Heute wird Arsène Wenger 70 Jahre alt. Sein Lebenswerk, so viel steht längst fest, ist der FC Arsenal. Bei dem er mehr als nur Titel und Rekorde holte. Ein Loblied auf den vielleicht größten Visionär des modernen Fußballs.
Das Wunder ist vor allem akribische Arbeit, moderne Fußballtaktik, aber auch Ausnutzung günstiger Umstände. Im Dezember 1995 öffnet das Bosman-Urteil die Grenzen des europäischen Spielermarktes. Englische Vereine verfügen über wachsende Fernsehgelder, wissen damit aber nicht viel anzufangen oder zweifeln, dass Ausländer in der rauen englischen Liga bestehen können.
Wenger und seine Scouts kennen sich dagegen hervorragend aus. Einige der besten jungen, technisch hochbegabten Talente aus ganz Europa kommen nach Highbury und werden dort zu großen Stars. Bessere Spieler für weniger Geld aus dem Ausland, passstarke Techniker statt Athleten – so lautet die Formel mit der Arsenal es schafft, sportlich aufzusteigen.
Wenger wird auch zum Chefarchitekt
Wenger weiß bei Amtsantritt, dass er auch für den Strukturwandel verantwortlich ist. Wie brenzlig die Lage ist, zeigt sich nach wenigen Wochen. Ein Teil der hölzernen Trainingsanlage der Londoner Universität brennt nieder. Die Mannschaft muss wochenlang in das Sopwell Hotel ausweichen, sich dort umziehen, duschen, massieren und behandeln lassen.
Der Franzose wird somit auch Chefarchitekt von Arsenals neuer, endlich eigener Trainingsanlage in Colney — bezahlt vom Transfer Nicholas Anelkas zu Real Madrid im Sommer 1999. Die Eigenschaften des Rasens, die Hygiene der Umkleide (eine spezielle Pufferzone zwischen Straßen- und Fußballschuhen!), Unterwasserkameras im Physio-Bad, japanische Elemente in der Inneneinrichtung: Wenger nimmt Einfluss selbst auf Details.
Die Bausparte ist größer als die Fußballabteilung
Das neue Trainingszentrum ist wie ein Testlauf für den großen Stadionumzug. Für den sehr, sehr großen Stadionumzug. Das Gesamtpaket „Emirates“ kostet 420 Millionen Pfund. Als Arsenal 1999 mit der Planung beginnt, hat der Verein einen Jahresumsatz von 40 Millionen Pfund. Das Ganze ist eigentlich eine Nummer zu groß.
Normalerweise wird eine solche Aufgabe an Bauunternehmer weitergegeben. Aber keiner möchte das Risiko eingehen. Also wird der Klub selbst zum Baumeister. In den Spitzenjahren ist die Bau- und Immobiliensparte der Arsenal-Gruppe größer als die Fußballabteilung.
Kurz vor der Pleite
Der Verein kratzt alles verfügbare Geld zusammen und verschuldet sich über normale Grenzen. Nur wenige Banken sind überhaupt bereit, mit den Gunners zu sprechen. Um die hohen jährlichen Zinsen zu zahlen, muss Arsenal Transfergewinne erzielen und sich regelmäßig für den Geldpott Champions League qualifizieren. Als sich endlich ein Kreditgeber findet, verlangt die Bank als Garantie, dass Arsène Wenger einen neuen Fünfjahresvertrag unterschreibt.
Ab 2006 gilt eine klare Strategie: Teure Transfers sind tabu und sollen durch junge oder unbekannte Spieler ersetzt werden. Wenn ein lukratives Angebot kommt, werden die besten Spieler verkauft. Öffentlich wird Arsenals Finanzlage stets schön geredet. Erst Jahre später enthüllen Journalisten, dass der Verein in einigen Sommern kurz davor stand, seine Spielergehälter nicht zahlen zu können.