Hanne Sobek führte Hertha zu zwei Meisterschaften und gilt als erster spielender Popstar des Landes – unumstritten war er trotzdem nicht. Heute wäre der beste Berliner Fußballer aller Zeiten 120 Jahre alt geworden.
Es ist nicht so, dass es Berlin je an talentierten Fußballern gemangelt hätte. Pierre Littbarski und Thomas Häßler wurden 1990 immerhin Weltmeister, Jerome Boateng ein paar Jahre später auch. Niemand zweifelt daran, dass dies seinem Halbbruder Kevin-Prince nicht ebenfalls hätte gelingen können – wäre der sich nicht in den entscheidenden Momenten seiner Karriere selbst in die Quere gekommen.
Aus Berlin kommen aktuelle Nationalspieler wie Antonio Rüdiger oder Nico Schulz, ehemalige wie Paule Beinlich oder Malik Fathi (Ja, Malik Fathi hat ein Länderspiel gemacht) und zukünftige wie Jordan Torunarigha. Außerdem einige legendäre Karstens, zum Beispiel Bäron oder Heine oder Ramelow (wobei der streng genommen zur Gruppe „Karsten mit C“ gehört), dazu ins Exil Gegangene wie Hakan Balta und Kanten wie Robert Huth. Die Stadt brachte schnelle Männer hervor wie Marko Rehmer und etwas langsamere wie Kevin Pannewitz.
Es gibt Berliner, die auch richtig nach Berlin aussehen (Benny Köhler, Marvin Knoll), Berliner, die den FC Bayern trainierten (Niko Kovac) und welche, die immerhin mal Co-Trainer beim FC Bayern waren (Robert Kovac). Es gib die, die immer hier geblieben sind und gerade deshalb geliebt werden, Karim Benyamina etwa oder Michael Fuß. Und es gibt die, die sich zwar auf die Reise gemacht, aber irgendwann verirrt haben. Oder ist es noch gar nicht zu spät für Änis Ben-Hatira und Ashkan Dejagah und Zafer Yelen, um doch noch anzukommen? Es gibt Zecke Neuendorf und Nico Patschinski, über die man nicht viel sagen muss außer vielleicht Prost. Es gibt Golz und Pickenhagen, Schlünz und Nöldner. Es gibt und gab, es dürfte deutlich geworden sein, extrem viele talentierte Fußballer in dieser Stadt. Und doch gibt es den einen, der sie alle in die Tasche gesteckt hätte: Hanne Sobek.
„Die weiten Passbälle, der Rieseneifer, die Pferdelunge!“
Der kommt am 18.03.1900 zur Welt, heute vor 120 Jahren. Allerdings gar nicht in Berlin, sondern im mecklenburgischen Mirow, und auch nicht als Hanne Sobek, sondern als Paul Friedrich Max Johannes Wiechmann. Zunächst lebt er – reich an Vornamen, arm an allem anderen – bei seinem Großvater, dann zieht er als Neunjähriger zusammen mit seiner Mutter nach Berlin. Die heiratet ein zweites Mal, aus Johannes Wiechmann wird Hanne Sobek. Kein waschechter Berliner, aber immerhin einer, dem diese Stadt bald zu Füßen liegen wird.
1925 wechselt Sobek von Alemannia 90 zur Hertha, aus Reinickendorf in den Wedding. Und macht aus einer guten eine sehr gute Mannschaft. Schon sein erster Einsatz für die in der Saison zuvor im Meisterschafts-Halbfinale gescheiterte Elf gerät zu einem legendären. Weil er unbedingt schon im ersten Freundschaftsspiel der Saison dabei sein will, aufgrund seines Vereinswechsels aber eigentlich noch gar nicht darf, läuft er in Eberswalde unter falschem Namen auf: Erich Poppe. Klingt zwar gut, überzeugt aber nicht alle. Die Sache fliegt auf. Und Hertha muss die Kohle, die der Klub für den Kick in Eberswalde verdient, direkt an den Brandenburgischen Fußballverband abdrücken.
Danach geht die Post ab für Sobek und Hertha. Gleich sechsmal in Folge führt er die Mannschaft als Kapitän ins Finale um die Deutsche Meisterschaft. Sobek, meist als hängende Spitze im Einsatz, ist ein begnadeter Techniker, dazu torgefährlich und uneigennützig. Der spätere FIFA-Präsident Stanley Rous zählt folgende Stärken auf: „Die Übersicht, die sich auf das gesamte Geschehen auswirkende Technik, die kalt berechnende, kluge Taktik, die weiten Passbälle, der Kampfeinsatz, der Rieseneifer, die Pferdelunge – und, nicht zu vergessen, seine stets faire Haltung und seine geradezu beruhigende Ausstrahlung auf die Mitspieler.“ Helmut Schön sagt: „Ein großer Fußballer, ein Gentleman, den alle respektierten. Ich bin stolz darauf, ihn zu kennen.“ Sepp Herberger sagt: „Der größte Fußballer, den Berlin je besessen hat.“ Wir sagen: Uff!
Das Problem von Sobek ist nur: Er zieht mit seiner goldenen Hertha-Truppe zwar dauernd ins Finale ein, nur gewinnen tut er es nie. 1926, 1927, 1928 und 1929: Gleich viermal in Folge stehen er und seine Mitstreiter – Hanne Ruch, Tute Lehmann, Karl Tewes, Paul Gehlhaar, Emil Domscheidt – am Ende mit leeren Händen da. 1930 geht der ganze Mist dann schon wieder von vorne los. Zum fünften Mal im fünften Finale gerät Hertha in Rückstand, dieses Mal, im Spiel gegen Holstein Kiel, steht es nach acht Minuten sogar schon 0:2. Dann platzt Sobek der Kragen.
Wie wild geworden galoppiert er übers Feld, schießt zwei wunderschöne Tore, bereitet ein weiteres vor und führt die Mannschaft schließlich zu einem 5:4‑Sieg. Hertha ist zum ersten Mal Deutscher Meister. „Insbesondere Sobek riss das Spiel durch zwei Prachttore aus dem Feuer“, schreibt die Berliner Fußball-Woche unter der Überschrift „Hertha BSC ist Meister! Hurra!“ am Tag danach. „Bei allem, was ich in meiner langen fußballerischen Laufbahn erreichte“, erzählt Sobek später, „zählt dieser letzte Junisonntag 1930 zu meinen schönsten Erinnerungen. Wir waren damals eine verschworene Truppe, trotz aller vorausgegangener Enttäuschungen buchstäblich durch nichts zu erschüttern.“