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Seite 2: „Ich bewundere den politischen Einsatz unserer Fans“

Was für einen Fuß­ball muss man als Trainer von Bes­iktas spielen lassen?
Fuß­ball mit viel Platz für krea­tiven Frei­raum. Ein wilder, von den Normen los­ge­löster Fuß­ball. Der aller­dings nicht ins Chaos abdriften darf, denn dann habe ich Anar­chie. Und mit Anar­chie gewinnt man keine Spiele. Und wenn ich diese Phi­lo­so­phie als Waffe begreife und nicht als Han­dicap, dann kann ich damit auch Erfolg haben, der alle zufrieden stellt.

Das dürfte ein Teil der Bes­iktas-Fans mög­li­cher­weise anders sehen. Die Carsi“-Ultras tragen das A“ für Anar­chie in ihrem Logo. Wissen Sie Bescheid über deren Ein­satz bei den Kämpfen wäh­rend der Pro­teste 2013 auf dem Taksim-Platz?
Natür­lich. Ich bin ein poli­tisch den­kender Mensch und Trainer dieses Ver­eins.

Beschäf­tigen Sie sich auch mit dem Thema?
Nein. Und ich sage ihnen auch wieso: Ich bewun­dere, wie intensiv sich unsere Fans poli­tisch ein­setzen. Aber wenn ich anfangen würde, mich damit zu beschäf­tigen, hätte ich keine Zeit mehr, meinen Job zu machen. Weil ich dann alles wissen, mit allen ent­schei­denden Men­schen dar­über spre­chen wollen würde. Des­halb zwinge ich mich dazu, das nicht zu sehr an mich ran­zu­lassen.

Einige Beob­achter behaupten: Weil die Carsi“-Mitglieder an vor­derster Front gegen Pre­mier­mi­nister Erdogan kämpften, wird Bes­iktas nun regel­mäßig in Form von selt­samen Schieds­rich­ter­ent­schei­dungen und Fan-Sank­tionen dafür bestraft.
Das sind Mut­ma­ßungen und des­halb spielt das für meine Arbeit keine Rolle. Was soll ich denn machen? Nach einem ver­lo­renen Spiel ins all­ge­meine Gejammer ein­fallen und meinen Spie­lern sagen: Geht nach Hause, Trai­ning fällt aus, wir ver­lieren doch sowieso“? Nein, natür­lich nicht! Was mich aller­dings nicht daran hin­dert, nach Spielen vor den Medien über die Schieds­richter zu spre­chen, wenn Sie meiner Mei­nung nach einen schlechten Job gemacht haben (lacht).

Seit Sie Trainer bei Bes­iktas sind, ist der Klub hei­matlos. Der Umbau des Inönü-Sta­dions ver­zö­gert sich massiv. Die Neu­eröff­nung wurde mehr­fach ver­schoben und wir ver­mut­lich erst nach Ablauf dieser Spiel­zeit statt­finden.
Das ist in der Tat ein ganz großer Nach­teil. Unsere Fans haben vor Jahren einen Laut­stärke-Rekord auf­ge­stellt (141 Dezibel, d. Red.), das alleine zeigt ja, über was für einen fan­tas­ti­schen Anhang wir ver­fügen. Wegen des Umbaus tragen wir momentan unsere Heim­spiele meis­tens im Ata­türk Olym­pia­sta­dion aus. Das ist ein 80.000-Mann-Kessel an der Stadt­grenze, sehr schwer zu errei­chen, weil die Nah­ver­kehrs­be­din­gungen dort mise­rabel sind. Dazu kommt, dass ein Groß­teil unserer Fans die Spiele boy­kot­tiert, weil sie in der jün­geren Ver­gan­gen­heit immer wieder hart vom Ver­band bestraft wurden. Was zur Folge hat, dass wir in den ver­gan­genen Heim­spielen einen Zuschau­er­schnitt von etwa 3000 hatten. 3000 Zuschauer in einem 80.000-Mann-Stadion! Wenn Sie mich fragen, ist das eine Tra­gödie.

Wie wichtig sind Fans wirk­lich für die Leis­tung einer Mann­schaft?
Der Ein­fluss ist enorm. Ich beschreibe es gerne so: Um ein Formel 1‑Rennen zu gewinnen, muss der Fahrer seinen Wagen auch mal so extrem belasten, dass er im roten Bereich fährt. Für diesen roten Bereich sorgen beim Fuß­ball einzig und allein die Fans, da hat man als Trainer keinen Ein­fluss drauf. Dieser rote Bereich fehlt uns in dieser Saison. Gala­ta­saray hat vor einigen Jahren auch mal eine ganze Saison lang Heim­spiele im Olym­pia­sta­dion aus­tragen müssen. Mit einer Mann­schaft, die eigent­lich hätte Meister werden müssen. Am Ende wurden sie Siebter.

Und wie gehen Sie als Trainer nun mit diesem Han­dicap um?
Indem ich es erst gar nicht zum Thema mache. Wenn ich mich nach schlech­teren Spielen hin­stellen und über die wenigen Fans beklagen würde, würden meine Spieler das bald eben­falls tun. Und das würde auf Dauer ihre Leis­tung negativ beein­flussen. Also sage ich: Scheiß drauf, wir wollen trotzdem Titel gewinnen!