Sein erster Job als Bundesligatrainer hat Edin Terzic bei Borussia Dortmund gleich alles abverlangt. Am Samstag sitzt er zum vorerst letzten Mal als Chef auf der Bank. Dass er es dahin geschafft hat, liegt auch an einigen ganz besonderen Freundschaften.
Terzic schaute aber nicht nur Fußball, er spielte auch selber. In der C‑Jugend trainierte er ein paar Monate probeweise bei Borussia Dortmund mit, verletzte sich dann aber schwer am Sprunggelenk, wurde operiert, verlor fast ein Jahr, und es wurde klar, dass es für den Spitzenfußball nicht reichen würde. „Irgendwann habe ich gedacht: Vielleicht wirst du nicht reich mit Fußball, aber alt im Fußball.“ Für die Sportfreunde Oestrich, Wattenscheid 09, Westfalia Herne und BV Cloppenburg spielte er in der Regional- und Oberliga, machte schon mit 22 Jahren seine erste Trainerlizenz und begann in Bochum Sport zu studieren.
In der Unimannschaft bildete er mit Hannes Wolf den Sturm, aber wichtiger war etwas anderes. „Es war eine Zeit des großen Lernens“, sagt Wolf. Die beiden stürzten sich in ihren Unistoff, der anderthalb Jahre ältere Wolf begann als Spielertrainer in der Kreisklasse und schaffte dann mit dem Bezirksligisten ASC Dortmund zwei Aufstiege, um 2009 Co-Trainer bei der zweiten Mannschaft des BVB zu werden. Als er im Jahr darauf die U17 übernahm, fiel die Wahl seines Co-Trainers auf Edin Terzic.
„Als mit 28 das Angebot kam, beim BVB einzusteigen, habe ich nicht mal gefragt, was ich verdienen würde“, erzählt Terzic. Dass daraus ein Job wurde, mit dem er seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte, verdankte er Sven Mislintat. Den damaligen Chefscout der Borussia, heute Sportdirektor beim VfB Stuttgart, hatte er zwei Jahre zuvor bei einem Trainerlehrgang kennengelernt. Als der Vater von Mislintat starb und er deshalb einige Zeit fehlte, „hat Edin mich mit allen Infos versorgt und mir den Rücken freigehalten“. Nun revanchierte Mislintat sich, indem er Terzic zur halben Stelle als Co-Trainer eine zweite halbe Stelle als Scout gab.
Es klingt viel Enthusiasmus durch, wenn die drei von dieser Zeit erzählen. Der Nachwuchs beim BVB war nicht annähernd auf dem organisatorischen Niveau von heute. Wolf und Terzic erledigten alles, vom Athletiktrainer bis zum Pädagogen. „Und wir hatten das Glück, dass wir auch was falsch machen konnten“, sagt Wolf. Im Scouting war die Atmosphäre ähnlich vibrierend. „Wir hatten eine super Gruppe“, sagt Mislintat. Terzic entpuppte sich darin bald als einer seiner wichtigsten Mitarbeiter, weil er die besonderen Stärken und die Entwicklungsmöglichkeiten von Spielern gut erkannte. Und über allen schwebte Jürgen Klopp, der den ganzen Klub in Aufbruchstimmung versetzte.
„Ich war total überrascht, als ich ihn das erste Mal sah, denn ich hatte eher einen Nerd erwartet“
„Damals schien die Sonne über dem BVB, und jeder wollte wissen, was da passierte“, erzählt Terzic, der in seinem schwarz-gelben Wunderland gelandet war. Er arbeitete mit Michael Zorc zusammen, dem er als Kind zugejubelt hatte, und mit Lars Ricken, dem Helden von Borussia Dortmund beim Gewinn der Champions League 1997.
Auf einer seiner Reisen als Scout eröffnete sich für Terzic eine weitere Tür, denn er lernte den Bruder von Slaven Bilic kennen. Letzterer trainierte damals die kroatische Nationalmannschaft und nachdem er bei der Europameisterschaft einen Scoutingbericht über die italienische Mannschaft von Terzic gelesen hatte, war er interessiert. „Der Bericht war wirklich gut“, sagt Bilic, die beiden telefonierten nun regelmäßig miteinander. Als er ein Jahr später das Angebot bekam, Trainer bei Besiktas Istanbul zu werden, lud er Terzic zu sich nach Split ein. „Ich war total überrascht, als ich ihn das erste Mal sah, denn ich hatte eher einen Nerd erwartet. Vor mir stand dann aber dieser unglaublich jung wirkende, lebensfrohe Typ.“ Die beiden verstanden sich sofort, und Bilic bot ihm an, nach Istanbul mitzukommen. Terzic, der eigentlich gerade die U16 des BVB übernommen hatte, bat um Freistellung und stürzte sich ins Abenteuer.
Bilic erzählt, dass er Terzic zunächst eher als Spielanalytiker eingeplant hatte. „Aber nach ein paar Tagen fühlte es sich so an, als ob er schon immer zu unserem Trainerteam gehört hätte.“ Wenn man ihn fragt, was Terzic besonders charakterisiert, erzählt Bilic die Geschichte mit den Einwürfen. Ein Trainer berichtete ihnen bei einem Besuch, dass der SSC Neapel unter Maurizio Sarri 40 Varianten für Einwürfe habe. „Wir staunten, aber nachdem ich mittags nach Hause gegangen war, hatte ich das im Grunde auch fast schon wieder vergessen.“ Nicht so Terzic, der sich spätabends bei Bilic meldete: Die Geschichte von den Einwürfen sei eine Mär. Er hatte sich nämlich alle Einwürfe des SSC Neapel angeschaut. „Ich finde das großartig, denn es zeigt, wie sehr er Fußball liebt“, sagt Bilic.
Aber besteht da nicht auch die Gefahr einer ungesunden Besessenheit? „So was lässt mir keine Ruhe, aber ich würde in dem Zusammenhang eher von ‚großem Interesse‘ sprechen“, sagt Terzic grinsend. Doch Wolf, Mislintat und all die anderen, die keine große Vita als Spieler vorzuweisen haben, müssen eben immer noch mehr lernen und mehr wissen, um sich im Profifußball durchsetzen zu können. Insofern war es ein besonderes Geschenk, als Terzic nach zwei Jahren in Istanbul mit Bilic zu West Ham United in die Premier League wechselte. „Es heißt ja immer, dass die Trainer in England nach dem Spiel zusammen ein Glas Wein trinken, aber das ist eher ein Abendessen, an dem auch die Assistenten teilnehmen. Und diese Treffen habe ich genutzt, mir ganz viele Notizen zu machen.“ Er notierte in sein Handy, was Granden wie José Mourinho, Arsène Wenger oder Pep Guardiola zu irgendeinem Thema sagten. Über Disziplin, erzählte etwa Jürgen Klopp bei einer dieser Gelegenheiten, habe er seinen Spielern mal gesagt: „Ich habe nur eine Chance, um konsequent zu sein, und dann werde ich es sein. Ihr entscheidet, wann das der Fall ist.“ Und Mauricio Pochettino sagte zum gleichen Thema: „Spieler hassen Regeln, sie hassen nur eins mehr: keine Regeln.“