Weltklasse-Paraden ist inzwischen vermutlich so hoch wie die von Anti-RB-Aufklebern in der Mönchengladbacher Innenstadt. Fans und Spieler des FC Bayern München können ein Lied davon singen. Dass Borussia Mönchengladbach auch in den letzten Jahren als der Bayern-Schreck Nummer eins in Deutschland gilt, hat viel mit dem Namen Yann Sommer zu tun. Jüngst in der laufenden Saison stellte Sommer gegen die Bayern einen Bundesliga-Rekord auf: 19 Paraden konnte er am Spielende vorweisen, seit der Datenerfassung im Jahr 1992 war keinem Bundesliga-Torhüter jemals ein solcher Wert gelungen. Damit verhalf er seiner Mannschaft zu einem überaus glücklichen Punktgewinn in der Allianz Arena. Bei Thomas Müller sorgten die wiederholt überragenden Leistungen seines Gegners für Frustration: „Das kennen wir ja nicht anders, dass der Yann Sommer das Spiel des Jahres gegen uns macht.“
Wie oft Yann Sommer und seine Teamkollegen noch die Vereinsverantwortlichen des FC Bayern auf der Haupttribüne der Münchener Arena verärgern werden, ist aktuell aber ungewisser denn je. Denn Sommers auslaufender Vertrag und ein damit verbundener möglicher Wechsel stehen beispielhaft für einen größeren Kaderumbruch, mit dem sich die Borussia in den kommenden Monaten konfrontiert sieht. Neben Yann Sommers Vertrag laufen im Sommer 2023 die Kontrakte von Marcus Thuram, Ramy Bensebaini, Lars Stindl, Christoph Kramer, Tony Jantschke sowie die der beiden Ersatztorhüter Tobias Sippel und Jan Olschowsky aus – allesamt Spieler, die entweder zu den absoluten Leistungsträgern der Mannschaft gehören (Bensebaini, Thuram) oder aber jahrelange Identifikationsfiguren des Vereins sind (Tony Jantschke, Tobias Sippel). Bei Lars Stindl, Yann Sommer und Christoph Kramer treffen sogar beide Fälle zu.
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