Martin Pucher brachte den kleinen SV Mattersburg in Österreichs 1. Liga, mit Geduld, Geld und guten Konzepten. Nun steht der einstige Klubchef unter Polizeischutz und mit einem Bein im Knast.
Sein Stammplatz war eine kleine geflieste Anhöhe im Eck zwischen der Gegengeraden und einem kleinen Grashügel, der als Hintertor-Tribüne diente. Dort oben hatte Martin Pucher (64) stets den Überblick – über das Geschehen auf dem Rasen, auf den umliegenden Rängen und im angrenzenden Klubheim, wo es für Medienvertreter in der Halbzeitpause schmackhafte Schnitzelbrötchen gab, während die Mattersburger Prominenz im nahen VIP-Zelt auch mal Trüffel-Tagliatelle oder Shrimps genoss.
Ohne Martin Pucher, da waren sich Presse und Prominenz einig, wäre all das nie möglich gewesen. Der „Herr Obmann“, wie ältere Mattersburger zu sagen pflegen, war vieles beim SVM, manche sagen: alles. Präsident und Geschäftsführer in Personalunion. Geldgeber, Geldbeschaffer, Geldverwalter und wohl auch oberster Finanzaufseher. Nur so konnte der untersetzte Mann, der einst als kleiner Bankangestellter begonnen hatte, sein System über Jahre aufrecht erhalten. Pucher, das zeigen die laufenden Ermittlungen, konnte nämlich zaubern: Er stopfte Löcher mit Löchern – und das so geschickt, dass von außen betrachtet keine Löcher erkennbar waren. Irgendwann verlor Pucher zwangsläufig den Überblick, über das Bankhaus und den Verein.
Am heutigen Freitag muss der SV Mattersburg der österreichischen Bundesliga seine finanzielle Situation darlegen. Welche Situation?, fragen Zyniker. Es ist ein Desaster. Knapp einen Monat, nachdem der Klub aus dem Burgenland mit einem klaren 4:1 über die WSG Tirol den Klassenerhalt geschafft hat, liegt er in Trümmern. Ohne Vorstand (der mehr oder weniger geschlossen zurücktrat), ohne Geld (weil auch die Sponsoren sich in Scharen abwenden), ohne echte Perspektive (weil ein Klub ohne Vorstand und Sponsoren nicht existieren kann).
Begonnen hatte alles mit einem Bankenskandal: Am Dienstag vergangener Woche gab die österreichische Finanzaufsichts-Behörde das vorübergehende Aus für die „Commerzialbank Mattersburg AG“ bekannt. Das kleine Geldhaus mit seinen insgesamt neun Filialen ist nicht systemrelevant, und doch zählt es aktuell zu den bekanntesten Banken Österreichs: Gründer und Vorstandsdirektor Martin Pucher hatte offenbar jahrelang die Bücher frisiert, um die marode Finanzsituation des Instituts zu verheimlichen.
Wie ein Dorfkaiser hatte Pucher geherrscht – über seinen SV Mattersburg und über die Bank, der die Menschen aus der Umgebung bereitwillig ihre Ersparnisse anvertrauten. Schließlich war der Herr Pucher doch das vertraute Gesicht aus dem Fernsehen, das immer etwas ernst, aber stets gefasst dreinblickte, wenn der SVM in der österreichischen Bundesliga auftrat: Pucher trug einen konservativen Kurzhaarschnitt, einen kleinen Schnauzbart, ein Kassengestell als Brille, karierte Kurzarmhemden und braune Wildleder-Halbschuhe. So einer ist kein Hasardeur oder gar Betrüger. Doch nicht der Herr Pucher. Dachte man.
