In einer schwierigen Hoffenheimer Saison ist Verteidiger Niklas Süle ein Lichtblick. Seine Karriere wirkt wie am Reißbrett entworfen, aber das macht ihn nicht weniger dominant.
Diese Geschichte beginnt am 18. Mai 2013 im Dortmunder Westfalenstadion. In der 85. Minute wird der zu diesem Zeitpunkt 17-jährige Niklas Süle ins kalte Wasser geworfen. Kalt? Eher lodernd heiß. Denn seine Mannschaft, die TSG Hoffenheim, hatte vor wenigen Minuten das Spiel gegen Borussia Dortmund gedreht und dank zweier Tore von Sejad Salihovic und einer Roten Karte an Roman Weidenfeller die Chance, tatsächlich noch den Relegationsplatz zu erklimmen. Jetzt hieß es verteidigen. Irgendwie die Zeit von der Uhr nehmen. Es sollte funktionieren.
In den zwei kommenden Spielen gegen den 1. FC Kaiserslautern sprang Hoffenheim der Zweiten Liga von der Schippe. Zweimal wurde Niklas Süle wieder eingewechselt. Einmal in der 87. und ein weiteres Mal in der 60. Minute. Für Süle bedeuteten diese Siege den Weg zum Bundesligaprofi, als auch in Hoffenheim ein kleines Umdenken ansetzte.
Die Wege eines Musterprofis
Ein Weg, der jahrelang von ihm abgewogen und abgearbeitet worden war. Im Dorfverein Rot-Weiß Walldorf entdeckt, später zu Eintracht Frankfurt und SV Darmstadt gewechselt. In den Trikots aller Juniorennationalmannschaften gespielt und den Feinschliff seiner Ausbildung in der aufstrebenden Jugendakademie der TSG Hoffenheim erhalten. DFB-Prädikat: sehr wertvoll – so stellen wir uns das vor.
Damit entspricht Süle dem Musterbeispiel eines jungen Profis. Mit gerade einmal 20 Jahren hat der 1,95 Meter große Innenverteidiger die Oberaufsicht in der Hoffenheimer Abwehrkette erhalten und in dieser Saison nicht eine einzige Pflichtspielminute verpasst. Auch deshalb ist er bei europäischen Teams begehrt wie Gold in Zeiten der Inflation.
Der effektivste Verteidiger der Liga
In einer desolaten Hoffenheimer Saison ist Süle einer der wenigen Akteure, die konstant gute Leistungen abrufen. Dass ein so junger Spieler in einem Formtief der gesamten Mannschaft so heraussticht, ist ebenso überraschend wie der Blick auf seine Saisonwerte. Mit 6,2 entschärften Situationen pro Spiel ist Süle ein Jahr nach einem Kreuzbandriss nicht nur der effektivste Verteidiger seiner Mannschaft, sondern gleich der gesamten Liga.
Na klar, der Junge hat in Hoffenheim auch ordentlich zu tun und kann sich deshalb auszeichnen, könnte man meinen. Doch hinter ihm folgen in der Statistik mit Benjamin Hübner, Marvin Matip (beide FC Ingolstadt), Aytac Sulu (Darmstadt), Joel Matip (Schalke 04) und Sebastian Langkamp (Hertha BSC) eben vor allem Verteidiger, die mit ihren Mannschaften zwar unter Druck geraten, aber eben auch erfolgreichen Fußball spielen.
Und Süle ist nicht allein rustikaler Abräumer, sondern auch Taktgeber und Dirigent des Hoffenheimer Aufbauspiels. Ganz so wie es sich der DFB vorstellt.
In der Winterpause, als die TSG Hoffenheim noch als erster Abstiegskandidat festzustehen schien, war der Wechsel von Niklas Süle beinahe beschlossene Sache. „Das ist mein Verein, dem ich viel zu verdanken habe. Da hätte ich einen schlechten Charakter, wenn ich dann in so einer schwierigen Situation gehen würde“, wehrte sich Süle gegenüber dem „Kicker“ zwar vor Wechselgerüchten. Nach angeblichen Angeboten von Borussia Dortmund, AC Mailand und dem FC Liverpool war aber wohl jedem TSG-Anhänger klar, dass die Zweite Liga ohne das Eigengewächs stattfinden würde.
Sollte Süle nach der laufenden Saison nicht wechseln, wäre das für den neuen Trainer Julian Nagelsmann wohl der zweitgrößte Erfolg – nach dem Klassenerhalt. Wie viel Einfluss der Coach auf seinen Schützling besitzt, ließ Süle selbst in dieser Woche durchblicken, als er über einen möglichen Verbleib sprach: „Es hängt natürlich viel davon ab, ob wir in der Liga bleiben. Grundsätzlich herrscht aber wieder ein anderes Klima im Verein. Viel besser, seit Julian da ist.“
Aha, Julian also. Nicht das „Herr Nagelsmann“ in der Öffentlichkeit. Sondern Julian. Und Süle setzte noch einen drauf: „Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu ihm, ich nehme alles an, was er sagt, aber alles auf einem lockeren Gesprächsniveau. Ich denke, Julian kann mich noch besser machen. Ich weiß schon, was ich in Hoffenheim habe.“
Frankreich oder Rio?
Man möchte sich das schon vorstellen, wie der Niklas und der Julian im Sommer bei einer Apfelschorle und dem angeworfenen Grill beieinander sitzen, über Fußball in der Provinz philosophieren und noch kurz über die neuen Vertragsmodalitäten sprechen. „Du Julian, ich bräuchte zur neuen Saison ‘ne Mille mehr. Die Jungs aus England bieten ja fleißig, weißte.“ – „Ach ja, ne klar, Niklas. Bespreche ich morgen mit Didi im Büro. Kriegste.“
Es gibt sonst wenig Privates über den Musterprofi zu erzählen. Eben ganz so wie es sich der DFB vorstellt.
Waghalsigste Behauptungen schreiben Niklas Süle bereits als möglichen Kandidaten für Löws EM-Kader in die Gazetten. Dann hätte er natürlich keine Zeit für Grill und Apfelschorle. Für ihn dürfte die Berufung dennoch ein wenig zu früh kommen. Zumal im August die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro anstehen. Und in der Perspektivauswahl von Horst Hrubesch ist Süle sowieso gesetzt.
Nicht bereit für hohes Risiko
Träumereien, denn der Abstiegskampf mit der TSG Hoffenheim wird in den kommenden Wochen natürlich im Fokus stehen. Für Süle wäre ein weiteres und kollektiv erfolgreicheres Jahr in Sinsheim persönlich wünschenswert. Die Anfragen aus dem Ausland kämen dann noch früh genug. Darauf angesprochen, sagt er: „Karriereschritte sollten genau abgewogen werden. Jeder junge Profi träumt von Spielen auf internationalem Niveau.“ Es zeigt, dass Süle nicht bereit ist, ein zu hohes Risiko einzugehen. Alles wird penibel abgewogen.
Erst Dorfverein, dann fußballerische Ausbildung in einer der objektiv besten Jugendfußballzentren des Landes. Juniorennationalmannschaft, Bundesligadebüt, nach möglichst wenigen Verletzungen erste Verantwortung übernehmen und nach der Feuerprobe wohlmöglich den Gang ins Ausland wagen. Süles Laufbahn wirkt wie von intelligenten Köpfen des Verbandes am Reißbrett entworfen. Das ist nicht immer spektakulär. Das ist aber zumeist sehr erfolgreich. Genauso wie es sich der DFB vorgestellt hat.