Wir bauen unsere Seite für dich um. Klicke hier für mehr Informationen.

Dieser Text erschien erst­mals in 11FREUNDE #226. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhält­lich.

Der auf einer Safari selbst geschos­sene Nubi­sche Stein­bock starrt von der Wand ins Leere, auf der Bie­der­mei­er­an­richte steht eine ange­bro­chene Fla­sche 2016er Domaine de la Romanée-Conti Grand Cru und oxi­diert. Daneben liegt ein Zigar­ren­schneider in einer Wolke rastlos gerauchter Cohiba Behikes. Der Butler lugt ins Halb­dunkel des West­flü­gels und ver­zieht sich schnell wieder. Denn Mo Neten (Name von der Redak­tion geän­dert) ist jetzt nicht nach Amuse-Gueules. Neten, ein ganz nor­maler Bun­des­li­ga­mil­li­ardär, leidet wie ein Hund.

Bun­des­li­ga­mil­li­ar­däre wie Neten – Typ altes Geld, Pri­vatjet und Bar­bour­jäck­chen – sind hier­zu­lande ein bekannter Anblick. Neten selbst steht in der Öffent­lich­keit, badet in der Menge. Und doch hat er einem Treffen auf seinem Cha­teau nur unter Zusi­che­rung voll­stän­diger Anony­mität zuge­stimmt. Dort erwartet den Besu­cher aktuell ein Bild des Elends. Es reicht! Wir haben genug“, bölkt Neten mit seiner Macher­stimme, die doch am Satz­ende in Ver­zweif­lung bricht. Wir können das nicht mehr ein­fach so hin­nehmen.“

Die breite Masse schaut weg

Was Neten umtreibt, ist die akute Mil­li­ar­därs­dis­kri­mi­nie­rung im deut­schen Fuß­ball, auch Anti-Mil­li­ar­dismus genannt. Denn eine bit­tere Wahr­heit im Fuß­ball­deutsch­land des Jahres 2020 ist: Kaum eine Rand­gruppe, ja wahr­schein­lich keine, ist in der Bun­des­liga so fürch­ter­li­cher Dis­kri­mi­nie­rung aus­ge­setzt wie alte, weiße Mil­li­ar­däre. Kein Spieltag ver­geht ohne Schmä­hungen, kein Artikel ohne Hetze gegen ihre Klubs. Zwar regt sich hier und da Soli­da­rität, vor allem in den eigenen, dank kleb­riger PR-Tricks her­ge­stellten Fan­szenen jener Ver­eine, die sich die Bun­des­li­ga­mil­li­ar­däre zwecks Wer­bung oder ein­fach aus Eitel­keit in die Vor­gärten gestellt haben. Doch die breite Masse schaut bei dem Pro­blem lieber weg. 

Ich ver­stehe, dass Zivil­cou­rage schwierig ist“, sagt Neten. Aber ich würde mir mal fan­sze­nen­über­grei­fende Aktionen wün­schen. Dass die Kurven mal tau­sende Je suis Milliardär‘-Schilder hoch­halten oder ein­fach Danke, danke‘ skan­dieren. Ich würde mich auch jeder­zeit auf einer Sänfte von den Leuten in meine Loge tragen lassen. Aber da müssen die den ersten Schritt machen.“

Alle sieben Minuten wird ein Mil­li­ardär geschmäht

Schät­zungen zufolge wird in einer deut­schen Fan­kurve alle sieben Minuten ein Mil­li­ardär geschmäht. Die Gründe dafür sind völlig unklar, auch die Betrof­fenen stehen vor einem Rätsel. Ich ver­stehe nicht, warum sich die Leute an einem am Reiß­brett ent­wor­fenen Fuß­ball­klub stören, der sich in einen Wett­be­werb rein­drängt, den sie seit Jahr­zehnten lei­den­schaft­lich ver­folgen und der ihren Her­zens­klub dann aus der Liga gen­tri­fi­ziert und den Wett­be­werb kaputt­macht. Wozu ist denn die Lei­den­schaft vieler Mil­lionen Men­schen gut, wenn ich sie nicht für per­sön­liche Zwecke aus­nutzen kann“, fragt Neten und pult sich gedan­ken­ver­loren einen Lan­gus­ten­rest aus dem Veneer. Dann wird er laut: Die Großen schlu­cken eben die Kleinen. Das ist wie bei meiner Yacht, in die eine klei­nere Yacht hin­ein­passt. Ich meine, was kommt als Nächstes? Pro­tes­tieren die Leute gegen Immo­bi­li­en­haie?“

Neten wirkt ange­fasst in diesem Moment. Manchmal helfe es ihm, erzählt er und tupft sich mit einem Blan­ko­scheck eine Träne aus dem Augen­winkel, wenn er sich von seinem Chauf­feur zum ört­li­chen Spiel­platz fahren lasse, um einem Kind den Lut­scher weg­zu­nehmen. Auch mit dem Rücken zu allen anderen in seinem Bond-Böse­wicht-Stuhl zu sitzen und eine Katze zu strei­cheln, ent­spanne ihn. Oft genug helfe das aber auch nicht.