Nun befindet sich der Herr Pucher einerseits unter Polizeischutz, weil Tausende Sparer, darunter viele SVM-Fans, um ihr Geld bangen und stinksauer sind. Andererseits steht der langjährige Fußballfunktionär, der von 2005 bis 2009 sogar Präsident der österreichischen Bundesliga war, mit eineinhalb Beinen im Knast. Weil Bilanzfälschung und Betrug eben keine Kavaliersdelikte sind. Seinen Anwalt ließ Pucher folgende öffentliche Erklärung abgeben: „Herrn Martin Pucher fällt es schwer bzw. ist es ihm unmöglich, in Worte zu fassen, wie sehr er die Vorkommnisse bedauert. Die Enttäuschung und Fassungslosigkeit über ihn selbst ist es, die es ihm unmöglich macht, dafür eine Erklärung zu finden. Jedes Wort der Entschuldigung oder des Ausdruckes des tiefen Bedauerns muss den Betroffenen – aus verständlichen Gründen – wie ein blanker Hohn vorkommen.“
Aus deutscher Perspektive gleicht der Fall jenem des Erhard Goldbach: Der selbst ernannte „Ölkönig“ stand in den 1970er-Jahren einer Tankstellenkette namens „Goldin“ vor und pumpte einen Teil seines Vermögens in den damaligen Zweitligisten Westfalia Herne. Leider hatte Goldbach „vergessen“, seine Gewinne zu versteuern. Irgendwann hatte er rund 60 Millionen Mark Schulden beim Finanzamt angehäuft. 1980 landete Goldbach schließlich im Knast, die Westfalia musste in die Oberliga. Manchen mag Martin Pucher auch an Jean Löring erinnern, den langjährigen Präses und Mäzen von Fortuna Köln. Auch der „Schäng“ wollte nicht wahrhaben, dass es finanziell irgendwann nicht mehr weiterging – dazu hatte er seine Rolle als Volkstribun viel zu sehr verinnerlicht.
„Möglicherweise ist er ausgenutzt worden“
Pucher hingegen galt als kalkulierender Geschäftsmann, nicht als Zampano. Einer mit Weitsicht, wenn auch etwas stur: Von 2004 bis 2013 vertraute der Mattersburg-Präsident das Traineramt einem ehemaligen Briefträger namens Franz Lederer an. Bewundernswerte Kontinuität, lobten die einen. Purer Eigennutz Puchers, argwöhnten die anderen, die in Lederer nur den Zusteller präsidialer Entscheidungen sahen. Pucher redete gern mit, in allen Fragen rund um den SVM. Seine Tochter Ines kümmerte sich als Pressesprecherin um das mediale Erscheinungsbild des „sympathischen Dorfklubs“, der im ersten Jahr seiner Erstklassigkeit (2003÷04) mitunter vierstellige Auswärtsfahrerzahlen vorweisen konnte.
Es lief beim Familienbetrieb. Der SV Mattersburg entwickelte sich zu einer Art Dauergast in der höchsten Spielklasse des österreichischen Fußballs: Nur einmal, von 2013 bis 2015, musste man ein Intermezzo in der 2. Liga einlegen. Im Pappelstadion, das seinen Namen den schlanken Baumriesen hinter der Haupttribüne verdankt, spielten über die Jahre viele prominente Namen: Ex-Bayern-Star Carsten Jancker, der noch immer in der Gegend wohnt. Der frühere Wolfsburger Didi Kühbauer (aktuell Chefcoach von Rapid Wien), der in Österreich absoluten Legendenstatus genießt. Oder der spätere Schalke- und Leicester-City-Legionär Christian Fuchs.
Es schien, als würde alles immer so weitergehen beim SVM, dessen Jahres-Etat zuletzt rund 6,5 Millionen Euro betrug. Der Präsident hatte die Konzepte und die Beziehungen. Er hatte das Geld und die Kontrolle. Dachten alle. Und Pucher hatte offenbar nicht die Absicht, die Wahrheit zu erzählen. Bis zur vergangenen Woche, als ihm ein Wirtschaftsprüfer auf die Schliche kam. Der langjährige Mattersburger Kapitän Nedeljko Malic, der im Sommer nach 15 Jahren beim SVM zurücktrat, zeigte sich geschockt: So etwas hätte er seinem Präsidenten niemals zugetraut, sagte Malic der „Kleinen Zeitung“: „Möglicherweise ist er ausgenutzt worden“, mutmaßte der Ex-Profi und kündigte an, Kontakt mit Pucher aufzunehmen: „Ich will wissen, wie es ihm geht.“
Vermutlich nicht allzu gut. Martin Pucher war der vielleicht letzte Dorfkaiser, der im österreichischen Profi-Fußball regierte. Jetzt musste er abdanken – und das Volk will ihn nur noch hinter Gittern sehen.