Helge Leonhardt ist nicht länger Präsident bei Erzgebirge Aue. Den Klub behandelte er jahrelang wie ein Familienunternehmen. Das gefiel nicht allen so gut wie ihm.
Diese Reportage erschien erstmals in unserem Bundesliga-Sonderheft 2017/18.
Er passt hier so gut hin wie ein ausgewachsener Tiger in einen Streichelzoo. Der jagdgrüne Sportwagen, Bentley Continental GT für rund 200 000 Euro, ist auf dem Weg nach Aue. Im Innenraum ist alles mit Leder ausgeschlagen, am Steuer sitzt Helge Leonhardt, Präsident des FC Erzgebirge. Er erzählt davon, wie sein Zwillingsbruder Uwe und er zur einflussreichsten Familie des Tals wurden. „Kurz nach der Wende, da brauchten die Leute hier fast alles. Kühlschränke, Versicherungen, Autos“, sagt er. Für Kühlschränke und Versicherungen sorgten andere, die Leonhardts besorgten die Autos und haben seitdem die dicksten Karren.
Es ist schwierig, über das Granitgebirge ins abgelegene Aue zu kommen. Stündlich fährt eine kleine Panoramabahn, die Gleise winden sich an den Berghängen entlang. Wenn Aue spielt, steigen an jeder Biegung eine Handvoll Fans ein, in Einsiedel, Thalheim und Niederzwönitz. Erst kurz vor Aue lichtet sich der märchenhafte Wald und gibt den Blick frei auf das Stadion an der Lößnitzer Straße. In einer tiefen Kuhle gelegen, stechen die vier kalkweißen Flutlichtmasten aus der diesigen Umgebung hervor. Willkommen im Schacht.
Geradeaus und ehrlich
Aue war mal Bergbaustadt, Uran wurde hier aus dem Erzgebirge geholt, für die sowjetische Atomindustrie. Wismut hieß das Unternehmen und dominierte die Region, auch der Klub hieß so: Wismut Aue. Ein Klub der Bergleute, wie bei Schalke singen sie hier das Steigerlied. Schon zu DDR-Zeiten war der Klub besonders: kleines Budget, aber ein enger Zusammenhalt im Kessel. Wenn die Bahn am Spieltag nach Aue fährt, geht es erstaunlich schweigsam zu. Außenstehende würden die Leute hier vielleicht als mürrisch bezeichnen, sie sich selbst als geradeaus und ehrlich. „Nur wenige außerhalb des Ostens kannten die Fußballtradition in Aue. Die alten Schlachten. Aber mittlerweile sollte jeder wissen, wo das Erzgebirge liegt“, sagt Helge Leonhardt und schließt die Tür seines Bentleys. Die Limousine macht einen tiefen Schmatzer. Hier im tiefen Osten hat die Liga das Fürchten gelernt. Vor jeder Saison die bange Frage, wann es nach Aue geht. Im Winter will hier niemand hin, wenn Schnee liegt und garstige Winde pfeifen. Und schon gar nicht im Frühjahr, wenn die Lila-Weißen auf dem tiefen Rasen wieder mal um den Klassenerhalt kämpfen. „Jeder, der in Aue war, ist froh, wenn er schnell wieder nach Hause fahren darf“, sagt Leonhardt.
Er spricht über den Klub, aber irgendwie auch über sich. Helge Leonhardt stammt von hier, verbrachte seine Jugend aber in der Bergbauregion von Gera, eine Autostunde entfernt in Thüringen. Er war ein guter Fußballer, ging dort zur Sportschule und spielte bei Dynamo Gera. Torschützenkönig und mit 24 Jahren jüngster Spielertrainer in der Geschichte der ostdeutschen dritten Liga, während sein Vater für die Wismut arbeitete. „Unsere Ausbildung war geprägt von Härte und Disziplin, und das ist immer meine Einstellung geblieben.“
„Das hat uns hart gemacht“
Als die Wende kam, waren Helge und Uwe 30 Jahre alt und konnten Härte gut gebrauchen, als sie sich neu orientierten. Von Volkswagen erhielten sie eine Lizenz für ein Autohaus in Aue, von der örtlichen Sparkasse gab es einen Millionenkredit. Mittlerweile gehören ihnen nicht nur vier Autohäuser, in denen man auch Lamborghini und Bentley kaufen kann, sondern eine Maschinenbaufirma, ein Vier-Sterne-Hotel und eine Reihe Beteiligungen an weiteren Firmen. „Der Aufbau unserer Unternehmensgruppe war Wahnsinn. Das hat uns hart gemacht. Das können nur Gründer erleben, die in so einer aufregenden Zeit gedient haben.“
Helge Leonhardt dient auch dem FC Erzgebirge Aue, jedenfalls sieht er es so. Seit 2014 ist der Unternehmer hier Präsident und, wie er findet, Macher und Visionär. Der Klub setzt dabei aufs Image eines Underdogs. Von den 36 Profistandorten hat nur Sandhausen noch weniger Einwohner als Aue. 17 000 Menschen leben hier, und eigentlich ist es unfassbar, dass der FCE Zweitligist ist und nicht Magdeburg, Rostock oder Lokalrivale Chemnitz. Trotzdem hängt bei jedem Heimspiel ein „Vorstand raus!“-Plakat vor den Tribünen, und der Haussegen hängt schon lange schief. Was ist denn hier los?