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Wie soll man das nennen, was sich am Dienstag in einem Gerichts­ge­bäude im eng­li­schen War­rington ereig­nete: Glück im Unglück? Ein allzu banaler Aus­druck womög­lich, und doch traf hier etwas auf­ein­ander, was gegen­sätz­li­cher kaum sein könnte: Ver­lust und Sieg, Trauer und Freude, Untröst­lich­keit und Genug­tuung – Unglück und Glück.

Als Unglückstag muss jener 15. April 1989 zwei­fellos bezeichnet werden, wenn auch als ein für Unbe­tei­ligte unvor­stell­barer: Beim FA-Cup-Halb­fi­nal­spiel zwi­schen Liver­pool und Not­tingham im Shef­fielder Hills­bo­rough Sta­dium wurden 96 Men­schen getötet, sie alle waren LFC-Anhänger. Zer­quetscht, erstickt, zer­tram­pelt in der heillos über­füllten Steh­tri­büne an der Lep­pings Lane. Väter hielten ihre Kinder empor, um ihnen das Atmen zu ermög­li­chen, bis sie selbst zusam­men­bra­chen, oder sie ver­suchten, sie über den meter­hohen Zaun zu werfen. Wer über­lebte, trug Biss­wunden an den Beinen davon. Die Nie­der­ge­tram­pelten hatten in ihrer Ver­zweif­lung um sich geschnappt.

Jon-Paul Gil­hooley war das jüngste Opfer, er war eigent­lich schon auf dem Weg ins Schwimmbad gewesen, als ein Ver­wandter ihn doch noch mit einer unver­hofften Ein­tritts­karte über­raschte. Jon-Paul wurde acht Jahre alt, sein Traum war es gewesen, einmal für die Reds auf­zu­laufen. Sein Cousin lebte diesen Traum, der über­schattet war vom Tod des einen, vom Tod der 96: Steven Ger­rard, the grea­test of all cap­tains, hielt jeden Tag auf dem Weg zum Trai­ning am Hills­bo­rough-Mahnmal an und hielt stille Andacht.

Die Wahr­heit war das 97. Opfer

27 Jahre lang haben die Hin­ter­blie­benen der 96 Todes­opfer von Hills­bo­rough gekämpft, gegen die Dif­fa­mie­rung durch die That­cher-Admi­nis­tra­tion und die Sun“. Vier Tage nach der Kata­strophe erschien das Revol­ver­blatt mit dem Auf­ma­cher Die Wahr­heit“, Chef­re­dak­teur Kelvin McKenzie behaup­tete in Beru­fung auf die Polizei von South York­shire: Einige Fans haben die Opfer aus­ge­raubt“, Einige Fans uri­nierten auf die tap­feren Poli­zisten“ und Einige Fans ver­prü­gelten Poli­zisten bei Wie­der­be­le­bungs­ver­su­chen“. Mar­garet That­chers Pres­se­spre­cher Ber­nard Ingham erklärte indes: Dieser Unfall wäre nicht pas­siert, wenn ein offenbar betrun­kener Mob sich nicht gewaltsam Zutritt ver­schafft hätte.“ Der sinistre Ver­such, von der eigenen Ver­ant­wor­tung abzu­lenken, hatte Erfolg: Bis heute werden in vielen Sta­dien Schmäh­ge­sänge ange­stimmt, die sug­ge­rieren, die 96 hätten sich selbst tot­ge­tram­pelt. Im Krieg, so heißt es, stirbt die Wahr­heit zuerst. In Hills­bo­rough war sie das 97. Opfer. 

27 Jahre lang kämpften die Hin­ter­blie­benen gegen diese infamen Lügen und für Gerech­tig­keit – jus­tice for the 96. Nun end­lich haben sie Recht bekommen.

Die Unter­su­chungs­kom­mis­sion unter dem Vor­sitz des Rich­ters John Gold­ring hat am Dienstag unmiss­ver­ständ­lich klar gemacht, dass die Katat­s­trophe kein Unfall war, schon gar kein selbst­ver­schul­deter, wie in den Jahren danach immer wieder lan­ciert wurde, son­dern auf die krasse Miss­ach­tung von Vor­schriften zurück­zu­führen ist. Die Polizei, so Richter Gold­ring, habe sich kata­stro­phal falsch ver­halten“. Dies habe zur Über­fül­lung der Tri­büne geführt wie auch zur äußerst phleg­ma­ti­schen Reak­tion darauf: Vor den Zäunen der Lep­pings Lane, an denen Men­schen zer­malmt wurden, standen die Poli­zisten wie vor einer Herde Vieh. Und als es schon Tote gab, wurde das Spiel ange­pfiffen. Liver­pools Keeper Bruce Grob­belaar, der Schreie ver­nommen hatte, rannte sofort aus seinem Tor und brüllte die Poli­zisten an, sie sollten ver­dammt noch mal helfen. Aber sie halfen nicht. Sie hatten nicht den Befehl zu helfen.