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Eine kurze Bewe­gung in Rich­tung des Ball­füh­renden, dann nimmt Romelu Lukaku den Ball von Bro­zovic an, ein Kon­takt – dann der zweite. Wäh­rend ein Innen­ver­tei­diger von SPAL die Wir­bel­säule des bul­ligen Mit­tel­stür­mers bear­beitet, nimmt der Bel­gier den Kopf kurz hoch und spielt den Ball auf den Flügel. Spä­tes­tens jetzt weiß jeder, was gleich pas­sieren wird – und doch kann das Tor nie­mand mehr ver­hin­dern. Lukaku, der zuvor die Innen­ver­tei­di­gung von SPAL aus dem Zen­trum gelockt hatte, stößt jetzt mit der vollen Wucht eines 95 Kilo schweren Sturm-Tanks ins Zen­trum des geg­ne­ri­schen Sech­zeh­ners. Doch als Antonio Cand­reva die Flanke aus dem Halb­feld genau dort hin­bringt, wo sie jeder erwartet hat, kommt nicht der 1,91 Meter große Lukaku an den Ball, son­dern sein 16 Zen­ti­meter klei­nerer Sturm­partner, der sich in den Sekunden zuvor den Bli­cken der Ver­tei­diger ent­zogen hatte – Lautaro Mar­tinez.

Ein Tor wie gemacht für einen eupho­ri­schen Jubel von Antonio Conte. Nicht nur, weil der Treffer dafür sorgt, dass Juventus Turin nach jah­re­langer Domi­nanz in der Serie A die Tabel­len­füh­rung ent­rissen wird, son­dern weil es exem­pla­risch für ein unfassbar starkes Sturmduo in den Reihen Inters steht. Wäh­rend Romelu Lukaku der große Name im Sturm der Neraz­zurri ist, mau­sert sich in dessen Schatten sein 22 Jahre junger Partner zu einem der viel­ver­spre­chendsten Stürmer Europas und lässt die Inter-Anhänger träumen.

Auch ohne seinen Bull­dozer erfolg­reich

Denn mit seinem Tor gegen SPAL hat Mar­tinez nun­mehr acht Tore in 14 Serie-A-Spielen vor­zu­weisen. Hinzu kommen drei Assists und fünf Tore in fünf Spielen der lau­fenden Cham­pions-League-Saison, dar­unter zwei gegen Borussia Dort­mund und eins im Camp Nou. An Orten des euro­päi­schen Fuß­balls also, an denen schon ganz andere kläg­lich bei dem Ver­such schei­terten, nur einen Fuß vor den anderen zu setzen. Mar­tinez hin­gegen machte gegen Bar­ce­lona auch in Abwe­sen­heit seines per­sön­li­chen Bull­do­zers Lukaku ein gutes Spiel, auch weil er direkt in der zweiten Minute die Barca-Defen­sive auf dem kalten Fuß erwischte. Wäh­rend Gerard Pique den kleinen Argen­ti­nier im Voll­sprint atta­ckierte, war dieser selbst mit Ball am Fuß schneller als der lange Spa­nier. Nach einem 20-Meter-Sprint, an dessen Ende Mar­tinez zuse­hends die Puste aus­ging, wäh­rend er Pique mit seinem rechten Arm von sich drückte, ließ er dem heraus stür­menden Marc Andre ter-Stegen keine Chance. 

Aktionen wie diese haben dafür gesorgt, das Mar­tinez längst kein Geheim­tipp unter den Fuß­ball­ver­rückten dieses Kon­ti­nents mehr ist. Sein Tor gegen Slavia Prag am ver­gan­genen Mitt­woch wurde von der UEFA zum Tor des Spiel­tags gekürt, im Sommer waren zahl­reiche Top-Klubs wie der FC Bar­ce­lona daran inter­es­siert, Mar­tinez nach dem Wechsel von Lukaku direkt wieder aus Mai­land los­zu­eisen. Mar­tinez, das wird dieser Tage immer deut­li­cher, ist ein viel­ver­spre­chender Anwärter darauf, der neuen Gene­ra­tion von Top-Stür­mern ein Gesicht zu geben. Der junge Argen­ti­nier ist trotz seiner 1,74 Meter robust im Zwei­kampf, ver­fügt über eine gute Technik und hat vor allem ein exzel­lentes Gefühl für den Raum. Und so ist Mar­tinez das, was man als Ver­tei­diger gemeinhin als ekel­haft“ bezeichnet, weil er sich nie ein­deutig in einem festen Raum des Spiel­feldes loka­li­sieren lässt. Ergibt sich für ihn die Mög­lich­keit, sich am Kom­bi­na­ti­ons­spiel seiner Mann­schaft zu betei­ligen, ist der 22 Jäh­rige in der Lage einen mit­spie­lenden Stürmer zu geben. Und wenn Lukaku dafür sorgt, dass die Innen­ver­tei­diger des Geg­ners ihre Posi­tion ver­lassen, gibt Mar­tinez dem Spiel mit seiner Schnel­lig­keit die nötige Tiefe. Das Zusam­men­spiel dieser beiden Stürmer, die unter­schied­li­cher nicht sein könnten, hat Conte per­fekt ein­stu­dieren lassen.

