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Lesen Sie im aktu­ellen Heft 11FREUNDE#141 eine sechs­sei­tige Hin­ter­grund-Repor­tage zum Kampf des MSV um die Lizenz für die Zweite und Dritte Liga mit dem Titel Ein Sommer am Abgrund“. Ab sofort im Handel.

Können Sie Ihren Namen noch einmal buch­sta­bieren?“ Die Frau am Emp­fang im Duis­burger Sta­dion schreibt mit. Y‑I-L …“, und so geht es weiter. Dann notiert sie die Posi­tion und das Alter des Anru­fers. Der Pro­fi­mann­schaft des MSV Duis­burg, dem Pokal­fi­na­listen von 2011 und ehe­ma­ligen Zweit­li­gisten, laufen die Spieler davon. So bewerben sich unauf­ge­for­dert sämt­liche Ama­teur­ki­cker des Umlandes per Telefon. Hier rufen ständig irgend­welche Spieler an und erzählen, was sie alles können“, sagt die Frau.

Dabei weiß an diesem Mon­tag­morgen, dem 8. Juli, eigent­lich noch nie­mand, wie die nahe Zukunft des MSV aus­sieht. Erst gegen Mittag ent­scheidet der Beschwer­de­aus­schuss des DFB in Stutt­gart, ob dem Verein die Lizenz für die Dritte Liga erteilt wird. Mit­ar­beiter, Spieler, Trainer und Fans – für sie war es bis dahin eine wochen­lange Zit­ter­partie. Die Lizenz für die Zweite Liga wurde dem MSV ver­wehrt, nun könnte es ganz düster enden: mit der Insol­venz, der fünften Liga, mit Kün­di­gungen.

Gal­gen­humor auf der Geschäfts­stelle

Pres­se­spre­cher Martin Hal­ter­mann sitzt in einer der Logen des Duis­burger Sta­dions. Wir haben uns hier daran gewöhnt, nur von Tag zu Tag zu planen.“ Die Mit­ar­beiter mussten auf ihr Gehalt warten, keiner kann sich sicher sein, wo er im kom­menden Monat arbeitet. Dem Schock der ersten Tage folgte Gal­gen­humor. Bei öffent­li­chen Lamentos der Stadt­vor­deren über ihre Arbeits­be­din­gungen schlug einer der MSV-Mit­ar­beiter vor, man könne für sie auf der Geschäfts­stelle mit dem Hut sam­meln.

Hal­ter­mann schaut auf die Uhr, es ist zwölf. Gerade beginnt in Stutt­gart die für den MSV Duis­burg so ent­schei­dende Sit­zung. Der Blick geht raus in das Innere des Sta­dions, eine moderne Arena für über 30 000 Zuschauer, Bau­kosten über 40 Mil­lionen Euro. Die ita­lie­ni­sche Natio­nal­mann­schaft spielte und trai­nierte hier vor ihrem Welt­meis­ter­schafts­titel 2006. Duis­burg zog vor zwei Jahren nach einem Sieg über Cottbus ins Pokal­fi­nale ein. Viel mehr große Feiern gab es hier nicht – abge­sehen von ein paar Abi­bällen. Die Miete aber drückte dem Klub auf den Schul­tern, er schlit­terte fort­wäh­rend ins Minus. Spielt der MSV noch nicht einmal in Liga drei, dann wird das Sta­dion zum Geis­ter­schloss.



Schi­manski ver­misst die alte Zeit

Gegen 15 Uhr ver­meldet der lokale Radio­sender, dass der MSV mit der Dritten Liga rechnen kann. Martin Hal­ter­mann bestä­tigt dies. Es ist die Top­mel­dung, jene Nach­richt, auf die alle in Duis­burg gewartet haben. Alle wei­teren Nach­richten sind aller­dings nicht minder bri­sant. Der Küp­pers­mühlen-Bau­skandal ist ein Thema, ver­schwen­dete Gelder, die dro­hende Pleite für die Woh­nungs­bau­ge­sell­schaft, Pfusch. Ein neues Gut­achten zur Love­pa­rade-Kata­strophe kommt heraus, die Straf­er­mitt­lungen dauern drei Jahre nach der Tra­gödie noch an, wich­tige E‑Mails sollen gelöscht worden sein. Das alles ist schlimmer als der Fuß­ball, aber der MSV hat sich in den Skan­dalen, die wie Mehltau über der Stadt liegen, nicht gerade aus­ge­nommen. Mau­sche­leien, Ego-Trips, Macht­kämpfe – das Mantra die da oben machen, was sie wollen“ hat sich hier eta­bliert. Und Schi­manski“ hat schon lange keine Türen mehr ein­ge­treten.

