In einer über weite Strecken kopflos agierenden deutschen Elf sorgte Keeper Manuel Neuer gegen Algerien für Struktur und Sicherheit und rettete so den Einzug ins Viertelfinale.
Irgendeiner musste es schließlich tun. Sonst wäre das am Ende schief gegangen. Als das Spiel Mitte der zweiten Hälfte auf der Kippe stand, nahm Manuel Neuer an der Grenze seines Strafraums kurz mal das Tempo heraus. Vor ihm stand Islam Slimani, der ambitionierte Torjäger der Algerier, und scharrte mit der Hufe. Anstatt nun den Ball flink aus der Gefahrenzone zu befördern, ließ sich die deutsche Nummer Eins auf das Geplänkel mit dem Goalgetter ein.
Neuer täuschte rechts an, und zog dann links mit der Kugel von dannen. Jubel brandete im verunsicherten deutschen Publikum auf. Sicher keine Sternstunde im Leben eines Nationalspielers, dennoch eine Unverfrorenheit, die in dieser Coolness seinen Verteidigern gegen die wackeren Algerier an diesem Tag nicht ansatzweise gelungen war.
Es war bezeichnend für das über weite Strecke zerfahrene Spiel der DFB-Equipe, dass ausgerechnet der Keeper dem Gegner mit Chuzpe und Entschlossenheit entgegentrat. Fast schien es, als wollte Neuer seinen Vorderleuten signalisieren: „Kollegen, wenn ich den besten Mann der Algerier vorm eigenen Tor austanze, solltet Ihr es doch auf dem Bierdeckel schaffen.“
Doch aus irgendwelchen Gründen gelang es den Löw-Eleven nicht, den Ball reibungslos durch die Reihen laufen zu lassen. Bastian Schweinsteiger holte sich schon vor der Pause die Krone des Fehlpasskönigs ab, Mesut Özil schien die ganze Zeit darüber zu grübeln, wann genau er eigentlich in diesen großen Haufen Scheiße getreten war, der seit Beginn der WM an seinen Schuhen zu kleben scheint.
Also musste Jung-Siegfried Manu ran, der auf den Ball trat, stolz nach links und rechts schaute, um dann kurz mal die Sturmspitze des Gegners wie einen angeschickerten Kneipenkicker aussehen zu lassen. Es war wie ein Beweis für das Selbstbewusstsein, das der Welttorhüter seit seinem Wechsel zum FC Bayern ausgebildet hat.
Manuel Neuer hat viel einstecken müssen. In München gibt es tatsächlich noch Versprengte, die ihn für einen Verräter halten, weil er als ehemaliger Schalke-Ultra und grandioser Oli-Kahn-Parodist an der Eckfahne dem Ruf des Rekordmeisters und dessen Lohnversprechungen folgte. Verblendete Kritiker spötteln gar, beim FC Bayern hätte sich in den vergangenen Jahre auch Hermann Gerland mit einem Whiskey-Cola zwischen die Pfosten stellen können, die Titelausbeute wäre dieselbe gewesen.
Dass ein Keeper, der über das spielerische Repertoire von Manuel Neuer verfügt, jeder Elf auf dem Planeten selbst im Stand-By-Modus ohne spektakuläre Paraden und waghalsige Rettungsmanöver noch Struktur und Sicherheit verleiht, scheint den Horizont mancher Verächter zu überschreiten. Zugegeben, es unterlaufen ihm auch mitunter seltene Patzer, die sich in der Art des Zustandekommens prima eignen, um Neuer als Fliegenfänger zu geißeln.
Wie töricht diese Denkansätze sind, bewies Deutschlands letzter Mann nun einmal mehr gegen Algerien. Seine Präsenz in der Nationalelf ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Mit seinem Babyface wirkt der Pott-Junge zwar, als ginge ihn das Treiben auf dem Rasen nur peripher etwas an. So wenig Emotionen strahlt er aus, egal, ob ihm ein Jahrhundert-Reflex gelingt oder er in einer Übersprunghandlung dem gegnerischen Mittelstürmer den Ball in die Füße spielt.
Doch mit einfachen, aber sehr einprägsamen Mitteln zeigt er auch klare Kante. Er lässt sich von leichten Unebenheiten in seinem Spiel nie aus der Fassung bringen. In der ersten Hälfte stürmte er, nachdem er sah, dass Per Mertesacker beim Laufduell wie gewohnt den Kürzeren zieht, im Stile von Petar Radenkovic aus seinem Kasten, unterlief den Ball und sorgte für eine kurze Schockscharre beim Betrachter. Kurz darauf ballerte er das Spielgerät senkrecht am eigenen Strafraum in die Luft. Aber als das Leder wieder aufprallte, hatte Neuer sich offenbar überlegt, nicht als Buhmann dieses WM-Achtelfinale auf dem Gewissen haben zu wollen.
Fortan hielt er, wie man es von ihm kennt. Ohne großes Gewese machte er seinen Job. Wenn die Vorderleute wieder zu weit aufgerückt oder mit ihrer latenten Lethargie beschäftigt waren, klärte er in Personalunion als dritter Innenverteidiger, Ausputzer und Libero zumeist schon vor der Strafraumgrenze. Und mit jeder weiteren Rettungsaktion legte sich die Selbstsicherheit wie ein warmer Mantel wieder um das deutsche Spiel.
Am Ende musste er doch hinter sich greifen. Kurz flammte die Unbeherrschtheit des Gelsenkirchener Straßenfußballers auf, der seinen Mitspielern ordentlich die Meinung geigt. Dann aber war er in Gedanken wieder bei den schönen Dingen des Lebens. Vielleicht dachte Manuel Neuer daran, dass mit dem Erreichen des Viertelfinals seine Kritiker eigentlich verstummen müssten. Schlicht und einfach, weil nach dem Match niemand behaupten wird, dass hinter dieser deutschen Abwehr selbst „Tiger“ Gerland mit dem Whiskey-Cola-Schwenker in de Hand den Kasten sauber gehalten hätte.