Ich frage mich dann manchmal, ob diese Hetze eher mit einem ras­sis­ti­schen Ter­ror­an­schlag ver­gleichbar ist oder doch mit Nazi­me­thoden – oder mit beidem.“

Mo Neten

Wer sich ein Bild davon machen will, was Men­schen wie Neten bei einem ganz nor­malen Sta­di­on­be­such durch­ma­chen, muss ihn zu einem Spiel begleiten. Nur etwa neun von zehn Fans gucken ehr­fürchtig oder bewun­dernd, noch weniger ver­neigen sich, die wenigsten tief genug, zu Ring­küssen kommt es fast gar nicht. Neten hat keinen eigenen Aufzug zur Loge, und so muss er fast eine halbe Minute lang warten, weil sich irgendein neu­rei­cher Por­sche­zahn­arzt vor­drän­gelt. Der Con­cierge sieht tatenlos zu, eine Pro­vo­ka­tion. Oben ange­kommen, ist das Wach­tel­car­paccio fast kalt und das Aal­tartar mit tas­ma­ni­schem Berg­pfeffer statt mit Anda­liman-Pfeffer gewürzt. Neten nimmt diese Ärger­nisse tapfer und klaglos hin, aber wenn auf den bil­ligen Plätzen im Sta­dion dann wieder jemand ein kri­ti­sches Banner gegen ihn hoch­hält, ist es ein Mar­ty­rium“, so Neten. Er lässt seinen Butler den Kopf schüt­teln. Ich frage mich dann manchmal, ob diese Hetze eher mit einem ras­sis­ti­schen Ter­ror­an­schlag ver­gleichbar ist oder doch mit Nazi­me­thoden – oder mit beidem.“

Dass in der jün­geren Ver­gan­gen­heit auch end­lich mal mutige Ent­scheider in der Bun­des­liga solche Ver­gleiche gewagt hätten, mache ihn glück­lich, gesteht Neten. Zu lange hätten die Ver­bände dem Treiben tatenlos zuge­sehen, ein Bewusst­sein für Anti-Mil­li­ar­dismus habe es auch bei den Offi­zi­ellen kaum gegeben. Immerhin aber tue sich mitt­ler­weile etwas. So sei es ein Schritt in die rich­tige Rich­tung gewesen, beim Thema Ras­sismus jah­re­lang weg­zu­sehen oder mit Hashtag-Kam­pa­gnen Sym­bol­po­litik zu betreiben, um dann umge­hend vom Tag der Schande“ zu spre­chen und ein Spiel de facto nicht zu Ende zu spielen, als ein hie­siger Mil­li­ardär ein paar Banner erdulden musste.

Da war der Schaden aber schon ent­standen“, schränkt Neten ein. Gerade die schwächste aller Min­der­heiten gelte es zu schützen, die lange Untä­tig­keit der Ver­bände habe viele Bun­des­li­ga­mil­li­ar­däre ver­blüfft und sei auch auf der ein oder anderen Fuchs­jagd bereits Thema gewesen. Wir haben uns gewun­dert. Vor allem, nachdem die Zusam­men­ar­beit ansonsten immer so rei­bungslos ver­laufen war. Bei der Lizen­zie­rung eines Phan­ta­sie­klubs. Bei der Umge­hung der 50+1‑Regel. Oder auch im All­täg­li­chen, wenn einer von uns mal geg­ne­ri­sche Fans mit Schall­ka­nonen drang­sa­liert hat. Das hat immer super geklappt.“

Aber es klappt eben nicht mehr allzu viel im tief gespal­tenen deut­schen Fuß­ball. Das weiß auch P. Nunzen (Name von der Redak­tion geän­dert). Bun­des­li­ga­mil­li­ardär Nunzen – Typ juve­niler Leder­ja­cken-Greis – ist aus dem edelsten aller Gründe im Fuß­ball invol­viert, der Hab­gier. Auch des­halb schmerzt ihn das har­sche Klima im oft anar­chi­schen Volks­sport so sehr. Es trifft genau die­je­nigen, die sich am wenigsten ver­tei­digen können“, so Nunzen. Er lässt seinen Blick über den Hub­schrau­ber­lan­de­platz schweifen, wegen schlechten Wet­ters kann er heute nicht zum Golfen fliegen, noch so ein Nacken­schlag. 