Als Luis Suarez vor wenigen Tagen auf die neue Gene­ra­tion der Mit­tel­stürmer ange­spro­chen wird, nennt er neben Tammy Abraham und Maxi Gomez auch Lautaro Mar­tinez: Lautaro ist ein unglaub­li­cher Spieler, der diese Saison auf einem sehr hohen Level spielt“. Und wäh­rend sich die Gerüchte um einen vor­zei­tigen Abschied aus Mai­land durch die Gazetten Ita­liens ziehen, hat Inter im Argen­ti­nier das gefunden, was vor einem Jahr kaum einer für mög­lich gehalten hatte: den Nach­folger eines lange Unan­tast­baren.

Denn als Inter im Sommer 2018 einen 20-jäh­rigen Jungen von Racing Club ver­pflich­tete, waren die Vor­zei­chen noch ganz andere. Inter, schon längst nicht mehr mit dem Glanz der alten Tage, hatte mit Mauro Icardi immerhin einen inter­na­tio­nalen Top-Tor­jäger in seinen Reihen, der in einer glanz­losen Mann­schaft unan­tastbar wirkte. Die Chancen von Mar­tinez, über den zum Zeit­punkt seines Wech­sels in Europa wohl kaum jemand zwei Attri­bute zusam­men­kratzen konnte, sich bei Inter in naher Zukunft durch­zu­setzen, galten als gering.

Das Heimweh nach den Straßen von Bahia Blanca

Der junge Argen­ti­nier aber ent­schloss sich den­noch zu einem Wechsel in die ita­lie­ni­sche Mode­stadt und nahm damit ver­mut­lich all seinen Mut zusammen. Denn bereits drei Jahre zuvor stand der damals 17-Jäh­rige vor einem Wechsel nach Europa. Doch wäh­rend sich die beiden Klubs, Racing und Real Madrid weit­ge­hend einig über den Transfer des Jugend­spieler waren, machte dieser in letzter Sekunde einen Rück­zieher. Der Junge, der in den Straßen der Bahia Blancas das Kicken gelernt hatte, schien noch nicht bereit für den großen Wechsel. Bereits bei seinem Wechsel von seinem Hei­mat­verein Liniers zu Racing nach Buenos Aires im Jahr 2014, litt der damals 16-Jäh­rigen Teen­ager unter schwerem Heimweh. Mar­tinez wollte zurück zu seiner Familie und seinem Hei­mat­klub – was sich schließ­lich nur dank der Über­re­dungs­künste eines seiner Mit­spieler nicht rea­li­sierte. Aus­ge­rechnet dieser hei­mat­ver­bun­dene Jüng­ling schien im Sommer 2018 also direkt auf die Bank Inter Mai­lands zu wech­seln, deren Sturm­zen­trum mit Icardi für die nächsten Jahre bes­tens auf­ge­stellt schien.

Doch wäh­rend Mar­tinez zunächst gemeinsam mit Icardi auf dem Platz stand, sorgte sein Sturm­partner mit fort­schrei­tender Dauer der Serie-A-Saison für zuneh­mende Unruhe im San Siro. In einem schier end­losen Ver­trags­poker schienen letzt­lich alle Betei­ligten ihre Geduld zu ver­lieren. Und so wurde Icardi in den Mai­länder Win­ter­mo­naten sus­pen­diert, ehe er im Sommer am letzten Tag des Trans­fer­fens­ters nach Paris ver­liehen wurde. Für den jungen Argen­ti­nier Lautaro Mar­tinez ergab sich damit die Chance, sich in den Fokus der Ver­eins­bosse, vor allem aber auch in die Herzen der Inter-Fans zu spielen.

Drei Monate später wird man das Gefühl nicht los, in den Mai­länder Straßen könnte es schwer werden, jemanden zu finden, der Mauro Icardi, dem ehe­ma­ligen König Inters, eine Träne nach­weint. Das liegt natür­lich auch an dessen unrühm­li­chen Abschied, vor allem aber auch an seinem kleinen Lands­mann, der der nicht länger im Schatten seines Vor­gän­gers steht. Und so lassen Mar­tinez und Lukaku die Hoff­nungen der Neraz­zurri nach einem span­nenden Meis­ter­schafts­kampf ins schier Uner­mess­liche steigen. Der König ist tot, lang lebe der König!