27 Jahre rangen die Hinterbliebenen der 96 Opfer von Hillsborough um Gerechtigkeit – nun endlich ist sie ihnen widerfahren. Es ist ein Sieg der Menschen über den Apparat.
Die Kommission erklärte, dass sie nun Verfahren gegen die Polizei von South Yorkshire vorbereite. Der damalige Einsatzleiter David Duckenfield, gegen den Anklage wegen Totschlags erhoben werden könnte, verhinderte an jenem verhängnisvollen Samstag zunächst sogar, dass Sanitäter ins Stadion gelangen konnten. Während draußen die Krankenwagen vor einer Absperrung im Stau standen, rissen drinnen Fans Werbebanden aus der Verankerung, um sie als Trage zu benutzen. Oder, wenn es zu spät war, als Bahre.
„Mein Bruder Michael ist in Hillsborough geblieben“
Auf einer lag Michael Kelly. Das Bild, das sein Bruder Steve seit nunmehr 27 Jahren immer bei sich trägt, zeigt ihn im Reds-Trikot, lebensfroh und kraftstrotzend, einen Mann von Mitte 30. Es entstand drei Wochen vor seinem Tod.
„Mein Bruder Michael ist in Hillsborough geblieben“, sagt Steve Kelly, als wäre dieses Stadion ein Schlachtfeld und alles, was sich dort ereignet hat und danach kam, ein Krieg. Und das war es wohl auch. Eines Tages tauchten Ermittler bei ihm auf: Er müsse sich ein Überwachungsvideo von der Leppings Lane ansehen und darauf seinen Bruder identifizieren, das diene der Aufklärung. Das verkrafte er nicht, entgegnete Steve. Dann werde man ihn zwingen, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. So sah er seinen Bruder ein zweites Mal sterben. In Schwarzweiß.
„Es geht nicht um Rache“, sagte Steve Kelly vor rund vier Jahren in einem Interview mit 11FREUNDE. „Es geht um die Wahrheit. Michael war kein Hooligan, er trank nie Alkohol, er hätte auch keine Polizisten verprügelt oder die Toten ausgeraubt. Er war nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Ich will eines Tages an sein Grab treten und sagen: ›Die Wahrheit hat gesiegt.‹“
Steve Kelly selbst ist Fan des FC Everton. „Das war der einzige Unterschied zwischen uns. Michael war ein Roter und ich ein Blauer.“ Auf den Bildern der Angehörigen, die nach der Bekanntgabe der Untersuchungsergebnisse am Dienstag vor dem Gerichtsgebäude „You’ll never walk alone“ sangen, sieht man ihn im Trikot der Toffees. Neben ihm steht Barry Devonside, der an jenem sonnigen Samstag mit seinem Sohn Christopher nach Sheffield fuhr. Christophers Lachen, als er ihm erlaubte, in die Leppings Lane zu gehen! Da sah Barry Devonside seinen Sohn zum letzten Mal lebend.
Barry und Steve sehen müde aus, aber glücklich, wenn man das so sagen darf: glücklich im Unglück. So glücklich wie Männer, die sich das, was ihnen blieb nach dem größten Verlust, nicht auch noch haben nehmen lassen: die Gerechtigkeit.