Mitt­ler­weile reicht es ja, wenn du erst ras­sis­tisch einen ganzen Kon­ti­nent ver­un­glimpfst und dann inmitten einer glo­balen Pan­demie deine ost­eu­ro­päi­schen Skla­ven­ar­beiter, die du sowieso schon in men­schen­un­wür­digen Bara­cken hältst, einem poten­tiell töd­li­chen Virus aus­setzt“

P. Nunzen

Was haben wir denn?“, fragt Nunzen seinen Caddy, der ertappt guckt, bevor er erleich­tert fest­stellt, dass es sich um eine rhe­to­ri­sche Frage han­delt, die Nunzen sogleich selbst beant­wortet. Gut, die Sta­dien gehören uns, wir können die Leute ein­fach raus­schmeißen. Und wir haben die besten Anwälte, mit denen wir diese kleinen Schmeiß­fliegen in Grund und Boden klagen. Und klar, der Draht in die DFL-Zen­trale ist dicker als meine Patek Phil­ippe Grandes Com­pli­ca­tions, hier, sehen Sie, das Arm­band ist aus Alli­ga­tor­leder. Da pochen wir dann auf Kol­lek­tiv­strafen. Und natür­lich, auch an jeder sons­tigen Ecke unseres Lebens treffen wir aus­schließ­lich auf Arschle­cker und Ja-Sager. Aber sonst? Was haben wir denn?“

Es sind Worte der Ver­zweif­lung, die man der­zeit aller­orten ver­nehmen kann, wenn man sich auf den gän­gigen Eyes-Wide-Shut-Sex­partys für Super­reiche oder in den General Avia­tion Ter­mi­nals umhört, wo sich die Mil­li­ar­däre zum tra­di­tio­nellen Pri­vatjet-Ver­gleich treffen. Eine regel­rechte Hetz­jagd habe zuletzt statt­ge­funden, so Nunzen. Mitt­ler­weile reicht es ja, wenn du erst ras­sis­tisch einen ganzen Kon­ti­nent ver­un­glimpfst und dann inmitten einer glo­balen Pan­demie deine ost­eu­ro­päi­schen Skla­ven­ar­beiter, die du sowieso schon in men­schen­un­wür­digen Bara­cken hältst, einem poten­tiell töd­li­chen Virus aus­setzt. Ich meine, wo kommen wir denn da hin, wenn Macher wie wir nicht mehr machen können, was sie wollen, und wegen derlei Lap­pa­lien ihre Posten auf­geben müssen?“

Zarte Knospen des Auf­bruchs

Eine wei­tere rhe­to­ri­sche Frage, denn wer könnte schon wollen, dass die Super­rei­chen den Fuß­ball an die Men­schen zurück­geben? Dass es im von Nunzen genannten Fall kein Ermitt­lungs­ver­fahren der Ver­bände gab, ist in dieser Hin­sicht als posi­tives Zei­chen zu werten, dass bald auch Bun­des­li­ga­mil­li­ar­däre end­lich auf eine faire Behand­lung hoffen können. Aber ein echter Wandel kann frei­lich nur pas­sieren, wenn er sich auf breiter gesell­schaft­li­cher Basis voll­zieht. Doch auch dort beob­achtet der Otto-Normal-Bun­des­li­ga­mil­li­ardär hier und da zarte Knospen des Auf­bruchs. In den Neun­zi­gern hast du oft noch Scheiß Mil­lio­näre‘ von den Rängen gehört, das war ganz normal. Das kann sich nie­mand vor­stellen, wie das schmerzt. Ich meine, eine Mil­li­arde sind ja auch nur tau­send Mil­lionen“, sagt Neten. Das hat wei­test­ge­hend auf­ge­hört, und das ist gut so“.

Auch die Medien haben langsam aber sicher den Ernst der Lage ver­standen und setzten rich­tige und wich­tige sozi­al­po­li­ti­sche Akzente. Mir gefällt der Ein­falls­reichtum, mit dem sich einige Medien neue Preise aus­denken, damit sie uns Honig um den Bart schmieren können. Dieser Wille zum Spei­chel­le­cken nötigt mir Respekt ab, der ist gar nicht hoch genug zu bewerten“, sagt Neten und seine Miene hellt sich auf. Auch dass man mitt­ler­weile Video­bot­schaften im Sport­fern­sehen als Inter­views ver­kaufen könne, um läs­tige Nach­fragen zu ver­meiden, sei hilf­reich, um der ver­folgten Min­der­heit end­lich Gehör zu ver­schaffen. End­lich mal Sicht­bar­keit für unsere Sache.“

Und den­noch, das weiß auch Mo Neten, ist noch viel zu tun. In anderen Län­dern kann man sich als Mil­li­ardär in einen Klub ein­kaufen, wie man will, und den dann vor die Wand fahren, wenn einem danach ist. Es gibt sogar schon Staats­fonds, die ihre Klubs für Stell­ver­tre­ter­kriege nutzen, das ist doch toll. Aber mal ehr­lich: Bis es bei uns in Deutsch­land eine Mil­li­ar­därs­ak­zep­tanz gibt, wie sie in Eng­land oder Russ­land bereits gang und gäbe ist, wird es noch dauern“, sagt er. Und seufzt, wäh­rend er sich von seinem Butler die Sil­ber­stutzen-Flinte zur Fasa­nen­jagd bringen lässt, ein weh­mü­tiges leider“ hin­terher.