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Ich habe eigent­lich keine großen Geheim­nisse. Meine Kol­legen und Freunde wissen, dass ich beim Fuß­ball nicht son­der­lich gerne laufe, mal eine Musik­kas­sette von den New Kids on the block“ besaß und in einem Wan­der­ur­laub mal von Bus­sarden ange­griffen wurde. So weit, so lang­weilig.
 
Eine Geschichte kennen aber nur die wenigsten. Viel­leicht erzähle ich sie nicht gerne, weil sie ein biss­chen ange­be­risch klingt, viel­leicht kann ich sie aber auch selbst nicht ganz glauben. Aber es ist nun mal, wie es ist: Seit 2014 bin ich der König von Koh Chang.
 
Koh Chang ist eine Insel im thai­län­di­schen Golf, kurz vor der Grenze zu Kam­bo­dscha. Über­setzt heißt Koh Chang auf­grund seiner natür­li­chen Form Ele­fan­ten­insel“. Ende 2014 war ich für einige Tage dort. Rum­hängen, baden, rum­hängen – und dann weiter nach Kam­bo­dscha oder Vietnam. Das war der Plan. Am Ende blieb ich drei­ein­halb Wochen. Als König lebt es sich dort ziem­lich gut.
 
Es begann alles mit einer kleinen Natur­ka­ta­strophe. So fühlte es sich jeden­falls an, als sich eines Abends der Himmel öff­nete und für drei oder vier Stunden ein orkan­ar­tiger Regen auf die Insel nie­der­pras­selte. Men­schen klebten in Haus­ein­gängen, hingen an Palmen, pad­delten auf kleinen Flößen die Straßen ent­lang. Land unter.
 
Wir hatten das Glück, dass wir direkt neben einer Bar standen, als das Unwetter los­ging. Wir bestellten eine Cola und war­teten.

Meine Lieb­lings­rand­sportart (1): Ame­rican Foot­ball »
 
Eine Bar­frau namens Candy schlug vor, dass wir ein paar Par­tien Bil­lard spielen sollten. Also gut, dachte ich, Bil­lard, das kannte ich aus Euro­s­port“. Tschüss und bye, bye, Ihr Wolf­gang Ley. Es war nicht so unter­haltsam wie Takeshi’s Castle“, aber immerhin besser als Regen.
 
Candy spielte mit­tel­mäßig, was mir zupass kam, denn auch ich stieß den Queue so gefühl­voll wie einen Press­luft­hammer. Als mir zufäl­li­ger­weise doch mal ein guter Stoß gelang, sagte sie Crazy“, und dann befand sie, dass ich unbe­dingt gegen ihren Mann spielen müsse. Ich wun­derte mich ein wenig, denn weit und breit war kein wei­terer Gast zu sehen, aber ich sagte Okay“.

Eine Figur wie aus einem Coen-Film
 
Candy pfiff durch die Finger, und es öff­nete sich die Tür in einer Wand. Heraus trat eine Figur wie aus einem Film der Coen-Brüder: Ein Mann, viel­leicht 1,60 Meter groß, mit Son­nen­brille, Hawaii­hemd und Pana­mahut, ein eher aus­fran­sender Typ mit wur­zel­ar­tigen Hand­rü­cken. Links trug er einen weißen Hand­schuh, er stellte einen Koffer auf die Platte, aus dem er den Bil­lard­queue ent­nahm. Danach steckte er eine Marl­boro auf eine Ziga­ret­ten­spitze.

Sein Name sei Joe, sagte Candy. Ich grüßte Joe, er reagierte nicht. Joe spreche nicht, erklärte Candy. Er spiele nur. Er sei der beste Bil­lard­spieler, den es jemals auf Koh Chang gegeben habe. Hei­de­witzka, dachte ich, also los.

Joe ver­senkte mit den ersten zwei Stößen vier Kugeln. Auch Kugeln, die in aber­wit­zigen Win­keln und Ent­fer­nungen zur weißen Kugel lagen, erreichte er mit Leich­tig­keit. Er ließ die weiße Kugel springen oder rück­wärts rollen. Er spielte Bil­lard wie Roberto Carlos Frei­stöße schoss. Wenn er nicht der beste Bil­lard­spieler Koh Changs geworden wäre, hätte er es sicher­lich zum besten Geo­me­triker der Welt geschafft.
 
Ich ahnte, dass das Spiel sehr schnell vorbei sein würde. Vor lauter Auf­re­gung rammte ich schon bei meinem ersten Stoß bei­nahe den Queue durch den Tisch, immerhin traf ich dabei auch die weiße Kugel, blöd nur, dass sie keine andere Kugel berührte. Candy lachte, und Joe blies den Rauch über den Tisch.
 
Die rote Sieben ver­senkte er mit Leich­tig­keit per Sprung­ball. Die blaue Zwei folgte direkt per Stopp­ball. Nach einer Spiel­zeit von etwa zwei Minuten blieb nur noch die schwarze Acht. Und dann geschah etwas, das ver­mut­lich noch nie jemand auf Koh Chang gesehen hatte. Joe ver­senkte die Acht mit Leich­tig­keit. Die Sache war nur, dass er der weißen Kugel dieses Mal zu viel Effet mit­ge­geben hatte, sodass diese eben­falls dra­ma­tisch auf eine Tasche zurollte. Direkt am Loch blieb sie liegen.

Now you are the king of Koh Chang“

Joe schraubte schon seinen Queue zusammen, aber er sah noch aus dem Augen­winkel, wie die Acht in Zeit­lu­pen­ge­schwin­dig­keit in die Tasche rollte. Joe stieß einen kurzen hohen Schrei aus. Ich hatte gewonnen, ohne eine ein­zige Kugel – außer die weiße – zu berühren.

Aber es blieb weder Zeit für große Freude noch für große Ent­täu­schung. Nicht mal für eine Revanche. Joe musste weiter. Er öff­nete die Tür zu dem Hin­ter­zimmer und ging hin­durch. Candy sagte: Now you are the king of Koh Chang.“ Und ich sagte, dass ich den Titel gerne annehmen wollte.
 
Seitdem spiele ich häu­figer auch in Deutsch­land. Mein Gebiet sind die Son­nen­allee und der Kott­busser Damm in Neu­kölln. Straßen, die zwar nicht das bes­sere, doch aber das schö­nere Leben ver­spre­chen, denn hier gibt es mehr Nagel­stu­dios und Mode direkt aus Paris“ (und London und Mailand)-Läden als Hun­de­haufen auf dem Gehweg.
 
Einige Bil­lard­re­geln sind mir wei­terhin unbe­kannt, und manchmal stoße ich den Queue immer noch in den Filz. Neu­lich ist mir aber mal ein Sprung­ball gelungen. Dum­mer­weise sprang die Kugel vom Tisch runter und lan­dete direkt in einem Spiegel. Seitdem habe ich in der Kneipe Haus­verbot. Aber das ist okay. Die Besitzer konnten nicht wissen, dass ich ver­mut­lich bald schon der König von Neu­kölln sein werde.