Kürz­lich war er, also Götz George, wieder in der Stadt, um einen neuen Tatort“ zu drehen. Gleich legten ihm Fans einen MSV-Schal um den Hals, als Unter­stüt­zung für die Soli­da­ri­täts­ak­tion Zeig Streifen“. Doch selbst Schimmi“, also Götz George, beklagte, dass es das alte Duis­burg nicht mehr gebe. Was ein Duis­burger Schrott­platz­chef in der Lokal­zeit“ unter anderem tro­cken damit erklärte, dass der Puff reno­viert worden sei.

Früher waren wir eine Familie“, erzählt ein älterer Mann in seinem Ohren­sessel. Wir fuhren mit den Spie­lern im Bus, tranken mit Ennatz Dietz ein Bier auf der Rück­bank.“ Der Mann ist 88 Jahre alt, ein echter Duis­burger, war Ewig­keiten beim MSV beschäf­tigt, bis zu diesem Jahr. Die kno­chige Hand fährt durch das glatte Haar. Der MSV ist mein Leben. Meine Frau sagte immer: Du bist über 80, was rennst du ewig zum Sport­platz, guck zu Hause im Fern­sehen.“ Er hörte nicht auf.

Ein Leben, das wirkt wie zu viel für einen Ein­zelnen, fünf Jahre in rus­si­scher Gefan­gen­schaft, erfolg­rei­cher Unter­nehmer, Bun­des­ver­dienst­kreuz. Herz­schritt­ma­cher, meh­rere Bypässe – kein Wunder, wenn man beim MSV ist“, so kom­men­tiert man das im Ruhr­pott. Der Mann will aber nicht, dass sein Name irgendwo erscheint. Denn aus der Duis­burger Familie ist ein zer­strit­tener Haufen geworden mit ver­schie­denen Lagern. Und der MSV muss sich über die Lizenz für die dritte Liga freuen. Ich nicht“, sagt der Mann und hebt den Finger. Der MSV gehört nach oben. All die Mann­schaften, die jetzt kommen, Hei­den­heim undund. Da könnte ich weinen.“



700 Kilo­meter im Neun­sitzer

Am Sta­dion der Duis­burger ist die Euphorie hin­gegen groß. Fans feiern in Tri­kots und mit Schals – schließ­lich ist ihr Klub dem Tod von der Schippe gesprungen. Sie haben wochen­lang alles dafür getan, Mahn­wa­chen, Men­schen­ketten, Klas­sik­kon­zerte, Lesungen vor dem Sta­dion, Soli-Demozug, Ker­zen­meere. Jetzt singen sie den umge­dich­teten Klas­siker: Eine neue Liga ist wie ein neues Leben“. Sie planen Bus­reisen zum ersten Aus­wärts­spiel der Dritten Liga. Nach Burg­hausen. 700 Kilo­meter ent­fernt. Um halb zwei Uhr mor­gens soll es im Neun­sitzer los­gehen. Die meisten Men­schen würden so eine Reise nicht mal auf sich nehmen, wenn in Burg­hausen das Bern­stein­zimmer auf­ge­taucht wäre.

Doch Duis­burg ist wie elek­tri­siert ob des wie­der­be­lebten Klubs. Am nächsten Tag laufen Kinder in Tri­kots zur Schule. Wäh­rend sie in anderen Orten Namen wie Messi oder Ronaldo auf dem Rücken tragen, steht hier Dum oder Wolze. Und der Fuß­ball-Stamm­tisch Dop­pel­pass“ mag zwar in Mün­chen auf­ge­zeichnet werden, erfährt seine täg­li­chen Auf­füh­rungen aber an den Kiosken im Pott. An einem Büd­chen nahe des Sta­dions mimt ein stäm­miger Typ in kurzer Hose und MSV-Shirt den Jörg Won­torra, wäh­rend er Kin­dern Kratzeis und Lakritze raus­gibt.

Wir waren immer zu gut für die Zweite und zu schlecht für die Erste Liga“, ruft er und lehnt sich über die Laden­theke. Dann kam der ganze Schmu.“ Er redet sich in Rage, woan­ders würde die sich ansam­melnde Schlange an Kunden pro­tes­tieren, hier lauscht man gebannt und steigt dann mit Sai­son­pro­gnosen ein. Ich freue mich nur auf eine Sache: Dass wir die ganzen Dul­li­ver­eine wie Hei­den­heim hier in Grund und Boden singen.“

Am ersten Spieltag der Dritten Liga spielt der MSV gegen Hei­den­heim. 18 000 Duis­burger Fans kommen. Lang­jäh­rige Begleiter des Ver­eins sagen hin­terher, dass es in diesem Sta­dion noch nie so laut gewesen sei. Wie der Jörg Won­torra der Trink­halle zu sagen pflegt: Der MSV macht mich fed­dich.“