Darwin Núñez schießt Benfica Lissabon ins Viertelfinale der Champions League und sich selbst auf den Radar der europäischen Topklubs. Moment mal: Darwin wer?
„Every little thing is gonna be alright“, schallt es aus den Lautsprechern der Johan-Cruijff-Arena in Amsterdam, als sich Darwin Núñez sichtlich gelöst auf den Weg zu den mitgereisten Anhängern macht. Mit seinem Tor zum entscheidenden 1:0 hat der Stürmer Benfica Lissabon wenige Minuten zuvor ins Viertelfinale der Champions League geschossen, nun holt er sich die Belohnung in Form von Sonderapplaus ab. Für ihn ist – anders als für die holländischen Fans, die den Bob-Marley-Klassiker zur inoffiziellen Vereinshymne auserkoren haben und die nun bedröppelt aus der Wäsche gucken oder längst den Heimweg angetreten haben – schon jetzt alles „alright“, alles super, alles bestens. Denn für Núñez läuft es so richtig. Der Treffer in Amsterdam war bereits sein vierter im achten Champions-League-Spiel – und das mit gerade mal 21 Jahren. Wer ist dieser junge Stürmer, der spätestens seit dem Ajax-Spiel in den Notizbüchern von sämtlichen europäischen Top-Klubs stehen dürfte?
Die Geschichte von Darwin Gabriel Núñez Ribeiro beginnt in der Kleinstadt Artigas in Uruguay. Sie gilt als eine der ärmsten Gegenden des Landes. Dort wächst Darwin mit seinen Eltern und seinem großen Bruder Junior in völliger Armut auf. Vater Bibiano arbeitet als Bauarbeiter, Mutter Silvia sammelt Flaschen. Sie versuchen damit, die Familie irgendwie über Wasser zu halten. Doch wie Darwin selbst einige Jahre später in einem Interview erzählen sollte, gelang das nicht immer: „Ja, ich bin oft zu Bett gegangen, ohne etwas im Bauch zu haben. Doch wer noch seltener etwas zu Essen bekam, war meine Mutter. Sie wollte immer, dass mein Bruder und ich zuerst Essen bekommen.“ Ein Satz, der die enge Verbindung zwischen Darwin und seiner Mutter bereits erahnen lässt. Die Familie lebt zudem in ständiger Angst vor der Flut – der nahegelegene „Cuareim River“ verursacht nahezu jährlich verheerende Überflutungen in den umliegenden Gegenden.
Von seinem älteren Bruder lernt Darwin das Fußballspielen. Ihre Tage verbringen die beiden von klein auf damit, in den Straßen Artigas Fußball zu spielen. Mit sieben Jahren schließt sich Darwin dem lokalen La Luz FC an. Seinen ersten Jugendtrainer dort bezeichnet Núñez noch heute als größten Förderer: „Er brachte mir bei, wie man Fußball spielt. Zudem gab er meiner Mutter Arbeit und unterstützte meine Familie.“ Der junge Darwin gilt in seinem neuen Verein als schüchtern und zurückhaltend. Was ihn dagegen bereits im Kindesalter auszeichnet: sein starker Wille, es ganz nach oben zu schaffen. So soll er bereits mit acht Jahren seinem Trainer angekündigt haben, irgendwann mit dem Fußball seine Familie ernähren zu können. Wenig später stirbt sein großer Förderer, dem Darwin noch heute jedes seiner Tore widmet: „Jedes Mal, wenn ich ein Tore erziele, zeige ich in den Himmel. Ich widme es einem guten Freund, den ich niemals vergessen werde, und der von dort oben auf mich herabschaut“, so Núñez in einem Interview.
Im Sommer 2013 wird ein Scout auf den hochtalentierten Stürmer aufmerksam. Sein Name: José Perdomo, ehemaliger uruguayischer Nationalstürmer und Copa-America-Sieger. Er lädt Darwin in die größte Fußballakademie des Landes in der Hauptstadt Montevideo ein. Mit 14 Jahren verlässt Núñez also seine Familie, um seinen Traum vom Profifußball zu verwirklichen. Dieser Schritt erweist sich allerdings als zu früh: Er wird von schrecklichem Heimweh geplagt und in Montevideo nicht glücklich. Der Verein schickt ihn deshalb für ein Jahr zurück in seine Heimatstadt Artigas. 2015 dann also der nächste Versuch in Montevideo, erneut trifft Darwin auf Widerstände. Denn seine Mitspieler haben sich in der Zwischenzeit einen spöttischen Spitznamen für ihn ausgedacht: „Der mit dem Heimweh“. Er muss sich ihren Respekt auf dem Feld verdienen, was ihm auf beeindruckende Art und Weise gelingt. Der erwähnte José Perdomo sorgt dafür, dass der Erstligist Atlético Peñarol auf den Stürmer aufmerksam wird und ihn mit 16 Jahren zum Profi machen will. Doch dann folgt der Moment, der Darwin Núñez fast seine Karriere kostet.